Im nicht mehr ganz so Vereinigten Königreich gibt es neben Britpop, Gingergott Ed Sheeran, Adele und One Direction (Gott – also der andere – habe sie selig) einen Musikexport, der in England und international mindestens genau so viel Beachtung verdient: Grime. Wer sich das heurige Boy Better Know Glastonbury Headlining-Set von der zweitgrößten Bühne angesehen hat, weiß, wie groß Grime dort ist. Ed Sheeran, der gleichzeitig die Hauptbühne bespielt hat, gab auch seine Version von “Too Many Man” ab. Unsere Kollegen von der Insel sagen aber, dass man es eher vermeidet, darüber zu sprechen. Es sind sich dort aber alle recht einig, dass Grime rult.
Und das nicht unbegründet. Grime traut sich zu experimentieren und sich konstant weiterzuentwickeln. Es werden ständig neue Einflüsse aus Club- und HipHop-Genres miteinbezogen. Das wissen Drake, der bei Boy Better Know gesignt ist und Kanye, der die ganze BBK-Crew bei den Brit-Awards auf die Bühne geholt hat, auch schon länger. Und selbst in Wien sieht man Bauchtaschen tragende Menschen zu “Shutdown” von Skepta auszucken. Ein paar wenige Grime-Enthusiasten geben sich seit Jahren die Mühe, das einflussreiche Genre in Wien zu etablieren. Ich hab mich mit ein paar von ihnen getroffen und angesehen, wie es bei uns um Grime steht.
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Aber bevor ich also anfange, den Wiener Grime zu beleuchten, sollte man sich die Geschichte des Genres ansehen, um zu verstehen, warum die Rapper oft sehr cholerisch wirken und was Calvin Harris darin zu suchen hat.
A short history of Grime
Anfang der 2000er-Jahre hatten ein paar Leute in East London genug vom immer mehr kommerzialisierten UK Garage-Sound und fingen an, in Fruity Loops ihre eigenen Soundvorstellungen zusammenzubasteln, darüber zu rappen und das Ganze an Piratenradiosender zu verteilen. Was dabei rauskam, orientierte sich zwar noch im Grunde noch an Garage, klang aber letztlich viel härter, dissonanter und dreckiger als die Vorlage – Grime (zu deutsch: Dreck) war geboren und es dauerte nicht allzu lange, da wurden nicht nur die Piratensender darauf aufmerksam.
Es verstand sich als das Ventil der Jugendlichen, die in Tower Blocks aufwuchsen und sich teilweise in Gangs gegenseitig bekriegten. Grime-Partys seien oft von der Polizei aufgelöst worden, weil Messerstechereien ausbrachen oder sogar geschossen wurde. So erzählt es Dizzee Rascal zum Beispiel in der Doku über Grime vom Dazed Magazin. Und wie emotional aufgeladen Rap-Battles zwischen Grime-MCs sein können, zeigt dieses alte Video von Dizzee und Crazy Titch, das in einer Rauferei endet.
Dizzee ist mittlerweile ein Aushängeschild des britischen Grime, auch wenn er schon länger lieber kommerziell ansprechende Songs schreibt. Er etablierte sich neben Wiley, Kano, Skepta, JME, Lethal Bizzle als einer der ersten UK-Grime-Künstler und seine Geschichte spiegelt die des Genres ganz gut wider. 2003 hat er im Alter von 19 mit seinem Debüt-Album Boy in Da Corner mal eben einen Meilenstein des Genres und der Musikgeschichte generell rausgehauen, Mercury Prize inklusive. 2009, zwei Alben später, seh ich ihn in München zum ersten Mal live, als er am Zenit seiner Bekanntheit war.
