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Was ich erlebt habe, als rechte Medien über meine “Sex-Orgien” berichteten

Die Autorin Fredi Ferkova schaut in die Kamera, neben sie sind Schlagzeilen montiert, die auf die "Sex-

Vor Corona war ich eine Party-Veranstalterin, auch für sexpositive Partys. Das ist schon sehr lange her und fühlt sich wie das “It’s been 84 years”-Meme an. Seit bald drei Jahren arbeite ich in der Politik im Social-Media-Bereich. Ich arbeite für die NEOS in Wien, eine Bürgerinnenbewegung, die sich 2012 auf Bundesebene formiert hat, seitdem schnell gewachsen und bereits in die Wiener Stadtregierung gekommen ist. Mit den sexpositiven Partys hatte das eigentlich nichts zu tun.

Bis zu meinem Geburtstag im März 2021. Alles schien gut zu laufen, bis im Morgenmeeting der Pressespiegel durchgesprochen wurde. Es gäbe da einen Artikel über mich, sagte jemand. Das hat mich im ersten Moment durchaus verwundert. Ein Artikel über mich? Ich verbrachte meine Tage damit, zu Hause zu sitzen und zu versuchen, keine Depression zu entwickeln. Das empfand ich nicht als sonderlich berichtenswert. Ich habe auch keine politische Funktion und bin nicht mal Mitglied der Partei. 

Videos by VICE

Die Headline auf unzensuriert.at lautete:

Screenshot: unzensuriert.at

Dazu muss man wissen, Unzensuriert ist ein Medium, dass der österreichischen Freiheitlichen Partei, der FPÖ, zugeordnet wird. Die AfD ist ihre Schwesterpartei. Die FPÖ hatte die Hauptrolle beim Ibiza-Video besetzt, das 2019 unsere Regierung gesprengt hat. 

Als ich die Meldung las, dachte ich erst: Uff. Und dann: Das “professionell” mussten sie dazu schreiben, weil sie in den eigenen Reihen eher unprofessionelle Sexpartys veranstalten.

Es waren aber keine “Sex-Orgien”, sondern sexpositive Partys in Wien, die ich mit unserem Kollektiv “hausgemacht” organisiert habe. Du weißt schon, das KitKat-Programm quasi: Alle sollen sich frei fühlen und ihre Sexualität ausleben – oder auch nicht, wenn sie gerade keine Lust haben. Ich weiß nicht, ob zuerst die hungrigen Medien da waren oder 1.000 Gäste pro Party, jedenfalls waren wir erfolgreich und wurden oft für Interviews angefragt. Auch ich gab welche – mit immer denselben Antworten.

Die Wege der österreichischen Rechten sind unergründlich, außer man filmt sie auf Ibiza.

Die Partys machen wir also schon länger als ich in der Politik arbeite. Aber seit über einem Jahr veranstalte ich absolut gar nichts mehr, weil wir eine Pandemie durchleben.

Warum Unzensuriert sechs Monate nach dem letzten Interview und 14 Monate nach der letzten Party drauf kommt, dass ich involviert war, ist mir bis heute ein Rätsel. Die Wege der österreichischen Rechten sind unergründlich, außer man filmt sie auf Ibiza oder beobachtet sie in Telegram-Channels. 

Der Artikel über mich war stellenweise ganz unterhaltsam. “Fredi Ferková, die Leiterin der höchst erfolgreichen Social-Media-Stelle der Neos im Wiener Landtagsklub”,  stand da. Eigentlich ja ein Kompliment.  Oder “Wie immer geht es auch im Interview mit BIORAMA um die ach so böse, von dünnen weißen Menschen dominierte Gesellschaft, die unbedingt verändert werden muss, denn in Wahrheit ist ja jeder ‘urschön’”.

Yas Queen, gut zitiert! Darum geht’s. 

Die Reaktionen in meinem Job waren OK. Sie reichten von: “Ich habe mich eh gefragt, wann das kommt” bis “Ha ha, der Artikel ist super lustig”. In den Kommentaren unter dem Artikel wurde sogar darauf hingewiesen, dass es doch wurscht ist, was ich so mache. 

Eine Nachricht eines Users namens
Aus der Kommentarspalte von unzensuriert.at | Screenshot: unzensuriert.at

Um es ganz deutlich zu sagen: Es war trotzdem sehr unangenehm wegen meiner privaten Tätigkeiten in einer Schlagzeile zu landen. Vor allem im Zusammenhang meiner 40-Stunden Lohnarbeit. Und ich finde, eine Partei sollte anhand ihrer politischen Funktionäre, Forderungen oder Maßnahmen bewertet werden. Darüber sollte berichtet werden.

Der Vormittag nach der Veröffentlichung verlief eher unauffällig. Hier und da bekam ich eine Freundschaftsanfrage von irgendwelchen Gerhards und Herberts auf Facebook. Das Problem ist: Medien lieben es, klickreiche Sachen wiederzuverwerten. Und so kam es, dass ein Boulevardmedium, sowas wie die österreichische Bild, von dem rechten Parteimedium abschrieb:

Eine Schlagzeile ist zu sehen: FPÖ-Nahe Seite attackiert NEO-Mitarbreiterin wegen Sex-Orgien
Screenshot: oe24.at

Auch wenn dieser Artikel eigentlich noch netter war, trübte sich zusehends meine Stimmung. Der Online-Ableger von ÖSTERREICH heißt oe24 und ist sehr reichweitenstark. Ich weiß aus meiner Erfahrung als VICE-Redakteurin, dass eine Headline mit “Sex-Orgie” immer geklickt wird, unabhängig vom Inhalt. 

