Geflüchtete gehören zu Berlin, München oder Buxtehude genauso wie dein Lieblingsitaliener um die Ecke oder die türkische Gastarbeit-Rentnerin in deinem Wohnblock. Sie sind die neue Normalität in Deutschland. Unsere syrischen, afghanischen oder senegalesischen Mitbürger und Mitbürgerinnen haben hier ihre zweite Heimat gefunden und werden so schnell nicht gehen – auch wenn das Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten oft fordern.
Geflüchtete gehen in Clubs tanzen, hängen im Park ab, lernen und arbeiten. Das könnte alles so leicht sein, wenn sie sich nicht als “Flüchtlinge” outen müssten. Denn das verändert etwas: Menschen verlieren das Interesse, gehen einfach oder bemitleiden sie. Manchmal dienen sie einfach nur als Projektionsfläche für Klischees und für rassistische Stereotype. Drei Flüchtlinge erzählen, wie sie mit Vorurteilen umgehen, damit sie in der deutschen Öffentlichkeit nicht auffallen.
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Saker Oubaid, 23, Barmann
“Bis vor zwei Jahren hatte ich einen langen Bart und Haare bis zu den Schultern. Selbst meine Freunde haben mich für den Bart ausgelacht. Sie meinten, ich sehe wie ein richtiger Araber aus der Wüste aus. Jedes Mal, wenn ich in München durch den Hauptbahnhof gegangen bin, hat mich die Polizei kontrolliert. Ich habe es nicht mehr ertragen und den Bart abrasiert, obwohl ich ihn sehr mochte. Ich fühlte mich mit langem Bart selbstsicherer und männlicher.
Damals war ich Single und bin in Clubs gegangen. Um Frauen kennenzulernen, habe ich oft gelogen und gesagt, dass ich halb Araber, halb Brasilianer bin. Die Menschen in Deutschland haben von syrischen Flüchtlingen sofort ein Bild im Kopf: ein bärtiger, unzivilisierter Mann, der sich nicht beherrschen kann, Frauen nicht respektiert und sie angrabscht. Brasilianer klingt nicht gefährlich und interessanter. Wenn ich das gesagt habe, war es auf einmal leichter, die Hemmschwelle war nicht mehr so groß und die Chancen erhöhten sich, dass eine Frau sich mit mir unterhält. Ich habe schnell gelernt, dass ich in der Öffentlichkeit in Deutschland nicht so sein kann, wie ich will. Ich habe gelernt zu schauspielern. Ich habe mir abgeschaut, wie die Deutschen sich verhalten und habe das nachgemacht.
In Clubs habe ich deutsche Männer beobachtet, die Frauen angemacht haben. In Deutschland geht man schnell aufeinander zu und unterhält sich sehr distanziert: erst Smalltalk, dann immer tiefer, bis man sich sagt, dass man sich mag. Bei uns läuft das anders: Wir halten erst Abstand, lächeln uns unauffällig an, erst wenn man ein Zeichen bekommt, geht man hin und steckt eine Telefonnummer zu oder bekommt eine zugesteckt. Man trifft sich dann draußen und redet so, als wäre man schon ineinander verliebt, sagt sich Komplimente, die sich anhören wie Gedichte: ‘Deine Augen sind so süß wie Honig’ oder ‘Du riechst nach Rosenblüten’. Wenn ich so mit deutschen Frauen geredet habe, waren sie überfordert. Ich habe mir das abgewöhnt.
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Seit einem Jahr bin ich verheiratet, habe ein Kind und lebe in Tübingen. Es hat sich viel verändert, aber in gewissen Situationen verstelle ich mich noch. Ich will nicht auffallen oder dass jemand ein falsches Bild von mir bekommt.
Meine Frau ist Deutsche. In unserer Wohnung haben wir Matrazen für den Boden, um darauf zu sitzen wie in Syrien. Wir haben extra eine Couch für meine Schwiegereltern im Wohnzimmer gelassen, weil sie nicht daran gewöhnt sind, auf dem Boden zu sitzen.
Wenn sie kommen, verhalte ich mich möglichst deutsch. Eigentlich liebe ich es, mit der Hand zu essen. Es fühlt sich direkter an und schmeckt mir einfach besser. Vor meinen Schwiegereltern verstecke ich mein Essverhalten. Die finden das eklig und denken, ich komme aus dem Mittelalter. Einmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich meine Hand zum Essen geführt habe. In der letzten Sekunde habe ich dann doch zum Löffel gegriffen.”
