Sex

Warum sind Inzestpornos eigentlich so beliebt?

Es gibt wohl wenige Aspekte unseres menschlichen Daseins, die verstörender sind als Inzest.

Durch einen Artikel im NY Mag über Genetic Sexual Attraction [kurz: GSA], inklusive einem ausführlichem Interview mit einer Frau, die in einer einvernehmlichen Inzestbeziehung mit ihrem biologischen Vater lebt, sind interfamiliäre Beziehungen wieder ein großes Thema geworden. Der herrschende Konsens dazu lautete in etwa: „Es gibt einfach nicht genug :(`s auf der Welt dafür.” Inzest ist als Thema ein solches Tabu, dass wir kaum über genügend sprachliche Mittel verfügen, um vernünftig darüber zu reden.

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Natürlich gibt es schon lange—wie bei so ziemlich jedem anderem Tabu, das man sich vorstellen kann—einen Markt für „Inzest”-Szenen in Pornos. Verbreitet sind zum Beispiel „Vater-Tochter”-Szenarien, in denen zwei wildfremde Menschen in eben diese Rollen schlüpfen, um Leute anzuturnen, die ihre sexuelle Stimulation gerne etwas … abgründiger haben. Und das Publikum dafür ist—in bestimmten Teilen der USA zumindest—gewachsen.

GameLink.com, der führende Anbieter für Erwachsenenunterhaltung im Internet, verzeichnete zwischen Oktober 2014 und Januar 2015 einen Anstieg des Konsums von „Family Role-Play Porn” um 178 Prozent. Die Statistik, die lediglich Zahlen für die USA beinhaltet, zeigt, dass der Bundesstaat Utah mit 765 Prozent den höchsten Anstieg zu verzeichnen hatte—zusammen mit Michigan (698 Prozent), New York (669 Prozent), Alaska (524 Prozent) und Arkansas (452 Prozent) bildet er die Top Fünf Staaten, in denen man sich gerne zu Mammi und Pappi einen von der Palme wedelt—bzw. die Perle poliert.

Auf der Suche nach einer Erklärung, habe ich mich an Dr. Chauntelle Tibbals gewandt, der Autorin des bald erscheinenden Buches, Encore: A Sociologist Explores Sex, Society, and Adult Entertainment.

Tibbals versicherte mir, dass die Statistiken keine Zunahme von „Inzestpornos” an sich zeigen würden, sondern vielmehr einen „rapiden Zuwachs” an „Fauxcest Pornos”—also Szenen, in denen zwei Darsteller bei einem Familienrollenspiel gezeigt werden. Sie schrieb die Beliebtheit dieser Pornos in bestimmten geographischen Regionen solchen Staaten zu, „in denen Sexualität eher unterdrückt wird.” New York stellt demnach eine Ausnahme dar.

Sie suggeriert außerdem, dass die Anreize derartiger Pornografie in dem „interessanten Mix aus Alltäglichem und einem weit verbreiteten Tabu”, zu finden sind.

„Intimitäten unter Stiefverwandten sind in der heutigen Kultur der USA ein großes Tabu, obwohl viele Menschen in Familien mit irgendwie gearteten Stiefverhältnissen leben”, sagt sie. „Ein Thema, das so weit verbreitet und gleichzeitig so tabu ist, übt auf bestimmte Menschen einen gewissen Reiz aus. In Bezug auf die Frage ‚Warum gerade jetzt?’ spielen die Technologie, der Zugang und die Verfügbarkeit dieser Inhalte alle eine Rolle.”

Auch wenn ich Tibbals sehr für ihre Arbeit bewundere, zeigt ein Großteil der von GameLink genannten Titel nicht Fauxcest-RP (Role Play), sondern knallhartes Inzest-RP. Nehmen wir Mommy and Me 9 (2014). Am Anfang jeder Szene erklären die Darsteller, dass sie nicht miteinander verwandt sind. In der ersten Szene sagt „Mommy” Chasey Lain zum Beispiel: „Das ist nicht meine Tochter, wir sind in keiner Weise miteinander verwandt.” „Tochter” Audrey Aguilera antwortet darauf: „Und das ist nicht meine Mutter, ich sehe sie heute zum ersten Mal.”