Dann machte ich den größten Fehler, den ich hätte machen können. Ich schaute in die Nachrichtenanfragen.

Alle zehn Minuten klingelte jetzt mein Handy wegen einer Freundschaftsanfrage oder Nachrichtenanfrage. Ich fing an, richtig wütend zu werden. Ich fragte mich, ob vielleicht die Tatsache, dass ich eine Frau bin eine Rolle spielte. Als Mann hätte ich keinen verdammten Facebook-Terror hinter mir. 

Dann machte ich den größten Fehler, den ich hätte machen können. Ich schaute in die Nachrichtenanfragen. Von Dickpicks bis hin zu A4-Seiten voller wirklich verstörender Sexfantasien von Männern jenseits der 40 mit Familienprofilbildern war viel dabei. Überraschenderweise wollten mich gar nicht so viele totbumsen, wie ich es mir erwartet hätte – sie wollten sich nur einen runterholen und mir das mitteilen. 

Das war der Moment in dem ich anfing zu trinken. Wenn ein Gerhard aus einem Loch in Niederösterreich dir detailliert schreibt, was er sich mit dir vorstellt, dann ist das belastend. Meine Kolleginnen und Vorgesetzten kontaktierten mich, um nach mir zu schauen. Das hat mich sehr gerührt. Ich bin um 20:17 Uhr an meinem Geburtstag traurig in den Armen meines Freundes eingeschlafen.

In einem weißen Bett liegen die Autorin und ihr Freund
Foto: Privat

Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. In Österreich gibt es mehrere FPÖ-nahe Medien. Eine davon ist der oberösterreichische Wochenblick. Der kam ganze zwei Tage später drauf, den Text von Unzensuriert wiederzuverwerten. Im Wochenblick wurde ich kurzerhand zur “schönen” Mitarbeiterin befördert und SEX wurde in Capslock geschrieben.

Auf der Schlagzeile steht
Screenshot: wochenblick.at

Im Gegensatz zu den anderen zwei Medien, hat der Wochenblick mein privates Facebook-Profil verlinkt und erwähnt, dass ich bisexuell bin. Als hätte das was mit irgendetwas zu tun. Ich wurde übrigens von keinem Medium kontaktiert und um Stellungnahme gebeten.  

Auf diesen Artikel hin ist mein Handy implodiert und ich war langsam verzweifelt. Wenn man als Social-Media-Managerin arbeitet, gibt es wenig Möglichkeiten, auf Social Media zu verzichten. Man kann nicht schnell mal das Konto deaktivieren oder einfach nicht drauf schauen. Es ist mein gottverdammter Job, online zu sein.

Das große Finale kam, als die konservativ-rechte Oma meiner besten Freundin an zwei sehr wichtige Funktionäre schrieb.

In meiner Verzweiflung habe ich wohl das Peinlichste getan, was ein Mensch unter 30 tun kann: Ich habe auf Facebook meinen Beziehungsstatus geändert – und es auf öffentlich gestellt. Ich cringe noch immer, wenn ich daran zurückdenke. Unter meinem Beziehungsstatus-Update sammelten sich Kommentare von “Wer will die schon ficken” bis zu “Ich will sie ficken”.

Aber es funktionierte tatsächlich, die rechtskonservativen Männer verstanden den Hinweis und die Nachrichtenanfragen und Freundschaftsanfragen kamen nicht mehr im Fünf-Minuten-Takt.

Das große Finale kam, als die konservativ-rechte Oma meiner besten Freundin in voller Sorge eine Mail an zwei sehr wichtige Funktionäre der NEO-Partei schrieb. Zwischen den Zeilen bittet sie darum, mich doch zu entlassen, unterstützt von der Mutter meiner besten Freundin. Sie glaubte wohl, die Beziehung ihrer Enkelin zu mir könnte ein schlechtes Licht auf sie werfen. Zum Glück hielt die Freundin zu mir. 

War es ein Shitstorm? Weiß ich nicht. Ich habe auf jeden Fall mehr über die Sexualität von rechten 45+ Männern erfahren, als ich wissen wollte. Ich halte meine Medienkompetenz und Shitstorm-Toleranz für sehr hoch. Trotzdem war das alles psychisch sehr belastend, auch wenn ich wirklich viel Unterstützung von den Menschen um mich herum bekommen habe.

Bin ich selbst schuld, weil ich öffentliche Interviews zum Thema gegeben habe? Ziemlich sicher schon. Aber Aufklärung zu Sex Positivity, Feminismus und Body Positivity sind mir nun einmal wirklich wichtig – besonders im traditionellen Österreich.

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Update, 23. April 2021, 11:21 Uhr: Der Vorfall ereignete sich 2021, nicht 2020. Wir haben das korrigiert.