Was mit der modernen Sozialdemokratie in Österreich falsch läuft

Die Sozialdemokraten waren ja irgendwann so Leute, die die Welt besser machen wollten. Und sie sind es ja irgendwie immer noch. Aber wenn sie mit ihren Haltungen glauben, nicht durchzukommen, dann verräumen sie diese feige in den Abstellraum, und halten das sogar irgendwie für raffiniert oder gerissen.

Wenn die FPÖ zulegt, dann glauben sie, es wäre ein klasser Trick, wenn sie die Politik der FPÖ übernehmen. Wenn sie dann langsam bei der 20-Prozent-Marke aufschlagen, dann glauben sie, noch eine ordentliche Spur mehr an Selbstverleugnung könnte helfen. Wenn alle Glaubwürdigkeit weg ist, meinen sie, noch mehr Unglaubwürdigkeit wäre vielleicht eine erfolgversprechendere Option.

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Klingt absurd und verrückt? Das ist es für normale Leute natürlich auch. Deshalb will ich hier einmal versuchen, zu verstehen, wie die denn so ticken, die Sozialdemokraten. Wie die auf so groteske Ideen kommen können. Ein Versuch, die selten werdende Spezies zu verstehen.

Wählt uns, mit uns wird es langsamer schlechter

Wir müssen uns die durchschnittliche Sozialdemokratin und den durchschnittlichen Sozialdemokraten als unglücklichen Menschen vorstellen. Er ist in einer Partei, die seinerzeit Fortschritt und Modernität repräsentierte, sich aber daran gewöhnt hat, dass es jetzt schon länger nicht mehr vorwärts geht. Er erinnert sich—sofern er nicht zu jung oder zu alt dafür ist—, etwa an die Ära von Bundeskanzler Bruno Kreisky, als man das Land gerechter und moderner machte und zudem in der Welt etwas galt, weil der feingeistige Regierungschef als Diplomat und Krisenvermittler global gefragt war. An diese Zeit, als es noch Optimismus gab. An die Vergangenheit, als es noch Zukunft gab.

Sozialdemokraten sind von daher natürlich fest überzeugt, dass es früher besser war. Das gibt den Gesprächen schnell einen Schuss ins Depressiv-Nörglerische, wenn erst mal zwei oder mehr Sozialdemokraten an einem Ort sind. Alfred Gusenbauer, Parteichef und Kurzzeit-Kanzler in den Nullerjahren, nannte das einmal abfällig „das übliche Gesudere”, was ihm gar nicht wohl bekam. Aber diese Mentalität bestimmt heute den Grundton unter Sozialdemokraten. Das Optimistischte, was sie noch hinbekommen, ist so in etwa: „Wählt uns, denn mit uns wird es langsamer schlechter”.

Das ist natürlich nicht gerade eine Botschaft, die besonders elektrisiert. Aber im Kern ist das die Botschaft und die ist nur ein klein wenig sarkastisch überspitzt. Aber echt nur ein wenig. Als Sozialdemokrat hat man es einigermaßen verlernt, an die Möglichkeit einer echten Verbesserung der Verhältnisse auch nur zu glauben. Man meint eher, in einer Welt voller Widrigkeiten allerhöchstens das Schlimmste verhindern zu können. Das führt nicht selten dazu, dass Sozialdemokraten das Zweitschlimmste exekutieren, weil sie meinen, auch das wäre ja immerhin die Möglichkeit, das Schlimmste zu verhindern. Natürlich fühlen sie sich dann schlecht. Aber sie nennen das dann „Realismus” oder „pragmatisch”.

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Die Demoralisierung der eigenen Leute

Das kann von der Flüchtlingspolitik zur Wirtschaftspolitik reichen, von der Verteilungspolitik bis zur Budgetpolitik. Immer findet sich natürlich etwas, was die anderen noch schlimmer machen würden—vor allem, wenn sich Konservative und Rechtsradikale, also ÖVP und FPÖ, zusammen täten. Und damit haben unsere unglücklichen Sozialdemokraten ja nicht einmal Unrecht. Bloß führt die ständige Kompromisslerei logischerweise dazu, dass diejenigen, die eine eher soziale, solidarische und humanitäre Politik befürworten würden, ständig vergrault und demoralisiert werden. Was dann wiederum genauso logischerweise dazu führt, dass die Sozialdemokraten immer schwächer werden und ergo immer erpressbarer—und ergo die Gefahr noch viel größer wird, dass man sie irgendwann überhaupt nicht mehr braucht und ÖVP und FPÖ sich zusammen tun. Die Katze beißt sich also ordentlich in den Schwanz und das Spiel spielen wir seit beinahe 30 Jahren schon. Ein Spiel, an dem leider nichts lustig ist.

