Popkultur

Was genau ist eigentlich dieses S-Zeichen, das früher alle gemalt haben?

Ich muss so um die acht Jahre alt gewesen sein, als mir irgendjemand gezeigt hat, wie man das berühmte S malt. Man beginnt mit zwei Reihen von je drei parallelen Linien, die man von links oben nach rechts unten diagonal verbindet und dann oben und unten mit zwei Spitzen versieht. Ein auffälliges und wunderschönes S. Es aufs Papier zu bringen, entwickelte sich schnell zur Sucht.

Und so sollte ich schon bald alle meine Schulbücher mit dem S zukleistern. Dabei habe ich nie hinterfragt, was das S eigentlich bedeutet oder wo es überhaupt herkommt. Ich wusste einfach nur, dass es mir gefällt. Und ich war nicht alleine.

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Vor Kurzem habe ich nach dem S gegoogelt und dabei herausgefunden, dass es zwar jeder kennt und liebt, die Ursprünge aber nicht klar sind. In anderen Worten: In verschiedenen Reddit– und Internetforen tummeln sich unglaublich viele nostalgische Menschen ohne wirkliche Ahnung.

Man kennt das S in Nord- und Südamerika, in Europa, in Russland, in Asien und auch in Australien. Manche Leute gehen davon aus, dass es sich dabei um ein 90er-Phänomen handelt. Andere erzählen wiederum davon, das S schon in den 60ern gesehen zu haben. Es gibt Theorien, laut denen das S das Logo einer 80er Jahre Hair-Metal-Band darstellt. Oder war es doch das eigentliche Emblem der Klamottenmarke Stüssy bzw. eine Abwandlung des Superman-Zeichens? Niemand weiß es.

Aus diesem Grund habe ich mich mal im VICE-Büro umgehört.

“Das ist das Superman-S”, meinte Ben, unser Grafik-Magier, mit grübelnder Miene. Ich wollte wissen, ob es tatsächlich in den Comics zu finden sei. Ben verneinte meine Frage. “Ich glaube aber, dass die Kinder genau das im Kopf haben, wenn sie das S malen. Sie machen das wohl nur, weil sie es cool finden.”

Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Also rief ich bei DC Comics an. Laut Benjamin LeClear, dem Manager des hauseigenen Comic-Archivs im kalifornischen Burbank, hat das S nichts mit Superman zu tun.

“Dieses S hat keine Ähnlichkeit mit irgendeinem der alten Superman-Embleme”, meinte er, nachdem er ein wenig durch die DC-Sammlung gestöbert hatte. “Sein S ist viel offener und hat in sich fast keine Berührungspunkte.”

Benjamin sagte aber auch, dass ihn jetzt die Neugier gepackt hätte. Deshalb stellte er selbst auch Nachforschungen an, die jedoch ins Nichts führten. “Mir war gar nicht klar, was für ein Mythos sich um dieses spitze S rankt”, meinte er. “Ich fände es cool, wenn es wirklich etwas mit Superman zu tun hätte, aber das ist wohl nicht der Fall. Superman hat allerdings das berühmteste S-Symbol aller Zeiten definitiv für sich gepachtet.”

“Das ist doch das Stüssy-S!”, rief Ramona aus unserem Producer-Team. Obwohl sie nicht davon ausging, dass das Logo tatsächlich etwas mit Stüssy zu tun hat, weigerte sie sich, es irgendwie anders zu nennen. “Das Teil heißt auf jeden Fall ‘Stüssy-S’”, sagte sie und zeichnete anschließend ihre eigene Version, die natürlich nicht mal halb so gut war wie meine.

In fast jedem Internetforum dieser Welt findet man in Bezug auf das S eine Erwähnung vom kalifornischen Streetwear-Label Stüssy, das der Surfer Shawn Stussy in den 80er Jahren ins Leben gerufen hatte. Viele Menschen scheinen überzeugt davon zu sein, dass das S ursprünglich ein Stüssy-Logo war. Also habe ich dort mal angerufen.

“Nein, dabei handelt es sich nicht um ein altes Stüssy-Logo”, sagte Emmy Coates, die schon seit 1985 mit Shawn Stussy zusammenarbeitet. “Diese Frage höre ich oft. Man hat dieses S jedoch schon lange vor der Gründung von Stüssy gemalt. Irgendwie ist man einfach davon ausgegangen, dass es mit uns zusammenhängt. So hat sich dieser Mythos verbreitet. Eigentlich ganz witzig.”

Ich fragte Emmy noch, was sie zu dem S denkt. “Für mich sieht es wie das Suzuki-Logo aus”, antwortete sie mir.

Zwar juckte es mir in den Fingern, auch noch bei Suzuki anzurufen, aber ich ließ es dann trotzdem bleiben. Ich musste zuerst mal kurz etwas Abstand nehmen und den größeren Zusammenhang betrachten. Deshalb kontaktierte ich auch den Symbol- und Semiotik-Experten Paul Cobley.

Cobley ist ein Sprach- und Medienprofessor an der Middlesex University von London. Die Hair-Metal-Theorie ist laut ihm ebenfalls Humbug. “Dabei handelt es sich auf keinen Fall um das Saxon-Logo”, meinte er, “denn das ist viel ausgefallener und mit zwei Speerspitzen versehen.” Anschließend lieferte er mir die wohl wahrscheinlichste, aber leider auch langweiligste Erklärung für das S: Es macht einfach nur Spaß, es zu malen.

“Diese Zeichnung ist bei jungen Menschen wahrscheinlich so beliebt, weil es sich dabei um ein Möbiusband handelt”, erklärte er mir und bezog sich mit dieser Aussage auf diese “unmöglichen” Figuren mit nur einer Oberfläche, die M. C. Escher so gerne gezeichnet hat. “Man kann das S nicht in einem Zug malen, aber es besitzt trotzdem einen beständigen Fluss.”

Ich glaube, Cobley ist da schon auf dem richtigen Weg. Die meisten Neunjährigen besitzen keine wirklichen künstlerischen Fähigkeiten und rasten dementsprechend auch richtig aus, wenn man ihnen zeigt, wie man eine doch ziemlich coole Figur einfach so aufs Papier bringt—vor allem dann, wenn diese Figur die ausgeklügelten und mathematischen Eigenschaften eines Möbiusbands besitzt.

Das S ist also weder ein altes Stüssy-Logo oder Superman-Emblem noch ein Geschenk von Aliens. Nein, es macht einfach nur verdammt viel Spaß, es zu malen.