Mohammed Agiad Malek, 30, ehrenamtlicher Koordinator
“Ich vermeide Diskussionen über kontroverse Themen. Ich wurde oft gefragt, was ich vom Kopftuch an Schulen halte. Ich habe gesagt, dass ich es gut finde. Weil ich Moslem und Syrer bin, haben mich viele Deutsche gleich in eine islamistische Ecke gesteckt, aber das hat erstmal nichts mit dem Islam zu tun. Ich verteidige die Freiheit von jedem und wenn sich eine Frau freiwillig entscheidet, ein Kopftuch zu tragen, dann soll mir das recht sein. Wir leben in einem demokratischen Land, das heißt, wir dürfen nicht nur die Freiheit des einen verteidigen, aber den anderen einschränken. Sollte jemand nackt herumlaufen wollen, dann soll er das machen.
Ich habe das Gefühl, meine Meinung nicht frei äußern zu können. Für mich gibt es Tabuthemen, zum Beispiel der Besuch von Özil beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Darüber rede ich nicht mehr, weil ich in einer Diskussion emotional und wütend werde.
Ich habe lange als ehrenamtlicher Übersetzer mit einem Anwalt für Asylrecht gearbeitet. Er hatte einen türkischen Migrationshintergrund. Einmal haben wir in einem Restaurant gegessen. Er machte einen schlechten Witz, der so klang wie: Integration geht bei euch, solange man weiter Frauen schlagen darf. Ich wurde richtig wütend und habe ihm gesagt, dass ich drei Schwestern habe, dass er sich gerade ihnen gegenüber respektlos geäußert hat und er sowas nie wieder sagen darf – nicht einmal als Witz. Ich habe mich gefragt, wie ein Asylrechtsanwalt, der selber Migrationshintergrund hat, so etwas sagen kann.
In Berlin fühle ich mich wohl, weil jeder Ausländer ist – auch die Deutschen. Es ist eine tolle Stadt. Ich habe Freunde in München. Dort verhalten sich Polizisten, als wären Syrer Menschen zweiter Klasse. Mit der Berliner Polizei hatte ich nie Probleme. Ich bin Syrer und bleibe Syrer, darüber lüge ich nicht. Vielleicht wird Deutschland aber bald meine zweite Heimat.”
Majid Karkour, 23, Bistro-Mitarbeiter
“Als ich nach Deutschland gekommen bin, war ich noch ein Teenager. Ich habe den Deutschen immer ehrlich gesagt, dass ich Syrer bin. Aber dann habe ich bemerkt, sie behandeln mich plötzlich anders. Sie haben mich immer traurig angeschaut, als müssten sie mich bemitleiden. Ich wurde wie ein kleines Kind behandelt. Und ich musste damals die immer gleiche Geschichte erzählen: der Bürgerkrieg in Syrien, meine Flucht nach Deutschland, die Bootsfahrt auf dem Mittelmeer. Als gäbe es nichts Interessantes über mein Leben mehr.
Ich wollte einfach das Wort “Flüchtling” nicht mehr hören. Ich habe es nicht mehr ertragen. Ich will einfach als Mensch wahrgenommen werden. Dafür bin ich bereit zu lügen. Sonst geht es immer um Krieg und Leid. Das ständige Erzählen hat mich immer zurückgeworfen, ich musste oft daran denken, obwohl ich damit abschließen wollte. Ich vermisse dann mein Land, meine Familie und Freunde. Ich habe sie seit vier Jahren nicht gesehen.
Im Club will ich abschalten, mit meinen Freunden Spaß haben und neue Leute kennenlernen. Vor allem da hat es mich genervt, dass ich auf das Syrer-Sein reduziert werde. Mir ist es oft passiert, dass ich mit jemandem getanzt habe und nach einer kurzen Zeit ist die Person einfach gegangen. Seitdem sage ich: Ich komme aus Ägypten und studiere in Deutschland. Das funktioniert, weil ich mit meiner Familie dort ein paar Jahre gelebt habe. Ich kenne die Kultur und kann den Akzent sprechen.
Für meine Freunde bin ich einfach Majid. Denen ist es zum Glück nicht wichtig, woher ich komme.”