Natürlich gibt es auch zwei Gruppen von Sozialdemokraten, auf die das oben Gesagte nicht völlig zutrifft: Einerseits ganz rechte Sozialdemokraten, die die Anpassung an die FPÖ-Politik nicht problematisch finden, weil sie sie im Grunde die Haltungen der FPÖ teilen. Und andererseits ganz moderne, linke und linksliberale Sozialdemokraten, die gerne eine völlig andere Partei hätten und auch noch echt daran glauben, dass man diese hinbekommen könnte. Aber für alle Typen mit allen Grautönen und Schattierungen dazwischen trifft all das ziemlich genau zu.

Foto:SPÖ Presse & Kommunikation| Flickr |CC BY 3.0

Die Fantasievorstellung von den „Menschen da draußen”

Im Grunde, manchmal bewusst, oft auch unbewusst, ist diese Mentalität im höheren sozialdemokratischen Funktionärswesen getragen von einer Vorstellung der „normalen Menschen”, oder, wie das auch oft genannt wird, von den „Menschen da draußen”. Sie haben—wie übrigens auch viele Journalisten—eine gewisse Fantasie von den „Menschen draußen”. Dazu gehört zunächst einmal: dass man die Menschen da draußen nicht kennt. Und zweitens: dass die natürlich ganz anders sind als der Sozialdemokrat oder die Sozialdemokratin selbst oder als die Leute, mit denen sie sich unterhalten.

Wenn ein Sozialdemokrat also mit dir über die Menschen draußen spricht, dann meint er natürlich: Die sind ganz anders als er und als du. Er meint aber nicht, dass man nicht trotzdem genau wissen kann, wie die Menschen sind—schon alleine deshalb, weil es so verdammt viele unterschiedliche Menschen gibt. Er stellt sich dann einen Arbeiter oder eine Rentnerin vor, die im Gemeindebau leben oder auch im kleinen Eigenheim in der Vorstadt oder am flachen Land, die so grosso modo ihr Herz schon am rechten Fleck haben, aber auch ein wenig fies sind, die ganz entrüstet sind, wenn die Politik nicht alles für sie erledigt, die auch ein bisschen aggressiv und dauergereizt sind, die die Kronen-Zeitung lesen, die nicht gerade doof sind, das nicht, aber auch nicht sonderlich interessiert und aufgeweckt. Solche Leute gibt es natürlich. Aber der Sozialdemokrat glaubt, dass es sehr viele solche Leute gibt und er identifiziert sie insgeheim mit „dem Volk”. Das ist natürlich etwas bescheuert, weil damit unterstellt wird, dass alle Menschen, die nicht so sind—also rund 80 Prozent der Bevölkerung—nicht „zum Volk”, oder noch besser: nicht zum „normalen Volk” gehören.

Früher gab es in sozialistischen und kommunistischen Kreisen etwas, das man „Proletkult” nannte: also die Vorstellung, der normale Arbeitsmann oder die normale Arbeitsfrau seien von einem spezifischen Adel. Von diesem Proletkult ist nichts mehr übrig, er hat sich aber in eine Art „negativen Proletkult” verwandelt, in die Vorstellung von einem Norm-Volk, das ein wenig beschränkt ist.

Diese Idee ist elitär, aber auch doof, denn einen solchen definierenden Typus gibt es in heterogenen Gesellschaften nicht mehr. Oder anders gesagt: Auch wir sind das Volk, nicht nur die betrunkenen Trainingshosenträger am Würstelstand. Diese veraltete Idee vom Volk führt eben nicht nur zu einer falschen, phantasmagorischen Vorstellung von den Menschen generell, sondern von den „einfachen Leuten”, womit ja schon mitschwingt, man müsse diesen in etwa gegenübertreten wie infantilen Kleinkindern oder Sonderschülern. Dazu gehört auch, dass man sie mit simplen Slogans umgarnen muss und dass sie nicht in der Lage seien, drei zusammenhängende Sätze zu verstehen. Auf die Idee, dass diese „einfachen Leute” gar nicht so doof sind, sondern, im Gegenteil, selbst ziemlich verärgert darüber sein könnten, dass man sie wie Dolme behandelt, kurzum: dass man sie mit klugen Argumenten viel eher erreichen könnte als mit dummen Politparolen oder Deppeninseraten im Boulevard, denen ohnehin keiner mehr glaubt, kommen solche Sozialdemokraten dann gar nicht mehr.