Lain beendet ihr die vierte Wand durchbrechendes Intro mit den folgenden Worten: „Wir geben den Fans, was sie wollen—Mommy and Me 9.” Aber ist Inzest wirklich das, was die Fans wollen, oder vielleicht das, was die Pornoindustrie selber vorantreibt?

2013 erstellte Jon Milward Deep Inside: A Study of 10,000 Porn Stars and Their Careers. Seine Analyse brachte einige interessanten Fakten und Zahlen zu Tage. Von den 20 „gängigsten weiblichen Rollen, die in Filmen ihrer Häufigkeit nach auftauchen”, kommt „Tochter” an sechster Stelle. Auf dem zehnten Platz findet sich „Schwester”.

Einer von den Filmen in Milwards Studie müsste auch der 1980er Genreklassiker Taboo gewesen sein. Der Plot, wenn man von einem sprechen kann, dreht sich schwer um Vater/Tochter- und Mutter/Sohn-Inzest. Taboo gilt heute noch als Klassiker und in den darauffolgenden 27 Jahren erschienen noch 22—wenn man so will—Fortsetzungen.

Es scheint schon ziemlich weit hergeholt, davon auszugehen, dass jemand, der das verbotenste Szenario, das ihm in den Sinn kommt, in eine Pornosuchmaschine eingibt, auch tatsächlich mit einem Familienmitglied ficken will.

Inzestpornos sind natürlich nichts Neues. Aber wie bei allen modernen Ferkeleien reicht das Phänomen weit über die üblichen Kanäle für nicht jugendfreie Inhalte hinaus. Gib in die Suchmaschine deiner Wahl das Wort „incest” ein und du wirst unglaublich viel anstößiges Material finden: Reddit Foren mit 44.000 Lesern (mit dem folgenden Disclaimer: „Da es allgemein unmöglich ist, die Inhalte zu überprüfen, sollte davon ausgegangen werden, dass alle Geschichten fiktional sind—so lange nicht Gegenteiliges bewiesen werden kann.”); Inzest Erotika; selbst das Kofferwort „wincest” steht für Fan-Fiction zu der Sci-Fi-Serie Supernatural, die sich mit „einer romantischen oder sexuellen Beziehung zwischen Sam und Dean Winchester” befasst.

Je mehr man sich mit dem Thema auseinandersetzt, desto tiefer gelangt man in den Kaninchenbau. Kann es wirklich sein, dass diese Inhalte unsere unbewussten Sehnsüchte reflektieren? Wenn wir unser gefährliches Halbwissen über Psychologie noch einmal hervorkramen und uns Freuds Theorie zum Ödipuskomplex entsinnen, dann könnte man meinen, dass der Konsum von Inzestpornos einfach eine Form der Wunscherfüllung darstellt. Trotzdem scheint es schon ziemlich weit hergeholt, davon auszugehen, dass jemand, der das verbotenste Szenario, das ihm in den Sinn kommt, in eine Pornosuchmaschine eingibt, auch tatsächlich mit einem Familienmitglied ficken will.

Wie auch immer, in seinem berüchtigten Penthouse-Artikel von 1977, Incest: The Last Taboo, suggeriert Philip Noble, dass viel mehr „untraumatischer” Inzest stattfindet, als wir akzeptieren wollen. Ja, es waren die 70er, und ja, er bezieht sich stark auf die Idee „verdrängter Erinnerungen” aus den alten Kinsey-Befragungen, „die uns zeigen, dass Inzest weit verbreitet und oftmals positiv ist.” Er hatte allerdings recht, als er sagte, „[dass] Inzest in den 80er Jahren ein großes gesellschaftliches Thema wird”—also dem Jahrzehnt, aus dem auch Taboo hervorging.

