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Wissenschaftlich erklärt, warum Liebeskummer uns so weh tut

Wenn du schon einmal verlassen wurdest und in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen bist, hast du dir sicherlich auch schon mal die Frage gestellt: Kann man eigentlich an seinem Liebeskummer jämmerlich zugrunde gehen?

Wirst du von einer geliebten Person verschmäht, ist es anschließend meist unübersehbar, dass die Chemie in deinem Körper komplett durcheinandergeraten ist. Menschen mit Liebeskummer beginnen, die frühere Liebschaft zu stalken, tun sich selbst oder anderen Gewalt an und verfallen in tiefe Depressionen.

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Wer nach einer Trennung oder Abfuhr in die Phase des Liebeskummers strudelt, leidet gemeinerweise gleichermaßen seelische wie körperliche Schmerzen. Doch wie und warum entsteht dieser kaum erträgliche doppelte Schmerz eines gebrochenen Herzens, der bisweilen dramatische Folgen bis zum Selbstmord haben kann und über den Abermillionen von Popsongs geschrieben wurden?

Die Anthropologin und Psychologin Dr. Helen Fisher gilt als eine Art Koryphäe in der wissenschaftlichen Betrachtung romantischer Liebe. Sie hat ihre gesamte Forschungskarriere diesem größten aller menschlichen Ideale gewidmet und genau ergründet, wie der extreme Schmerz eines Liebeskummers entsteht und welchen evolutionären Zweck das Leiden hat.

Die erste Phase des Liebeskummers ist oft durch große Energie und Motivation gekennzeichnet, den verlorenen Partner zurückzubekommen, sowie vom obsessiven Denken an das Subjekt der Begierde. Foto: Imago

Und so versuchte die Fisher gemeinsam mit der Neurowissenschaftlerin Lucy Brown vor allem herauszufinden, welche Areale des Hirns bei liebeskummergeplagten Menschen aktiviert werden. Sie wollte so nachvollziehen, was auf biochemischer Basis in deinem Körper abläuft, wenn dir das Herz gebrochen wird.

Fisher schob ihre 15 Testpersonen, die alle kurz zuvor von einer geliebten Person verlassen worden waren, in einen Hirnscanner und unterzog sie einer sogenannten Funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT). Der fMRT-Scanner ist in der Lage, schon kleinste Veränderungen des Stoffwechsel in den untersuchten Hirnregionen festzustellen: Da die Areale der Großhirnrinde bei verstärkter Aktivität mehr Sauerstoff und Glukose benötigen, steigt entsprechend der Blutzufluss in diese Regionen. Diese Durchblutungsänderungen werden durch die fMRT sichtbar gemacht.

Fishers Probanden waren im Durchschnitt 20 Jahre alt und hatte eine durchschnittliche Beziehungszeit von 21 Monaten hinter sich. Ihre Trennung lag am Tag der Untersuchung durchschnittlich 63 Tage zurück.

„Die Tatsache, dass die Liebe tief im Stammhirn aktiviert wird, wo die Kreisläufe für andere Überlebensreflexe sitzen, lässt uns denken, dass sie Teil unseres Überlebenssystems ist.”

Fisher und ihr Team fanden nun zunächst eine verstärkte Aktivität im sogenannten ventralen Tegmentum, der VTA (ventral tegmental area), vor. Hier werden nicht nur die Emotionen verortet, die man bei einem Orgasmus oder während des Verliebtseins fühlt, sondern auch das angenehm-befriedigte Gefühl, dass ein Kokainabhängiger verspürt, nachdem er eine Nase gezogen hat—oder auch ein Mensch, der nur seinen Hunger oder Durst stillt. In der VTA entspringt nämlich das mesolimbische System, das uns besser als „Belohnungssystem” bekannt ist und durch die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin für wohlige Gefühle sorgt.

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Es mag daher zunächst etwas unlogisch erscheinen, dass bei einem Menschen auf Liebesentzug, noch so viel im VTA los ist. Die Tatsache, dass sich dort bei den Probanden auch nach Ende der Beziehung noch verstärkte Aktivitäten beobachten ließen, führte Fisher zu der Schlussfolgerung, dass die Probanden noch immer oder sogar noch heftiger als vor der Trennung verliebt seien—letzteres Phänomen bezeichnet sie als „frustration attraction”. Man versucht natürlich stärker als je zuvor, das zu bekommen, was man nicht hat und verfällt dementsprechend in ungesunde Verhaltensmuster wie Stalking.

Fishers sah ihre Hypothese, dass die „romantische Liebe” im Prinzip eine „tiefgehende Abhängigkeit” ist, durch die nachgewiesene Aktivität in den Hirnregionen VTA und Nucleus caudatus, welcher ebenfalls Teil des biochemischen Belohnungssystems des Menschen ist, bestätigt. Ihr Team habe die Ergebnisse in drei weiteren Studien (zwei davon seien veröffentlicht) bestätigen können und es gebe drei weitere Studien, die ebenfalls zu den genannten Ergebnissen gekommen seien.