Es war aber auch ein Höhepunkt seiner Pop-Phase. Zu “Dance Wiv Me” und “Bonkers” (die er jeweils mit Calvin Harris und Armand van Helden schrieb) tanzte man in dieser Zeit auf jeder Party, weil die Songs leicht zugänglich waren und sich jeder dazu bewegen konnte. Also das Gegenteil von Grime. Skepta versuchte es zur selben Zeit ebenfalls mit einer Pop-Karriere – zum Leid aller. Grime erging es also nach seinem Höhenrausch genau wie seiner ursprünglichen Inspiration, dem UK-Garage, und verlor sich immer mehr in lukrativer Chartmusik. Dann passierte ein paar Jahre lang wenig bis nichts und nur vereinzelt blieben die ursprünglichen Grime-Größen ihren Wurzeln treu.
Fast Forward ins Jahr 2014. Skepta hat sich wieder zurückbesinnt und haut mit “That’s not me” nicht nur einen Banger im alten Grime-Stil raus, sondern zeigt auch gleichzeitig Reue für seine Glitzerzeit (“Yeah, I used to wear Gucci / I put it all in the bin cause that’s not me”). Mit Stormzy taucht ein neues Gesicht im Grime auf, das nicht nur auf klassischen Beats (zB “Functions on the Low” von DJ XTC) rappt, sondern auch vergleichbar schnell außerhalb Großbritanniens viel Aufmerksamkeit bekommt.
Wie eingangs schon erwähnt holt Kanye 2015 die BBK-Jungs zu den Brit-Awards, ein recht bekannter Kanadier wird 2016 auf BBK gesignt und Skepta gewinnt den Mercury, nachdem er Drake und Beyoncé in den britischen Albumcharts hinter sich ließ. Grime hat sich wieder aufgerafft und auch in Wien hört man mit ein bisschen Verzögerung wobbelnde Beats in den Clubs und sieht Leute mit Bauchtaschen, Adidas-Trainingsanzügen und Nike-Caps rumlaufen.
Grime in Österreich
Dabei gab es auch schon in den Anfangszeiten des Grime Anhänger in Österreich. Peter Jeidler alias P.Tah machte Mitte der 2000er noch mit der Hörspielcrew HipHop, interessierte sich aber damals schon für Grime. Seit der Auflösung der Crew releast er unter seinem eigenen Namen und produziert mit österreichischen Artists wie DMG, Lost Tourist, Con, Johnny C’manche, Mirac, Tenchu und Flo Atomique. Mit Duzz Down San betreibt er auch ein HipHop-Label. Er weiß, wie es Anfang der 2000er Jahre um Grime in Wien stand.
Natürlich sei es vor YouTube und Spotify um einiges schwieriger gewesen, mitzukriegen, was auf der Insel passiert, erinnert er sich. “Für mich war der Hauptanknüpfungspunkt zu Grime der Bounce Records-Plattenladen gegenüber vom Roxy. Dort gab’s Whitelabel-Testpressung und Grime Vinyls, die ich sonst nur von irgendwelchen Mp3s in miesester Qualität kannte”, sagt Peter. Betrieben haben den Nischenplattenladen Rainer Gessmer, Roswell 47 und DJ Plak.
Bounce Records gibt es jetzt schon länger nicht mehr, aber DJ Plak sieht man heute noch manchmal hinter den Decks. Neben dem Plattenladen gab es damals auch schon ein paar UK-Sound-Partys in Wien, auf denen natürlich auch Grime nicht gefehlt hat. Unter UK-Sound fällt by the way auch Dubstep (der gute), Garage und UK-Bass zum Beispiel, manchmal auch Drum’n’Bass.
Unter anderem konnte man in Wien auf den Grime Pays-Partys seinen inneren Briten rauslassen. Bei der Reihe sind zum Beispiel schon 2006 Boy Better Know-Gründer JME, sein Bruder Skepta und DJ Maximum aufgetreten und Atomique und Plak machten den Support. So ein LineUp würde heute wahrscheinlich sehr viele Leute glücklich machen, damals zogen die Veranstaltungen aber noch nicht wirklich viele Besucher an, wie Peter erzählt. Dafür seien die Leute, die es dort hin verschlagen hat, echte Liebhaber gewesen. Mit Klub Sir3ne und dubstep.at-Partys gab es noch zwei weitere Reihen, die sich dem UK-Sound verschrieben hatten.
