Was machen Dominas in ihrer Freizeit?

Foto: bereitgestellt von Mistress Dee

Jeder kennt die Fantasie, in der die Sekretärin, die Café-Mitarbeiterin oder die Nachbarin nebenher als Sexarbeiterin tätig ist. Klischee ahoi! Frauen mit „normalen” Berufen und streng geheimen Alter Egos sind Stammgast in einem Literaturgenre, das ich als „Junge, träum weiter” bezeichne. Dieses Konzept ist auch Grundlage für eine riesige Menge anstößiger Internet-Werbebanner („Achtung: AUF DIESER NICHT JUGENDFREIEN SEITE WIRST DU WAHRSCHEINLICH DEINE CHEFIN UND/ODER EX-FREUNDIN FINDEN!”). Mein folgendes Statement ist also auch ein kritischer Seitenhieb auf die sexgeilen Geschäftsmänner der Welt: Viele professionelle Dominas haben noch einen zweiten Job und nur weil ihr noch nie in ihrem Studio anwesend wart, bedeutet das nicht, dass ihr noch nie ihre Dienste in Anspruch genommen habt.

Nehmen wir zum Beispiel mal Mona Darling her, eine Domina zwischen 40 und 50 mit lila Haaren und einer unglaublich ruhigen Stimme, die sich selbst als „Dominatrix Mommy Blogger” bezeichnet. Ursprünglich kotzte sie sich auf ihrem Blog heimlich über Kunden aus, aber als sie Probleme beim Kinderkriegen hatte, nutzte sie diese Plattform auch dazu, um ihre Gedanken zum Thema Unfruchtbarkeit niederzuschreiben. Schritt für Schritt wurden ihre beiden Rollen—Domina und Mutter—zum Hauptthema von nur einer Internetseite. Mit wachsender Leserschaft fiel Mona ebenfalls auf, dass sie auch privat mit Fragen zu sexuellen Problemen kontaktiert wurde. „Einige Frauen schrieben mich an und meinten, dass sie ja eigentlich normale Frauen und im Elternbeirat seien, aber gleichzeitig drauf stehen, wenn ihnen jemand den Hintern versohlt”, erzählt sie mir.

Videos by VICE

Auch wenn Mona auf der ein und derselben Seite über das Dasein als Mutter und Sexarbeiterin schreibt, werden diese beiden Rollen bei ihr trotzdem strikt getrennt. „Warst du schon mal auf Hawaii?”, fragt sich mich. „Du steigst dort aus dem Flugzeug und die Luft ist ganz anders. Dadurch kommst du ganz automatisch in Urlaubsstimmung. Das Gleiche passiert auch in meinem Studio oder wenn ich mein Kind von der Schule abhole. Jedes mal bin ich in einer anderen Welt und schlüpfe in eine andere Rolle.”

Das heißt jetzt allerdings nicht, dass diese beiden Welten nicht auch mal aufeinander treffen. Als Monas Sohn einen Klassenausflug in ein örtliches Kunstatelier unternahm, stellten sich die ganzen Kinder in einer Reihe an, um eine Kerze zu gießen. Vierzehn Kinder, jeweils eine Kerze. Das Ganze dauerte eine halbe Ewigkeit. Später twitterte Mona dann, dass das die intensivste Wachserfahrung war, die sie je gemacht hat.

Die von professionellen Dominas bewohnte Blase unterscheidet sich jedoch deutlich von unserer normalen Alltagswelt. Manchmal kann es richtig anstrengend sein, diese Beiden unter einen Hut zu bringen. Mistress Dee, eine Künstlerin und professionelle Domina aus New York, „hat ständig Angst vor dem Tag”, an dem ihre beiden Welten kollidieren. Dee „graut” es davor, dass jemand ihr Dasein als Sexarbeiterin enthüllt, was sie allerdings auch als unumgänglich ansieht. Da sie als Domina extrem erfolgreich ist (laut eigener Aussage ist sie international bekannt—was keine Übertreibung ist, ihr irgendwie aber auch gar nicht gefällt), hat sie nur ein Ziel: ihre BDSM-Identität so lange wie möglich geheim zu halten. Die Ironie dabei besteht darin, dass sie irgendwann keine Domina mehr sein will, sondern lieber nur noch Vollzeit-Künstlerin. Aber selbst wenn sie ihre Domina-Tage hinter sich gelassen hat, wird sie diese immer noch als etwas ansehen, von dem sie verfolgt werden kann und wird.

„Manchmal werden die Karrieren von Leuten wegen so etwas mit Freuden zerstört”, sagt sie. „Wenn meine beiden Welten aufeinandertreffen, dann hoffe ich inständig, genügend Geld für ein gutes PR-Team zu haben.”

Dees Freundin Goddess Aviva hält ihre beiden Identitäten ebenfalls meistens getrennt. Abgesehen von der verbleibenden Angst, dass alles auffliegt, lebt sie in gewisser Weise ihren Traum: Aviva ist eine visuelle Künstlerin, die den Sommer über an einem großen Kunstprojekt arbeitet und sich ihr Leben in New York City dadurch finanziert, dass sie den Rest des Jahres als Domina arbeitet. Genau diese Rolle als Domina ermöglicht ihr finanziell und psychologisch gesehen ihr Dasein als Künstlerin. Sie ist quasi ihre eigene Sugar Mama. Sie schläft aus, nimmt an Joga-Kursen teil, macht ein paar Session-Termine für die Woche aus, geht zur Inspiration in Museen und auf Shows, hat ein „sehr aktives Sozialleben” und plant normalerweise einen Sklaventag pro Woche ein. Sklaventag bedeutet, dass ein persönlicher Sklave vorbeikommt, der für Avivas Dienste nichts bezahlen muss, und ihr Haus putzt, sie massiert oder mit ihr shoppen geht.

