Was ich über das Leben und Essen lernte, als ich mit dem Fahrrad von London nach Kapstadt fuhr

Es gibt nur wenige Menschen, die von sich behaupten können, dass sie mit dem Fahrrad von London nach Kapstadt gefahren sind. Tom Perkins gehört zu diesen wenigen. Mit seinem Freund und treuem Fahrradbuddy Matt Chennels hat er sich auf eine Mammutreise durch 26 Länder gemacht. 501 Tage lang haben sie mit ihren Drahteseln Europa, den Nahen Osten und Afrika bereist, um mit hungrigem Magen die Welt von Norden nach Süden zu erkunden. Sie wollten die regionalen Küchen bei den Menschen entdecken, die sie unterwegs trafen. Aus der Reise ist mittlerweile auch ein Buch, Spices and Spandex, entstanden. Tom erzählt uns heute mehr davon:

In einem Pub in Kapstadt hatte ich mit Matt einmal ein Bier getrunken, da kamen wir auf die Idee zur Fahrradtour. Wir hatten gerade unseren sinnfreien Abschluss in Geisteswissenschaften gemacht und jahrelang im Studium alles über Subsahara-Afrika erfahren—aber richtig dort gewesen sind wir nie. Wir wollten aus diesem Elfenbeinturm raus.

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Nach ein paar Drinks waren wir fest entschlossen, eine riesige Fahrradtour zu machen: Start sollte ein Pub in einem Dorf im Süden Englands sein, wo ich aufgewachsen bin, Ziel war unsere Stammkneipe in Kapstadt. Dummerweise haben wir ein paar Leuten an diesem Abend von unserem Plan erzählt und dachten uns am nächsten Morgen nur: „Scheiße, jetzt müssen wir das auch durchziehen.” Und das haben wir dann getan.

Wir waren keine Radprofis. Die Gepäckträger hielten nicht an unseren Fahrrädern, wir haben alles mit Schlauchschellen und Kabelbindern festgemacht. Ein chaotisches Bild. Als wir unsere Tour begonnen haben, war Matt in einem desolaten Zustand: Er hatte seit Ewigkeiten nicht mehr auf dem Rad gesessen. Ich guckte ihn nur fragend an und meinte: „Sicher, dass du das machen kannst?”

Wir hatten zwar keinen festen Plan, aber ich wusste, was ich durch diese Reise erreichen wollte. Wenn man so lange „on the road” ist, muss man ein ein Ziel haben, das man leidenschaftlich verfolgt. Ich wollte meine großen Leidenschaften—die Fotografie, das Schreiben, das Erzählen von Geschichten und vor allem das Essen—irgendwie miteinander kombinieren, also erschien es mir logisch, ein Kochbuch zu schreiben. Ich wollte einfach lernen und wie ein Schwamm so viel Wissen wie nur möglich aufsagen.

Ich bin kein ausgebildeter Koch und obwohl ich es liebe zu kochen, wusste ich immer, dass ich diesen Karriereweg nicht einschlagen wollte. Mit dem Buch wollte ich Essen aus einer sozialen, anthropologischen Perspektive betrachten: Was bedeutet Essen für verschiedenen Menschen und an verschiedenen Orten? Wie kann Essen Menschen zusammenbringen? Ich wollte etwas machen, das über den perfekt angerichteten Teller(-rand) hinausblickt.

Egal wo, ich habe immer versucht, mit den Menschen, die wir getroffen und kennengelernt haben, über Essen zu reden. Ich habe sie gebeten, mir bestimmte Gerichte beizubringen: ihr Lieblingsgericht aus ihrer Kindheit oder ein Gericht, das ihnen viel bedeutet oder auch das Nationalgericht. Dann habe ich ihnen beim Kochen zugeschaut und mit ihnen gekocht. Einen ganzen Abend lang habe ich gelernt, wie man Injera macht, ein gesäuertes Fladenbrot, das man in Äthiopien zu fast jeder Tagesmahlzeit isst. Eine türkische Frau, die nicht größer war als 1,20 m, hat vor meinen Augen einen riesigen Bullen mit der Präzision eines Schneiders zerlegt. Bei der sudanesischen Familie durfte ich mit den Frauen kochen, was einem Mann sonst nicht gestattet ist.

Die Rezepte im Buch sind eine Mischung aus den Dingen, die ich auf meiner Reise gelernt habe, und meinen eigenen Kreationen. Es gibt ein Gericht aus Tansania, das dort definitiv noch nicht so gekocht wurde, aber ich wollte mit den tollen Zutaten, die wir dort entdeckt haben, etwas Persönliches kreieren. Auf den Märkten habe ich alles probiert, von frittierten Heuschrecken bis hin zu Fischköpfen.

Wir hatten nur wenig Geld, also viel schon mal alles raus, was teuer war. 501 Tage lang lebten wir quasi von dem, was wir vor Ort finden konnten. Irgendwann wurde es spät und je nachdem, welche Jahreszeit es war und wo wir gerade waren, mussten wir dann darüber nachdenken, wo wir die Nacht verbringen konnten. Eine Stunde vor Sonnenuntergang haben wir uns auf die Suche nach einem guten Nachtlager gemacht: eine alte Bushaltestelle, ein Gehölz, ein Wald, ein Park. Im Winter hingen wir Ewigkeiten in Cafés oder Bars rum, bis uns jemand fragte, wo wir denn noch hinwollten. Mit unseren gebrochenen Sprachkenntnissen antworteten wir meist nur: „Zelt. Schlafen.” So unzählige Male haben uns völlig Fremde zu sich nach Hause eingeladen.