Dann wirkte sich der Umschwung der britische Grime-Szene zu Pop-Gefilden auch auf die Szene in Österreich aus. Peter B. Ranks, der bis 2013 die RAW-Partys in Wien betrieb, erzählt, dass nach und nach immer weniger Leute kamen, bis auch sie die Reihe einstampfen mussten. Es war eine dunkle Zeit für alle Hardcore-Grime-Heads. Aber wie bereits ein paar Absätze weiter oben gespoilert wurde, besann sich das Genre wieder auf seine Ursprünge und erholte sich vom Glam.
Kasun Jayatilaka, den man auch als Noisey-Autor kennt, fing 2015 unter dem Namen BLVZE an, in Wien Partys zu veranstalten, anfangs jedoch hauptsächlich mit Bass-Musik im weitesten Sinn. Nachdem sich ein Jahr später die beiden Peters anschlossen, hörte man bei BLVZE-Veranstaltungen Grime, was dank der neuaufgeflammten Euphorie auch gut bei den Leuten ankommt. “In den letzten zwei Jahren merkt man, dass nicht nur wieder gute Musik kommt, sondern es die Leute auch wieder interessiert”, sagt Peter B. Ranks. Die drei buchen und präsentieren seither auch internationale Acts wie Sir Spyro oder Grime-Urgestein Wiley, der mit seinen Eskibeats den Sound des Genres quasi erfunden hat. Ja, Wiley hätte eigentlich nach Wien kommen sollen, musste aber leider absagen. Der Vorverkauf sei aber ohnehin nicht gut gelaufen, wie mir Peter Jeidler erzählt, was verwunderlich ist, da Stormzy ein paar Monate davor für ein knallvolles Flex sorgte.
Wenn man sich mit Grime aus Österreich auseinandersetzt kommt man an zwei weiteren Akteuren nicht vorbei: Moerky Moerk und DMG, der bereits weiter oben unter den österreichischen Grime-Produzenten erwähnt wurde. DMG produziert nicht nur und veranstaltet mit Moerky die UK-Menu-Reihe, die ihren Sound schon im Namen hat, sondern ist auch beim jungen Label Sub Audio involviert. Als eines der wenigen Labels in Österreich erscheinen hier neben Dub, Dubstep und UK Bass auch Grime Platten.
Labelinhaber Georg Gnischrew kann sich bereits acht Releases inklusive drei physische Platten ins Resümee schreiben. Leicht sei es aber nicht in Österreich, mit seiner Genreauswahl, sagt er. Was Grime und UK Sounds betrifft ist Wien also etwas schizophren. Einerseits gibt es mit Ashida Park, UK Menu, BLVZE und Basstrace heute wieder genug Veranstaltungen, um regelmäßig zu Grime und anderen UK-Genres fortzugehen, andererseits bleibt die Community seit einiger Zeit etwa gleich groß und pure Grime Partys wird man hier nur ganz selten erleben. Andererseits ist es auch eine Stärke von Grime, sich so gut mit anderen Genres wie Dubstep und sogar Trap zu vermischen und in den Produktionen einfließen zu lassen, ohne seine Identität völlig aufgeben zu müssen.
Das Genre hat wahrscheinlich aus den Pop-Ausrutschern gelernt und es sieht so aus, als könnte das mit Grime und Wien doch noch was werden. Wenn auch nur ein bisschen Hype von den britischen Inseln zu uns rüberschwappen sollte, wisst ihr, auf welche Partys ihr gehen könnt und auf welche Künstler und Produzenten ihr schauen müsst. Und jetzt wisst ihr auch, wem P.Tah da in seiner neuen Single “Einige Dubz” Shoutouts gibt.
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