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Schlafentzug ist eine der berüchtigsten „erweiterten Verhörmethoden” der CIA. Die Technik ist so perfide wie beliebt: Kaum eine Methode wird im diese Woche veröffentlichten Bericht des US-Geheimdienstkommittees häufiger genannt.
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Für die CIA umfasst Schlafentzug laut der Kurzfassung des Berichts folgende Definition: „Einen Gefangenen bis zu 180 Stunden lang wach halten, zumeist aufrecht stehend oder in gekrümmter Haltung, manchmal mit zusammengebundenen Händen über dem Kopf.”
Einhundertachtzig Stunden entsprechen geschlagenen siebeneinhalb Tagen.
Im Bericht steht außerdem, dass der Schlafentzug „häufig gemeinsam” mit Schlägen, erzwungener Nacktheit und dem Schleudern der Internierten gegen Wände zur Anwendung kommt.
Für die Wissenschaft hat Randy Garner 11 Tage lang kein Auge zugedrückt.
Abu Hudhaifa, einer der im Bericht erwähnten Gefangenen, musste zum Beispiel Eiswasserbäder und 66 Stunden Schlafentzug im Stehen über sich ergehen lassen—bis „er freigelassen wurde, weil die CIA herausfand, dass er nicht die Person war, für die sie ihn gehalten hat.”
Obwohl Amnesty International und das Komitee gegen Folter klarstellen, dass Folter durch Langzeit-Schlafentzug nicht nur grausam, sondern auch illegal ist, erfreut sich die Methode im Krieg gegen den Terror großer Popularität. Laut dem Bericht bietet Schlafentzug eine beliebte und effektive Möglichkeit, um „den Willen des Gefangenen zu brechen.”
Aber was passiert eigentlich mit jemandem, der gezwungen wird, länger als eine Woche wach zu bleiben? Das habe ich den Psychologen David M. Schnyer gefragt, der an der University of Texas zu den Folgen von Schlafentzug forscht:
„Jemand, der so lange vom Schlafen abgehalten wird, entwickelt normalerweise eine Psychose inklusive Halluzinationen. Er muss gravierende Störungen seiner grundlegenden kognitiven Fähigkeiten erleiden.”
Diese Folgen treten im Übrigen bereits deutlich vor 180 Stunden Schlafmangel auf: Anfang des Jahres fand ein Team aus deutschen und englischen Forschern heraus, dass nur 24 Stunden Schlafentzug „bei gesunden Personen zu Zuständen führen können, die den Symptomen Schizophrener gleichen.”
Nachdem sie die ganze Nacht wach waren, reagierten die Probanden der Studie viel empfindlicher auf Licht und Farben, hatten Aufmerksamkeitsstörungen, sowie zeitliche, olfaktorische und visuelle Wahrnehmungsstörungen. Und damit nicht genug: „Viele glaubten, Gedanken lesen zu können oder berichteten von einer veränderten Körperwahrnehmung”, heißt es weiter in der Pressemitteilung zur Studie. Und das alles wohlgemerkt nachdem die Probanden nur 24 Stunden wachgehalten wurden.
Die CIA-Gefangenen wiesen die gleichen Symptome auf—und mussten dabei zum Teil noch ganze sechseinhalb Tage länger wach bleiben. „Mindestens fünf Gefangene erlitten während der Prozedur verstörende Halluzinationen. Und in mindestens zwei der Fälle setzte das CIA die Quälerei trotzdem unbeirrt fort”, merkt der CIA-Folterbericht an.
„Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass Menschen tatsächlich für so lange Zeit vollständig vom Schlafen abgehalten wurden,” merkte Schnyer zu dem Bericht an:
„Dafür müsste man sie 24 Stunden lang beaufsichtigen und ständig wieder aufwecken. Wahrscheinlich haben die Wächter das Schlafen einfach nur enorm erschwert. Ich denke, die Leute sind auch im Stehen immer mal wieder in einen unruhigen Minutenschlaf gefallen.”
