Videospiele werden meiner Meinung nach als Entdeckungsquelle für Musik total unterschätzt. Bis mich Madden NFL 2004 mit „Feeling This“ eines besseren belehrte, dachte ich Blink-182 wäre nur ein Relikt meiner Schulzeit gewesen. Goosebumps zum Beispiel, war 1996 mein Lieblingsalbum, also verpasste ich die Veröffentlichung von Xzibits „Paparazzi“. Als ich dann zwei Jahre später völlig besessen von Tony Hawk’s Pro Skater 2 war, lernte ich es eben auf diese Weise kennen. Genauso war es mit Run D.M.C.s „King of Rock“ und Gang Starrs „Moment of Truth“—beides zwar echte HipHop Klassiker, aber ich wusste eben nicht, dass diese Tracks überhaupt existieren, bis ich dann Trasher: Skate and Destroy und Dave Mirra Freestyle BMX 2 zu spielen begann. Aber nichts und niemand hat mich der Musik näher gebracht als Grand Theft Auto. Mit der Veröffentlichung von Grand Theft Auto V ist es nun langsam an der Zeit, das ein wenig zu reflektieren.
Begonnen hatte alles mit Grand Theft Auto III, das 2001 rauskam. In den Videospielen waren Radiostationen damals ein völlig revolutionäres Konzept. Auf Flashback 95,6 lief dort immer Pop aus den 80ern und so ziemlich das ganze Material aus Giorgio Moroders Scarface Soundtrack. Mir waren also Debbie Harrys „Rush Rush“, Paul Engemann mit „Push It To The Limit“ oder Amy Hollands Track „She’s On Fire“ schon ein Begriff, noch bevor ich Scarface jemals gesehen hatte oder die Lieder später von Cam’ron, Rick Ross oder Lil Wayne gesamplet wurden.
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Das Highlight der GTA III Musik Auswahl, war der Sender Game FM—eindeutig der beste Radiosender mit den größten Hits. Hier wurde Underground Rap von Black Rob, Royce da 5’9, Sean Prince, Natur, Pretty Ugly oder JoJo Pellegrino gespielt, die jede Aktion zu einem viel intensiveren Erlebnis machten. Du warst nie richtig am Leben, bevor du nicht einen Drive-By auf virtuelle Fußgänger verübt hast, während im Hintergrund Agallah dazu „And we gon give this all that we got, keep rising to the top“ singt. Und ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Song und animierter Gewalt, für den ich eindeutig eine große Schwäche habe.
Im darauf folgenden Jahr ging die Nostalgie bezüglich der 1980er Jahre dann richtig los. Es war 2002, als wir endlich weit genug vom anderen Jahrzehnt weg waren, um darauf zurück zu blicken. Schon all die aufkommenden Retro-Trikots waren Anspielungen auf die Vergangenheit. Dann gab es noch Filme wie Paid in Full. Ich habe sogar einmal die Schule geschwänzt um einen ganzen Marathon von VH1s „I Love The 80’s” geschaut, um mehr über diese Zeit herauszufinden. Ich muss gestehen, dass ich wirklich traurig war, diese Epoche nur etwa dreizehn Monate meines Lebens miterleben zu können.
Mit Grand Theft Auto: Vice City war das dann endlich möglich. Es war die beste und naheliegenste Möglichkeit, aktiv an der Kultur dieses Jahrzents teilzunehmen. Du konntest Tommy Vercetti in pastellfarbene, eindeutig durch Miami Vice inspirierte, Anzüge stecken. Du konntest in einem Sportwagen aus den 80ern durch South Beach fahren. Aber das Wichtigste war, wie bereits erwähnt, die Musik. Passend zur Ausgabe, waren auch die Radiosender an die 80er angepasst und spielten fast ausschließlich Musik aus dieser Zeit. Emotion 98,3 verschrieb sich dem Soft Rock, auf Fever 105 konntest du R’n’B hören und Pop übernahm Flash FM. Dann gab es noch V-Rock für Metall, Wave 103 für alle New Wave Sounds und Wildstyle Pirate Radio spielte den besten Old School-HipHop.