Von einer geliebten Person verschmähte Menschen verhalten sich also wie Drogensüchtige auf Entzug. „Dies ist möglicherweise der Grund, warum [das Verliebtsein] so schwer zu kontrollieren ist und uns so übermannt. Es ist nicht unser Fehler, dass wir die Kontrolle verlieren. Wir sind so gemacht worden.” Der Trieb hinter dem, was wir als „romantische Liebe” verstehen,„hat einen essentiellen Zweck; sie ist Teil unseres Erbes aus dem Tierreich, und wir brauchen sie”, schreibt Dr. Fisher auf der Website zu ihrem Buch „The Anatomy of Love”. Schon vor vier Millionen Jahren hätte es bei Säugetieren diesen Überlebensinstinkt gegeben, der Pärchenbildung und Reproduktion angekurbelt habe.

Wenn uns die Liebe also gierig macht wie eine Droge, bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass man nach der Trennung einen kompromisslosen Entzug von der geliebten Person machen sollte, um die Abhängigkeit hinter sich zu lassen. „Es ist wichtig, in den ‘Cold Turkey’ zu gehen und nichts mehr mit der Person zu tun zu haben, die uns verlassen hat”, so Fisher. Was für eine fiese Laune der Natur, dass uns unser Hirn, genauer gesagt unser mesolimbisches System, trotzdem umso mehr belohnt, wenn wir Kontakt mit dem Ex haben! Oder um es mit den Worten von Dr. Fisher zu sagen: „Ich dachte, bei romantischer Liebe handelt es sich um das Zusammenspiel von Gefühlen, doch ich merkte, dass sie in erster Linie eins ist: ein primitiver Ur-Trieb.”

Die Liebe spornt dich also in erster Linie biochemisch an, das Objekt deiner Begierde zu gewinnen—und nach einer Trennung auch wieder zurückzugewinnen. Schuld daran, dass wir bei diesen Bemühungen bisweilen übertreiben, ist besagter Ur-Trieb: „Die Tatsache, dass die Liebe tief im Stammhirn aktiviert wird, wo die Kreisläufe für andere Überlebensreflexe sitzen, lässt uns denken, dass sie Teil unseres Überlebenssystems ist.”

Dass uns der Verlust des Partners genauso in den Wahnsinn treiben kann wie die Sucht nach Kokain, Amphetamin oder Nikotin, war nun aber nicht das einzige Ergebnis des aufwendigen Hirnscans. Neben der VTA konnte auch in der vorderen Inselrinde der abgeblitzten Personen eine erhöhte Aktivität beobachtet werden. Neurowissenschaftler verorten hier nicht nur die emotionale Trübsal, die mit körperlichen Schmerzen einhergeht, sondern die Schmerzen selbst. „Man geht davon aus, dass die Inselrinde Emotionen so vermittelt, wie wir sie in unseren Körpern fühlen. Manche Leute denken, dass sie der Ursprung unserer Gefühle ist”, heißt es auf Fishers Website.

Dr. Fisher vergleicht den körperlichen Schmerz eines Liebeskummers auf ihrer Website mit dem eines „gebrochen Beins” oder „Zahnschmerzen”. Allerdings würden wir die Schmerzen, die ein gebrochenes Herz verursacht wesentlich länger im Gedächtnis behalten als die einer Verletzung: „Auch Jahre später können wir uns an die physischen Qualen des Verlusts von ihm oder ihr erinnern.” Und so paradox es klingt: „Aspirin oder andere Schmerzmittel könnten sogar helfen!”

„Alkoholiker, die aufgehört haben, zu trinken, lassen auch keine Wodkaflasche auf ihrem Schreibtisch stehen.”

Um die Entzugserscheinungen bei Liebeskummer zumindest teilweise zu kompensieren, empfiehlt Dr. Fisher jegliche Arten des aeroben Trainings, da dieses die Ausschüttung von Dopamin ankurbelt. Dasselbe gelte daneben auch für jegliche Aktivität, mit der man neue Sachen ausprobiert. Außerdem heben sportliche Aktivitäten das Level des Glückshormons Serotonin und sorgen so dafür, dass das körperliche Schmerzenempfinden nachlässt. Gleichzeitig solle man jegliche Gegenstände, die einen in irgendeiner Weise an die geliebte Person erinnern und damit die Sehnsucht erneut triggern könnten, schlicht und einfach aus seiner Wohnung verbannen: „Alkoholiker, die aufgehört haben, zu trinken, lassen auch keine Wodkaflasche auf ihrem Schreibtisch stehen.”

Ist die Liebe nun also lediglich eine schmerzhafte, im Grund unromantische Imitation der Drogenabhängigkeit? Wie die Studien von Dr. Fisher nahelegen, verhält es sich genau anders herum: „Romantische Liebe zählt zu den natürlichen Abhängigkeiten und wurde über Jahrtausende durch die natürliche Selektion konserviert: Pärchen, die sich gegenseitig beschützen, werden sich nämlich mit größer Wahrscheinlichkeit beschützen, um Nachwuchs zu zeugen.” Drogen würden dieses System gewissermaßen „kapern”: Sie stimulieren das mesolimbische Belohnungssystem und führen den Menschen so in die Sucht, ohne dass dieser dabei jedoch einen Nutzen von seiner Abhängigkeit erfährt. Liebespaare, die voneinander abhängig sind, werden dagegen nicht nur mit jeder Menge Dopamin, sondern irgendwann auch dem gemeinsamen Nachwuchs belohnt–aus Sicht der Evolution eine hervorragende Sache.