Zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Charts, stammen die obersten zehn Alben allesamt von deutschsprachigen Künstlern. Eine Top Ten, die nur aus Alben besteht, zu denen sogar deine Oma mitsingen kann; das gab es bisher nur zu Führers Zeiten. Bevor jetzt aber wieder der heimische Stammtisch auf den Tisch klopft und einen Trinkspruch auf die deutsche Dichtkunst hält, lohnt sich ein Blick hinter die Alben, die wir Deutschen wohl so schätzen und was das über den deutschen Musikmarkt sagt.
Auch mit Fernsehshows und Verschwörungstheorien ist Erfolg noch möglich
Gleich drei Platzierungen in dieser Woche hissen die VOXavier-Flagge: Erstens der Sampler der gleichnamigen kuscheligen Lagerfeuer-Show „Sing meinen Song—Das Tauschkonzert“, die von Naidoo gehostet und auf VOX ausgestrahlt wird, zweitens der Sampler von Gregor Meyle, der Naidoos Ziehsohn ist und eine VOX-Show direkt nach dem Tauschkonzert hostet, und zu guter Letzt das erste deutschsprachige Album von Sarah Connor. Die hatte in der ersten Tauschkonzert-Staffel mitgemacht, gemerkt, dass sich deutscher Gesang zur Zeit ganz gut auf dem Konto macht und die Gelegenheit bereitwillig gepackt.
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Dass sich drei Alben aus dem gleichen Umfeld in den Top Ten halten und gleichzeitig Xaviers neuer Ziehsohn Wirtz die Amazon-Albumcharts absolut dominiert, lässt sehr tief blicken: VOXavier wäre eine profitable GmbH und die Wohnzimmer Deutschlands stehen auf harmlose Kuschelmelodien irgendwo zwischen Fremdscham und Phillipp Poisel.
Deutschrap ist so erfolgreich wie nie
Jetzt die guten Nachrichten: Vier Deutschrap-Alben sind diese Woche in den Top Zehn. Dass KC Rebell die Eins geentert hat, ist nach seinem realen Promo-Move für die YouTube-Teenager nicht allzu verwunderlich, obwohl er mit Marsimoto sehr starke Konkurrenz hatte. Die 187er LX & Maxwell schaffen es sogar, sich vor Everybodys Schnuckis Celo & Abdi zu positionieren. Es ist aber eigentlich scheißegal, wer hier wie weit vor dem anderen liegt. Fest steht: Deutschrap ist so erfolgreich wie nie zuvor, was sicherlich nicht nur daran liegt, dass Deutschrapfans gerne limitierte Boxen kaufen.
Overhype ist die halbe Miete
Immer mehr internationale Künstler werfen ihre Alben noch vor dem tatsächlichen Release auf Spotify und iTunes. Lässt natürlich die Promo-Maschinerie heißlaufen, heißt aber auch, dass es keine halbblinden Vorbestellungen einer heiß erwarteten Platte mehr geben kann. Dabei ist dies in unserer heutigen Overhype-Gesellschaft eigentlich wesentlicher Faktor unseres Kaufverhaltens. Wäre etwa ein Album von Majoe auf die Eins gechartet, wenn es bereits vorher auf Spotify erschienen wäre? Der pragmatische Deutsche würde das Album vermutlich nicht mehr kaufen. Nicht ohne Grund bieten viele deutsche Künstler erst einige Zeit nach der Veröffentlichung ihr neues Werk als Stream an. Ist ja nicht jeder Kendrick Lamar, dessen To Pimp A Butterfly trotz vorherigen Spotify-Streams den Weg in zahllose Einkaufswägen fand.
Der Trend zur Single ist hierzulande offenbar noch nicht angekommen
Wenngleich die restlichen drei Alben von Santiano, Pur und Christina Stürmer sicherlich viele Fans in Deutschland zum Kauf bewogen haben, scheint es doch seltsam, dass kein einziges fremdsprachiges Album es wert war, massig bestellt oder wenigstens runtergeladen zu werden. Woran liegt das? Vielleicht spüren wir endlich die Folgen des internationalen Trends, eher auf iTunes-Singles anstatt auf längerfristige Alben Wert zu legen—und wenn doch ein Album, dann ohne Vorankündigung als Überraschung. Wer will sich denn auch schon ein komplettes Pitbull-Album kaufen (ernsthaft, wer)?! Lieber wird der eine Party-Song gekauft, in dem er davon rappt, „Mr. Worldwide“ zu sein. In Zeiten von personalisierten Playlists und einem schieren Überangebot von Musik muss der durchschnittliche Musik-Konsument eben aussortieren.
Die deutsche Sprache wird wieder sexy
Es gab eine Zeit, in der war deutschsprachige Musik so unsexy wie ein Pinguin im Wollpulover. Das heißt nicht, dass sie nicht erfolgreich war. Schlager ist nach wie vor eine sehr lukrative Branche, aber damals wäre es den wenigsten deutschen Künstlern, die versuchen, cool zu wirken, eingefallen, in der Muttersprache zu texten. Sarah Connor zum Beispiel hat sich sogar einen englischen Nachnamen gegönnt. Langsam gewöhnen sich offenbar immer mehr an die Sprache. Nicht nur deutscher Rap kann jetzt Straße sein, auch deutsche Indiemusik kann sexy und Deutschpop cool sein. Schlager gibt es aber trotzdem noch, wie uns die aktuellen Charts mal wieder vor Augen halten, auch wenn es oft als Popmusik getarnt wird.
Kurzum: Die deutsche Musikszene boomt
Auf die Gefahr hin, dass wir uns wiederholen: In der deutschen Musikszene gibt es Großartiges zu entdecken, ist ja klar, dass das früher oder später auch die Charts spüren. In der VWL nennt man das Trickle-down-Theorie. Nur hier trickelt der Qualitätswohlstand eben nach oben, bis in die Top Ten.
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