Es gab über 100 Songs in Vice City, von denen ich die meisten davor noch nie gehört hatte—wenn, dann nur leise als Hintergrundmusik in Aufzügen und Lebensmittelgeschäften oder bei einem Zahnarztbesuch in meiner Jugend. Wie ein Kind, das gerade erst begonnen hat, seinen eigenen Musikgeschmack zu entwickelen, erforschte ich auch die Musik, die mir auf MTV oder im Radio zur Verfügung gestellt wurde. Es war unglaublich. Ich lernte von Vice City wahrscheinlich genauso viel wie vor ein paar Monaten in der 150. Ausgabe von The Source.
Ich hörte „Video killed the Radio Star“ in Vice City, noch bevor ich Empire Records jemals gesehen hatte. Durch Vice City, kenne ich auch Spandau Balletts „Gold“ und nicht nur „True“. Ich kann komplett zu Animotions „Obsession“ mitsingen, wenn es im Radio kommt und man könnte wirklich meinen ich wäre ein total gebildeter Typ, der unglaublich viel über die Musik aus den 80er Jahren weiß. Dabei war ich als Teenager einfach nur süchtig nach Vice City.
Grand Theft Auto: San Andreas kam zwei Jahre später raus und bis dahin hatte ich auch mehr Ressourcen zur Entdeckung von Musik gefunden. Wikipedia kam langsam auf. Außerdem war ich Meister darin geworden, Lyrics zu googeln, die ich nicht gleich beim ersten Mal verstanden hatte. Aber auch von San Andreas konnte ich noch eine Menge lernen. Es gab noch mehr Musik, noch mehr Titel. Und auch wenn ich viele davon schon einmal zuvor gehört hatte, war es doch ein Gefühl der Erleuchtung. Der klassische Rock Sender K-DST machte mich auf Rod Stewarts „Young Turks“ aufmerksam, von dem ich mitterweile glaube, dass es der beste Love-Song aller Zeiten ist. Es sind einfach diese kleinen Entdeckungen, auf die ich vergnügt zurückblicke.
Mit Grand Theft Auto IV ist das Ganze, vier Jahre später, etwas ausgestroben. Die Anzahl der Songs hatte sich zwar wieder verdoppelt, aber im Vergleich zu den früheren Spielen, fühlte sich der Soundtrack nur noch an wie ein nachträglicher Einfall. Wahrscheinlich war es das moderne Setting, das den Charme des Ambientes etwas dämpfte, oder vielleicht lag es auch daran, dass ich sieben Jahre nach der Veröffentlichung von Grand Theft Auto III etwas weniger Ehrfurcht vor einem, in das Spiel integrierten Radiosender hatte. So oder so, hatte die Musik nicht im Ansatz mehr so viel Einfluss wie früher auf mich. Klar, Kayne Wests „Flashing Lights“ oder „Get Innocuous“ waren nett anzuhören. Wegen dem Spiel habe ich zwar ein ganz persönliches Faible für „Top Down“ von Swizz Beat, doch der Soundtrack war eindeutig nicht mehr das, was er einmal war.
Grand Theft Auto V habe ich noch nicht gespielt, aber es sieht ganz danach aus, als hätte Rockstar der Musik innerhalb des Spieles endlich wieder ihren Sinn zurück gegeben—A$AP Rocky, Future, Wavves, and Tyler, the Creator heißen die neuen Stars, die auf den Radiosendern laufen. Flying Lotus hat sogar seinen ganz eigenen Sender. Die Auswahl reicht von Warren G. über Fergies „Glamorous“ bis hin zu „Love Sosa“ von Chief Keef—wirklich vielversprechend. Ich möchte natürlich nicht enttäuscht werden, nur weil das Spiel ein modernes Setting hat, und aus Gesprächen mit ein paar Leuten, die es schon gespielt haben, scheint es, als würde das auch nicht passieren. Ich bin mir sicher, dass die Erfahrung nie mehr so bahnbrechend sein wird, wie damals, als ich die Klassiker der Musikgeschichte das erste Mal in einem Videospiel entdeckt habe, aber danach suche ich auch gar nicht mehr. Die Spielereihe hat mich bereits nachhaltig geprägt. Und solange der Anspruch an die Musik im Spiel immernoch derselbe ist, bin ich zufrieden.
Ernest Baker lebt als Schriftsteller in Los Angeles. Folgt ihm bei Twitter—@ernestbaker
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