Aviva ist allerdings nicht für das schnelle Geld in diesem Bereich tätig. Laut ihrer Aussage macht sie das, weil ein Kontrollbedürfnis einen wesentlichen Teil ihrer Persönlichkeit ausmacht. Auf dem College fand sie das traditionelle Spiel von schnellen Liebesbeziehungen langweilig und war viel faszinierter von Psychospielchen und der Kontrolle über die Situation. Trotzdem sah sie ihre Anfänge als Domina noch mit einem Augenzwinkern. „Ich dachte mir: ‚Was, wenn ich nach New York ziehen und als Domina arbeiten würde? Das wäre doch ziemlich witzig’”, erzählt sie mir. Inzwischen ist das Ganze ein Teil von ihr geworden, den sie so oder so erforschen würde—ob nun mit oder ohne diesen Job.

Foto: bereitgestellt von Mistress Dee

Natürlich gibt es auch professionelle Dominas, die das Ganze nur wegen des Geldes machen, aber für diese Frauen hat der Job auch tiefgründigere Aspekte. Dee hatte sich zum Beispiel vorher noch nie mit dem BDSM-Lifestyle auseinandergesetzt, spürte aber dennoch gewisse Eigenschaften einer Domina in sich—ohne zu wissen, was das überhaupt ist. „Rückblickend ist mein Charakter schon immer von vielen dominanten Zügen geprägt gewesen”, erzählt sie. „Ich bin als sehr selbstbewusstes Alpha-Weibchen groß geworden.”

Zwar achten alle drei Dominas sehr darauf, ihre Identitäten nicht zu vermischen (also nicht über die Kindergartenaktivitäten des Sohns zu bloggen oder die Alltagsseite komplett unter Verschluss zu halten), aber es lässt sich trotzdem nicht vermeiden, dass ihre Arbeit in den BDSM-Studios ihr anderes Leben beeinflusst und umgekehrt. Manchmal ist das nützlich oder befähigend, manchmal aber auch nicht. Mona erzählt beispielsweise davon, dass sie seit der Geburt ihres Kindes als professionelle Domina viel fürsorglicher geworden ist.

Aviva beschreibt, wie sie sich durch ihren Beruf als Domina selbst viel besser ausdrücken kann, was wiederum gut für ihre kreative Seite ist: „Um als professionelle Domina erfolgreich zu sein, musst du wirklich kreativ, klug und selbstbewusst sein. All diese Eigenschaften sind für mich auch als Künstlerin wichtig.”

Es geht aber auch anders: Dees Kunst litt zum Beispiel eine zeitlang, weil dafür eine Verwundbarkeit und ein gewollter Kontrollverlust von Nöten sind, die beide „auf verschiedene Arten das genaue Gegenteil von Dominanz sind.” Die Spannungen zwischen Domina-Beruf und Kunst waren etwas, das sie in ihrem Künstlerleben aktiv verarbeiten musste. „Ich habe meine BDSM-Arbeit total abgeschottet, weil das einfach so ein außergewöhnlicher und intensiver Job ist. Das führte allerdings dazu, dass ich auch Teile von mir selbst abschottete und deswegen als Künstlerin nicht mehr darauf zugreifen konnte”, sagt sie.

Alle drei Frauen sind sich einig, dass es für alle Sexarbeiter wichtig ist, einen zweiten Beruf, ein zweites Hobby oder ein zweites Ventil zu haben. „Man fordert viele Menschen bis zur Erschöpfung”, erzählt Mona, „und manchmal läuft eine Session auch nicht so gut und man baut keine richtige Verbindung zum Kunden auf—was schlecht für dein Selbstvertrauen ist. Dann ist es einfacher, sich zurückzuziehen und etwas anderes zu machen. Man denkt sich dann nicht, dass man morgen wieder dasselbe machen muss, weil man sonst nicht die Miete bezahlen kann.”

Zum Schutz ihrer eigenen geistigen Gesundheit prüft Aviva potenzielle Kunden zuerst immer auf Herz und Nieren. „Du hast mit so vielen Leuten zu tun, die mit sich selbst nicht im Reinen sind”, erklärt sie. „Sie glauben, dass sie in ihrem Alltagsleben, in ihrer normalen Beziehung oder in ihrem Job nicht ganz sie selbst sein können. Oftmals sind da richtig viele Schuld- und Schamgefühle im Spiel, was emotional sehr belastend sein kann.”

Es stimmt also: Die Vorstellung einer Domina mit einer geheimen Alltagsidentität ist nicht nur eine Fantasie, sondern sogar fast so etwas wie eine psychologische Notwendigkeit. Und das Ganze kommt auch viel häufiger vor, als du denkst. Mona kennt quasi eine ganze Armee an Sexarbeitern, die nebenbei noch in einem anderen Beruf tätig sind. „Einige arbeiten im technologischen Bereich, eine Andere hat eine ganze Zeit lang für die Regierung gearbeitet. Wieder Andere sind halbtags Masseurinnen und ansonsten irgendeine Art Sexarbeiterin”, erzählt sie. „Eine bekannte Domina war gleichzeitig eine Reinigungskraft und ich kannte auch mal eine Bibliothekarin, die sich einmal pro Woche an einer Strip-Stange räkelte.”