Eine wesentlich unangenehmere Erklärung für Inzestpornos lieferte die Psychologin Sharna Olfman in ihrem 2008 erschienen Buch, The Sexualization of Childhood. Dort legt sie nahe, dass eine Korrelation zwischen Vater/Tochter-Pornos und dem, was sie „pseudo child pornograhy” (PCP) nennt, bestehen könnte.

„Wir können beobachten”, schreibt sie, „wie diese Webseiten vielleicht als Sozialisierungs-Akteur für ihre Nutzer funktionieren, indem sie ein bestimmtes Ideologiegebilde konstruieren, das Kinder als legitime Sexualpartner für erwachsene Männer suggeriert.” Die Normen und Werte, die in der Gesellschaft im Umlauf sind, die Sex zwischen Erwachsenen und Kindern als abweichend und missbräuchlich definieren, seien in der PCP überhaupt nicht vorhanden, sagt sie außerdem. An ihrer Stelle befindet sich ein „reichhaltiges Angebot an Seiten, die die Ansicht verbreiten, dass Sex mit Kindern ein heißer Spaß für alle Beteiligten ist.”

Olfmans Argumentation hinterlässt ein äußerst ungutes Gefühl in der Magengegend. Wenn wir aber speziell über die Filme sprechen, die auf Seiten wie PornHub/XHamster/YouPorn/etc. zur Verfügung stehen, dann haben wir es nicht mit tatsächlichem Inzest zu tun—jedenfalls nicht, wenn wir uns nur an der Oberfläche der im Internet verfügbaren Pornografie bewegen. So viel wird in den besagten Disclaimern ja auch deutlich gemacht. Es macht die Titel oder die ganze Pseudo-Thematik allerdings nicht weniger schockierend. Es gibt da dieses sehr grundlegende, sehr urwüchsige Gefühl des Unwohlseins, das in einem aufkommt, wenn man auf eins dieser Mutter/Sohn- oder Tochter/Vater-Szenarien stößt—obwohl man weiß, dass es alles fiktional ist—und es ist genau diese Reaktion, von der sich eine Industrie, die schließlich von Extremen lebt, ernährt. Von Analprolaps bis hin zu Gokkun, Inzestpornos sind nur ein weiteres Werkzeug in einem ganzen Arsenal von Obszönitäten, das die erlebnishungrige Kundschaft anlocken soll.

Dan O’Connell, der Gründer von Girlfriends Films—dem Unternehmen, das mit Mother-Daughter Exchange Club (mittlerweile gibt es Teil 36) eine der bekanntesten und erfolgreichsten Reihen in Sachen Inzest produziert—sagt, dass es alles nur darum geht, Grenzen auszuloten.

„Pornoproduzenten gehören zu den größten Rebellen unserer Gesellschaft”, sagt er ohne einen Funken Ironie. „Es liegt in ihrer Natur, das Gebiet des herkömmlichen Geschlechtsverkehrs zu verlassen und die Randgebiete unseres sexuellen Verhaltens darzustellen. Heutzutage kann sich jeder Jugendliche ohne Aufsicht und mit einer Internetverbindung jede Art von Sex ansehen, die er will.”

Das mag vielleicht stimmen, aber was ist damit, dass diese Jugendlichen dann anfangen, immer extremere Sachen sehen zu wollen? Ist dieses Höher-Schneller-Weiter nicht genau das, was die Pornoindustrie bedient? Wie kann es wünschenswert sein, dass sie irgendwann bei fiktionalen Szenarien zwischen Müttern und Söhnen landen?

O’Connell hat dazu, wie wahrscheinlich jeder größere Pornoproduzent, eine ziemlich ambivalente Meinung: „Die Industrie macht diese Filme, weil sie sich gut verkaufen. Und, ganz einfach gesagt, verkaufen sie sich eben wegen diesem Tabufaktor.”