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Warum der Flüchtlings-Tatort kein Happy End verdient hat

„Verbrannt" basiert auf der realen Geschichte eines Asylbewerbers, der in einer Polizeizelle verbrannte—und ist am Schluss doch nur eine Hollywood'eske Neonazi-Posse.
Foto: NDR/Alexander Fischerkoesen

Oury Jalloh starb 2005 in einer Polizeizelle in Dessau—und die Umstände seines Todes klingen wie ein makabrer Zaubertrick. Der Mann aus Sierra Leone verbrannte, als seine Matratze Feuer fing. Angezündet haben soll er sie selbst, obwohl er mit Händen und Füßen an seine Liege fixiert war. Auch ein Feuerzeug wurde nie gefunden.

Oury Jalloh verbrennt auch, weil die zwei diensthabenden Polizisten den Feueralarm ignorieren. Nur einer von vielen fragwürdigen Vorfällen an dem Abend. Die Beamten werden wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und 2008 aus Mangel an Beweisen freigesprochen. 2011 wird einer von ihnen, Andreas S., erneut vor Gericht gestellt und ein Jahr später zu 10.800 Euro Geldstrafe verurteilt. Die genauen Umstände des Vorfalls, der mittlerweile über zehn Jahre zurückliegt, sind nach wie vor ungeklärt. Setzte der Asylbewerber sich wirklich selbst in Brand oder wurde er Opfer eines rassistisch motivierten Mordkomplotts?

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Zehn Jahre später ist das Thema um Anfeindungen gegenüber Flüchtlingen (insbesondere in den ländlicheren Regionen Deutschlands) wieder aktuell. Womöglich einer von vielen Gründen, warum sich nun auch der Tatort des Falls angenommen hat. Mit Verbrannt greifen die Macher die Akte Oury Jalloh auf, um eine dokumentarische Verfilmung des Vorfalls geht es allerdings nicht.

Statt Dessau spielt sich die tragische Geschichte in einer niedersächsischen Kleinstadt ab. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Frustration auch. Vor allem gegenüber den Asylbewerbern im örtlichen Flüchtlingsheim, die ihren Einkauf mit Essensmarken begleichen und sich dafür von der zickigen Kassiererin anhören lassen müssen, dass sie nicht dankbar genug sind. Statt Turnhallen brennt hier „nur" eine Zelle, die Parallelen zur aktuellen Asyldebatte in Deutschland sind allerdings unübersehbar und insbesondere gen Schluss hin ähnlich stumpf und plakativ wie ein Pegida-Plakat.

Dabei ist der Tatort über weite Strecken tatsächlich ziemlich multidimensional erzählt. Da gibt es das Ermittlerteam Falke (Wotan Wilke-Möhring) und Lorenz (Petra Schmidt-Schaller), die irgendwie helfen wollen, in ihrer allgemeinen Betroffenheit aber auch nicht so richtig wissen wie und sich von den Bewohnern des Flüchtlingsheims belehren lassen müssen, dass mitleidsvolles Herabblicken niemandem hilft. Oder den jungen Dorfpolizisten, der zu „AKs im Wandschrank" durch die Straßen cruist, am Tod des Mordopfers nicht unwesentlich beteiligt ist und trotzdem irgendwie nachvollziehbar machen kann, dass auch die fremdenfeindlichen Dorfbewohner keine emotionslosen Monster sind.

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Es gibt nicht das absolut Gute, so wie es auch nicht das irreal Böse gibt, suggeriert uns die Geschichte sehr lange und irgendwann bekommt man den Eindruck, dass gerade die vielen Sackgassen und der etwas zerfaserte Erzählstrang der exakt richtige Weg sind, um einen Fall aufzuarbeiten, der auch ein Jahrzehnt später ungeklärt ist. Wo es eben auch keine Antworten gibt, zumindest keine einfachen, und wo am Schluss niemandem Gerechtigkeit widerfährt.

Foto: NDR | Alexander Fischerkoesen

Dann kommt es in Verbrannt aber doch noch anders. Die örtliche Polizei mutiert plötzlich zu einer Mischung aus Neonazi-Geheimorganisation und Studentenvereinigung mit „krassem" Aufnahmeritual. Beweisvideos ohne Ton tauchen auf, der vermeintliche Haupttäter schießt sich in den Kopf, der wahre Täter wird gefunden und zur Rede gestellt, und während der Tatort zuvor gerade wegen seiner Zwischentöne so wahnsinnig real und bedrückend gewirkt hat, verkommt der Antagonist in einem psychotisch-egomanischen Monolog endgültig zum überzeichneten Batman-Bösewicht, auf den—so wird es suggeriert—am Schluss doch noch seine gerechte Strafe wartet.

VIDEO: Wie soll die Welt das Thema Flüchtlinge angehen?

Ein Motiv gibt es (ebenso wie im Fall Oury Jalloh) allerdings nicht und das scheint auch nicht wichtig zu sein. Was es aber gibt, ist ein vorgeschobenes Happy End, das in Anbetracht des realen Vorbilds beinahe zynisch wirkt. Ein Happy End, das nur für die beiden Kommissare funktioniert, die (im Gegensatz zu den Flüchtlingen) kurz vor dem Abspann in ihre Autos steigen und die rassistisch verseuchte Provinz verlassen können. Es wäre der unbequemere aber auch wichtigere Weg gewesen zu zeigen, dass ein bisschen Small Talk im Flüchtlingsheim und offen zur Schau gestellte Betroffenheit niemandem hilft. Es beruhigt nur das Gewissen der Protagonisten.

Im real existierenden Fall gibt es immer noch kein Happy End—auch wenn der Fall letztes Jahr neu aufgerollt wurde. Da hat sich keiner der möglichen Täter im Eifer des Gefechts verraten, da gibt es da draußen vielleicht immer noch Polizisten, die ihre Macht missbrauchen, anstatt sie dafür zu nutzen, unser Rechtssystem zu stützen. Das Rechtssystem, nach dem Flüchtlinge Asyl in Deutschland beantragen dürfen. Vielleicht wäre das der ARD aber auch einfach zu unbequem gewesen. Man will schließlich nicht, dass der Zuschauer vor Günther Jauchs nächstem Flüchtlingstalk abschaltet.

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