Was die CIA und auch die meisten Schlafforscher nicht geschafft haben, hat ein Kamikaze-Proband bereits vor vielen Jahren an sich selbst ausprobiert. In seinem Experiment ließ er 1965 im Auftrag der Wissenschaft die ganz spezielle Folterform des Schlafentzugs an sich erproben. Er erreichte mit elf Tagen die längste Zeit, die je eine Person in einem kontrollierten Versuchsaufbau wach gehalten wurde: Insgesamt waren es ganze 252 Stunden, die der 17-jährige Schüler Randy Garner im Zuge eines Experiments für eine Wissenschaftsmesse kein Auge zu machte.
Schon am zweiten Tag konnte er nicht mehr fernsehen.
Auf dem Weg zum Weltrekord hörten Garners Augen schon am zweiten Tag auf, sich richtig scharfzustellen, so dass er nicht mehr fernsehen konnte. Plötzlich war es ihm auch nicht mehr möglich, Objekte alleine durch seinen Tastsinn korrekt zu identifizieren; ein Zustand, der als Astereognosis bekannt ist. Am dritten Tag wurde Garner launisch und verlor teilweise seinen Orientierungs- und Gleichgewichtssinn, vergleichbar mit den Symptomen extrem starker Übelkeit.
Am vierten Tag spielte ihm auch sein Gedächtnis Streiche. Er war reizbar, konnte sich auf überhaupt nichts mehr konzentrieren und sah plötzlich Nebelschwaden um Straßenlaternen. Außerdem hielt er ein Straßenschild für einen Menschen. Später wiederum bildete er sich ein, ein legendärer schwarzer Footballspieler zu sein und „verübelte anderen jegliche Bemerkungen über seine Fähigkeiten und die negroide Rasse”, wie es ein Paper aus der Zeit politisch inkorrekt ausdrückt.
Es ist verständlich, dass die CIA verkündet, wie nutzlos solche Techniken sind.
Der Zusammenhang zwischen Schlafmangel und chronischen Krankheiten ist bereits in vielen Studien nachgewiesen worden. Zu den fatalen Nebenwirkungen gehören Diabetes, Depression, Fettleibigkeit und Herzkrankheiten. Laut Schnyer verursacht Schlafentzug vor allem langfristige Schäden, weil er eine „Kaskade an Stoffwechselreaktionen auslöst. Die meisten davon sind stressbedingt und giftig für das Gehirn.”
In einem Memo des Verteidigungsministeriums genehmigte das US-Militär 2002 den Einsatz von erzwungenem Schlafentzug für eine Dauer von maximal 72 Stunden—eine Regel, die das CIA ganz einfach großzügig ignorierte. Die Behörde räumt sogar ein, dass die Folter gar nicht so produktiv dafür gewesen sei, an die gewünschten Informationen zu gelangen. Wenig ergebnisreich war auch die Folter von Unschuldigen, die die CIA bei der Gelegenheit auch gleich in einer kleinen Randnotiz zugab.
Verständlich, dass die CIA öffentlich verkündet, wie nutzlos solche Techniken seien. Frische Studien zeigen nämlich, dass Schlafentzug auch zu verfälschten Erinnerungen führt—ganz abgesehen von der verzerrten Selbstwahrnehmung, die damit einher geht.
Nach 56 Stunden Schlafentzug im aufrechten Stand litt auch Arsala Khan unter verstörenden Halluzinationen. Zu diesem Zeitpunkt begann die CIA endlich, ihre Schlüsse zu ziehen und realisierte, dass Khan „kein Subjekt zu sein scheint, das in (…) akute Pläne oder Aktivitäten gegen US-Einrichtungen oder deren Mitarbeiter involviert ist”, heißt es in der Kurzfassung des aktuellen Folterrports.
Laut dem Bericht erlitt auch Janat Gul „furchtbare” Halluzinationen in Folge des Schlafentzugs. Der Aufseher des Geheimgefängnisses, in dem er festgehalten wurde, notierte daraufhin lakonisch:
„Es gibt einfach kein triftiges Argument, auf das wir uns berufen können, welches die weitere Internierung von [Janat Gul] an einem Ort wie [Ort des Gefängnisses geschwärzt] rechtfertigen würde.”