Meinungen sind quasi fix

Untrennbar verbunden mit dieser falschen Idee vom „normalen Volk” ist etwas, was man ein „statisches, undynamisches Verständnis von Politik” nennen könnte. Dieses Volk, so denkt der Spitzenfunktionär, hat bestimmte Einstellungen, Meinungen und Haltungen. Deshalb wählen verdammt viele aus diesem Volk die FPÖ. Deswegen wiederum muss man Meinungen vertreten, die den Meinungen des Volkes möglichst schmeicheln. Dass es womöglich kein Wunder ist, dass ein Teil des Volkes die Meinungen der FPÖ vertritt, wenn auch die Konkurrenten der FPÖ—also ÖVP und SPÖ—dieselben Meinungen vertreten, und dass dieses Volk umgekehrt möglicherweise zu einer anderen Meinung käme, wenn man diese auch selbst einfach mal glaubwürdig vertreten würde, diese Möglichkeit scheint dem gehobenen Parteifunktionär, der stets nur auf Umfragen starrt (die sind nämlich seine hauptsächliche Verbindung zum „normalen Volk”) gänzlich abwegig. Dafür ist er einer Auffassung, die tatsächlich gänzlich abwegig ist: dass man diese Leute doch noch gewinnen könnte, wenn man die eigenen Haltungen über Bord wirft und sich ihnen anbiedert.

Die Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen

Wer Erfolg hat, der ist natürlich in der Regel gelassen und entspannt. Wer chronisch vom Misserfolg verfolgt wird, fühlt sich dagegen permanent verängstigt, mit dem Rücken zur Wand und von jedem bedroht. Schon im simpelsten Gegenargument sieht er Kritik; und Kritik deutet er als einen gemeinen Angriff. Er schottet sich ab und igelt sich ein. Das trifft für Personen zu, aber auch für Parteien.

Bei der SPÖ als ganzes ist das besonders ulkig. Viele der hier geäußerten Kritikpunkte werden von den meisten Sozialdemokraten auch geteilt. Sie äußern sie selbst oft, meist sogar noch viel härter. Wenn diese Kritik aber von jemanden kommt, der nicht zur Partei dazu gehört, dann wird dieser Kritiker und diese Kritikerin gleich als Feind gesehen. Feinde muss man abwehren. Das ist so ähnlich wie in Familien: Mutter darf sagen, dass die Tochter ein nichtsnutziges, faules Luder ist, aber wenn das der Nachbar tut, dann wird die Mutter fuchsig. Da beinahe jeder vernünftige Mensch so offensichtlich Kritikwürdiges kritisieren würde, ist so ziemlich jeder Zeitgenosse für den heutigen sozialdemokratischen Spitzenfunktionär ein Feind, den man abwehren muss. Das führt natürlich nicht gerade zu einer innerparteilichen Willkommenskultur. Das Ergebnis ist, dass man immer weniger in Kontakt mit realen Menschen kommt, was die Sache natürlich nicht besser macht.

Fazit

Es sind diese und eine Reihe andere—oft unausgesprochene—fälschliche Gewissheiten, die den Durchschnittssozialdemokrat und die Durchschnittssozialdemokratin von heute dazu bringen, Dinge zu tun, die jeder vernünftige Mensch eigentlich für völlig absurd ansehen müsste: Dass man etwas gewinnen kann, wenn man sich so weit verbiegt, dass einem niemand mehr etwas glaubt. Dass man Leute für etwas begeistern könnte, indem man mit jeder Pore ausstrahlt, dass man nur das Schlimmste verhindern will. Dass Leute, deren einzige Erfolgsbilanz eine Serie krachender Niederlagen ist, „Pragmatiker” wären, und diejenigen, die darauf hinweisen, dass an einer solchen Pragmatik ganz offensichtlich etwas nicht stimmt, als „Träumer” beschimpft werden, obwohl in Wirklichkeit natürlich diese „Pragmatiker” Träumer sind, weil sie tatsächlich glauben, etwas könnte funktionieren, obwohl es nachweislich noch nie funktioniert hat. Dabei ist Werner Faymann der größte Utopiker des Landes: Er glaubt tatsächlich immer noch, dass er mit so etwas Erfolg haben könnte.