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Wir waren bereits ein paar Monate unterwegs, als mein Knie, das schon vorher ziemlich angeschlagen war, als ich mir das Schienbein gebrochen hatte, quasi den Geist aufgab. Wir waren mitten in der Wüste, an der Westgrenze zu Libyen, es war ein paar Tage nach Weihnachten und ich konnte kaum laufen, geschweige denn mit einem Fahrrad fahren, woraufhin ich im Krankenhaus in Luxor behandelt wurde. Dann ging es weiter nach Süden in Richtung Sudan und nach Khartum, um dort dann zu planen, wie es weiter gehen soll. Dort habe ich einen LKW-Fahrer getroffen, der mich seinem Cousin Mohammed vorgestellt hat. Mohammed hat mich zu sich zu Hause eingeladen und meinte zu mir: „Das ist dein Zuhause.” Über einen Monat lang blieb ich bei Mohammed und seiner Familie und kurierte mein Knie aus. Das war unglaublich. Ich habe immer noch jeden Monat Kontakt mit ihm und habe ihm ein großes Kapitel im Buch gewidmet, von dem ich ihm auch ein Exemplar geschickt habe. Das ist das Beste, was ich mit dem Buch machen kann: es den Leuten zurückgeben, die ich getroffen habe und die mir geholfen haben.

Auch Nelson werde ich nie vergessen: Wir sind gerade 100 km durch Malawi gefahren, es wurde langsam dunkel. Uns wurde klar, dass wir gerade ohne Essen im Nirgendwo feststeckten. Wir fuhren einen Feldweg entlang und landeten in einem Dorf, wo uns glücklicherweise Nelson begrüßte, der Leiter der Dorfschule. Wir konnten in einem der Klassenzimmer schlafen, er hat uns Wasser zum Waschen gegeben (schließlich rochen wir nach 100 km nicht sonderlich gut) und hat uns zu sich nach Hause eingeladen, um dort traditionell malawisch zu essen: Es gab mielie (ein bisschen wie fester Kartoffelbrei) mit Tomaten und gehackten Avocados. Als ich ihn fragte, ob er etwas Salz habe, schaute er mich leicht entgeistert an. „Salz ist teuer geworden und ich kann mir diesen Monat keines leisten”, erzählte er mir. Dieser Mann konnte sich kein Salz kaufen—etwas, das in den Industrieländern ganz normal ist—und trotzdem hat er uns alles Mögliche angeboten, was er im Haus hatte. Für Nelson und viele andere Menschen auf unserer Reise gehörte es dazu, Fremde willkommen zu heißen, mit ihnen einen gute Zeit zu verbringen und sich um sie zu kümmern. Diese Menschen machten sich keine Gedanken darüber, was ein Fremder ihnen klauen könnte, sondern sie dachten eher daran, wie bereichernd es für sie sein kann, wenn sie Fremde kennenlernen.

Wenn man mit dem Fahrrad fährt, kann man ein Land aus erster Hand erleben, man ist aber auch gleichzeitig sehr angreifbar. Wenn ich so zurückblicke, wird mir klar, wie gefährlich das war und wie naiv wir waren. Zwei Mal wurde ich angefahren; als ich Wasser aus dem Nil getrunken habe, wurde ich richtig krank; wir waren genau zur Zeit der Revolution in Kairo; mein Knie war kaputt und ich musste auf einem alten Motorrad weiterfahren, mit dem ich jeden Tag irgendeine Panne hatte. Aber bei einer Reise wie dieser will man beides erleben, die Höhen und die Tiefen. Es klingt komisch, aber man man muss auch die schlechten Zeiten genießen können, denn die machen eine Story aus. Als ich mir eine Mageninfektion eingefangen hatte, eine Woche lang flach lag und Suppe mit Rinderlungen und Sauerkirschen essen musste, war das schrecklich, aber das ist immer noch meine Lieblingserinnerung rund ums Essen. Wir haben uns immer gesagt, dass wir uns diese Situationen ganz allein eingebrockt haben. Das war unsere Traum-Tour und wir sind so glücklich, dass wir diese Reise machen konnten.

Ob uns das verändert hat? Klar. Man müsste schon ganz schön blind oder starrköpfiger sein als ich, wenn man denkt, dass das nicht passiert. Die Leute, die man trifft, die Dinge, die man erlebt und für die man sich bei so einer Reise öffnet, sind so beeindruckend und anders als alles, was man je zuvor erlebt hat. Das verändert einen unweigerlich. Und das nimmt man mit offenen Armen entgegen. Gerade für mich war das mit 23 eine ziemlich prägende Erfahrung. Und jetzt mache ich eine neue Tour durch Südamerika—nur diesmal nicht mit dem Fahrrad, sondern mit einem Tuk-Tuk.

Illustration von Hisham Bharoocha

Fotos von Tom Perkins