Neben Colin Kaepernicks Haaren wuchs in der diesjährigen Offseason auch sein Unmut über die gesellschaftlichen Zustände in den USA. Mit seinem knienden Protest im Zuge der ‚Black Lives Matter’-Bewegung traf er einen wunden Punkt der amerikanischen Gesellschaft.
Kaepernicks Geste wurde nicht nur in der Sportwelt zum Politikum, welches die tiefe Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft aufzeigt. Denn einerseits schossen seine Trikotverkäufe innerhalb kürzester Zeit in die Höhe (obwohl er in San Francisco nur noch zweite Wahl ist), andererseits kam sein Boykott für viele Amerikaner einem Vaterlandsverrat gleich. Allerdings ist die komplette Debatte um den knienden 49ers-Spieler äußerst heuchlerisch. Ausgerechnet Trash-Talk-König Stephen A. Smith fand heraus, dass der Quarterback mit keiner alten Tradition gebrochen hatte.
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Denn bis 2009 warteten die Spieler während der Hymne noch in der Umkleidekabine und liefen erst danach auf. Der Grund für diese Änderung laut Smith: Die Werbeplattform, die die NFL für das US-Militär bietet. Wenn die Spieler während der Hymne neben dem Feld stehen, werden diese zu amerikanischen Identifikationsfiguren. Daher sparten das Department of Defense und die Nationalgarde weder Kosten (viele Millionen Dollar Steuergelder) noch Mühen, um dem Militär eine möglichst große Plattform zum Rekrutieren von Soldaten zu bieten. 18 NFL-Teams sollen dabei in den letzten vier Jahren insgesamt über 5,6 Millionen Dollar vom Verteidigungsministerium erhalten haben. Recherchen von ESPN bestätigen die bezahlte Zurschaustellung der Spieler bei der Nationalhymne.
Auch wenn das Pentagon keine weiteren Steuergelder für den ‚bezahlten Patriotismus’ verwenden möchte, zieht diese Hintergrundinformation Kaepernick ein Stück weit aus der Schusslinie. Denn zum Einen hat dieser eben nicht mit einer alten Tradition gebrochen, zum Anderen scheint es bei der Hymne weniger um den ideellen als um den finanziellen Mehrwert zu gehen.
Die NFL tut sich derweil immer noch schwer damit, Farbe zu bekennen. Laut Brian McCarthy, dem Pressesprecher, „würden die Spieler zwar ermutigt, aber nicht verpflichtet werden, während der Hymne zu stehen”. Der Fall Kaepernick zeigt aber, dass dies bloß die halbe Wahrheit ist. Auch wenn das Verhalten während The Star-Spangled Banner vertraglich nicht festgehalten ist, besteht der Druck, sich an die inoffiziellen Vorgaben zu halten. Außerdem kann bei einer Regelung, die jünger ist als Hoffenheims Bundesliga-Historie, wohl kaum von Tradition die Rede sein.