Am Freitagnachmittag hat der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto getweetet, dass der berüchtigtste Verbrecher des Landes, Joaquín Guzmán Loera, besser bekannt unter seinem Spitznamen „El Chapo” („Der Kurze”), erneut in Gewahrsam sei. Als Chef des Sinaloa-Kartells ist Guzmán im Grunde ein größerer Fisch als selbst Pablo Escobar zu dessen Hochzeiten. Fest steht, dass El Chapo für einen großen Anteil des weltweiten Drogenhandels verantwortlich war—und auch für die routinemäßigen Entführungen und Morde, die in dieser Welt so verbreitet sind.
Seine Flucht aus einem mexikanischen Gefängnis durch ein ausgeklügeltes Tunnelsystem vergangenen Juli machte den Kartellboss nur noch berüchtigter. Und da ihm bereits in mehreren US-Staaten Verbrechen zur Last gelegt werden, haben sich seit Guzmáns Flucht (seiner zweiten aus einem Hochsicherheitsgefängnis) viele gefragt: Was passiert, wenn er erneut gefasst wird? Wird die US-Regierung ihn ausliefern und anklagen können? Immerhin schien Guzmáns Herkunftsland Schwierigkeiten damit zu haben, ihn in seinem Gewahrsam zu behalten. Berichten zufolge hatte Washington nur Wochen vor seiner letzten Flucht versucht, eine solche Auslieferung zu bewirken.
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Doch alle praktischen Fragen zu Guzmáns Schicksal waren erst einmal vergessen, als dieses Wochenende Rolling Stone eine riesige Story von 10.000 Wörtern Umfang über El Chapo veröffentlichte—verfasst vom Schauspieler Sean Penn.
Anscheinend ist der 55-Jährige im Oktober nach Mexiko geflogen, wo er sieben Stunden mit dem Kartellboss verbracht hat. Das Treffen wurde durch Kate del Castillo vermittelt, eine mexikanische Schauspielerin, die einst im Fernsehen einen Gangsterboss gespielt hat und die bereits mit El Chapo in Kontakt stand, weil er sie durch seinen Anwalt kontaktiert hatte, um über sein Biopic-Vorhaben zu sprechen.
Inzwischen hat sich herausgestellt, dass Kate del Castillo auch etwa seit diesem Zeitpunkt unter der Überwachung mexikanischer Behörden stand. Wie die mexikanische Zeitung El Universal berichtet, soll diese Kontaktaufnahme im August 2014 geschehen sein und die Überwachung der Schauspielerin soll damit bereits lange vor El Chapos spektakulärer Flucht im Juli 2015 in vollem Gange gewesen sein. Die Zeitung erklärt weiter, der Kontakt zwischen Castillo und Guzmán habe aus Briefen sowie mehreren Treffen bestanden, bevor sie sich gemeinsam mit Sean Penn ein weiteres Mal gegenüberstanden. Diese Behauptungen werden glaubhaft mit einem offensichtlich aus weiter Ferne geschossenen Foto illustriert, auf dem die Begrüßung zwischen den Dreien zu erkennen ist.
Das Szenario ist fast zu bizarr, um wahr zu sein. Der Typ aus Ich glaub’ ich steh’ im Wald hat den Drogenboss ausfindig gemacht, den die Regierungen zweier Länder nicht schnappen konnten. Es ist sogar noch verrückter, wenn man im ersten Absatz der Story liest, dass Penn immer noch nicht weiß, wie man mit einem Laptop umgeht.
Nicht nur Regierungen fühlen sich von dieser Aktion bloßgestellt, sondern auch Journalisten. Ein Exklusivinterview mit dem größten flüchtigen Verbrecher der Welt ist so etwas wie der heilige Gral, und es gibt Mitglieder der Presse, die bereits Jahre damit verbracht haben, unter Gefahr für Leib und Leben die Unterwelt der mexikanischen Drogenkartelle zu untersuchen. El Chapo durfte die Story vor ihrer Veröffentlichung begutachten, weshalb Experten nun darüber diskutieren, ob das Magazin einen wichtigen Grundsatz der journalistischen Ethik missachtet hat. In dem kurzen eigentlichen Interview am Ende des Artikels lassen Penns Fragen Einiges zu wünschen übrig. Es ist so, als hätte man Gott vor sich und dürfte nur eine Frage stellen, und als würde man sich dann entscheiden zu fragen: „Und, was ist so deine Lieblingsfarbe?”
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Außerdem fühlt man beim Lesen des Artikels eine gewisse Fremdscham, weil er so aufgebläht und egozentrisch ist. Die Erzählung des Schauspielers, die mit dem französischen Renaissance-Philosophen Montaigne beginnt und auch schon einmal auf Penns Penis abschweift, wurde online bereits massiv durch den Kakao gezogen.
Jedenfalls hat ein mexikanischer Gesetzeshüter am Sonntag Associated Press gegenüber gesagt, das Interview mit Penn habe bei der Festnahme El Chapos geholfen. Sicherheitskräfte führten wenige Tage, nachdem die zwei sich im ländlichen Tamazula im Bundesstaat Durango trafen, einen Einsatz in diesem Gebiet durch und nahmen El Chapo schließlich am Freitag nach einem Schusswechsel in seinem Heimatstaat Sinaloa fest. Das von El Universal veröffentlichte Überwachungs-Foto von Castillo, Penn und Guzmán legt nahe, dass diese Angabe der Wahrheit entspricht.
Es bleibt jedoch weiterhin unklar, ob der Schauspieler mit den Behörden zusammengearbeitet hat oder einfach in seiner Berichterstattung ausreichend fahrlässig war—auch wenn er in dem Rolling Stone-Artikel betont, er habe sich größte Mühe gegeben, den Aufenthaltsort seines Interviewpartners geheim zu halten. Inzwischen haben die Behörden den Prozess der Auslieferung an die USA begonnen—denn angesichts seines extremen Reichtums und Einflusses innerhalb Mexiko ist es dem Land so gut wie unmöglich, den Kartellboss ausbruchssicher zu verwahren.