Weil sie schwul sind, flohen sie aus Russland – jetzt soll einer von ihnen abgeschoben werden

Dass sie bei ihren Nachbarn in St. Petersburg nicht erwünscht sind, mussten Pavel Tupikov (41) und Igor Popialkovskii (32) schmerzhaft lernen. Erst verprügelte ein besoffener Nachbar Pavel, einige Tage später stand “Schwuchtel” an ihrer Wohnungstür. Und von der Polizei? Kam Hilfe, aber nicht für das Paar, sondern für den homophoben Nachbarn. Drei Monate nach der Schmier-Attacke forderte ein Bezirkspolizist sie auf zu verschwinden. Der Polizist bezog sich auf das Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda und drohte den beiden mit rechtlichen Konsequenzen, wenn das Paar nicht verschwände.

Seit 2013 gilt in Russland das Verbot von “homosexueller Propaganda”. Man verstößt schon dagegen, wenn man mit einem Schild durch die Straße geht, auf dem steht: “Schwul sein ist normal”. Die meisten Russen finden das sogar gut. Eine Umfrage des amerikanischen NORC-Instituts von 2014 ergab: 63 Prozent der Russen finden, dass die Gesellschaft Homosexuelle nicht akzeptieren solle. Und die Homophobie nimmt sogar noch zu: 2012 wollten 38 Prozent weder Schwule noch Lesben als Nachbarn, 2014 lehnten das über die Hälfte ab.

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Pavel und Igor hielten die Diskriminierungen, das Versteckspiel und die ständigen Anfeindungen nicht mehr aus und flogen zehn Tage nach der Drohung des Polizisten nach Deutschland. Sie stellten einen Asylantrag in Bayern und wollten als Flüchtlinge anerkannt werden, weil sie in ihrem Land wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Mittlerweile leben sie in Regensburg, haben eine eigene Wohnung. Nun soll Pavel zurück nach Russland. Das Problem: In Russland ist Homosexualität nicht offiziell verboten, sondern “nur” gesellschaftlich tabuisiert. Und deshalb wollen die deutschen Behörden Pavel nun wieder nach Russland schicken, wie er vor Kurzem in einem Abschiebungsbescheid erfuhr. Igor wartet noch auf die Entscheidung.

Uns haben sie erzählt, warum sie denken, dass eine Rückkehr für sie lebensgefährlich wäre.

VICE: Wie gefährlich ist es, in Russland offen schwul zu leben?
Igor Popialkovskii: Als Paar gemeinsam eine Wohnung anmieten? Keine Chance. Nach einer Hass-Attacke Hilfe von der Polizei erwarten? Naiv. Man kann für einen Kuss in der Öffentlichkeit getötet werden. Es gibt eine regelrechte Jagd auf Schwule, ein Mann, mit dem ich mal etwas hatte, wurde vor einem Jahr in St. Petersburg getötet: auf einem Fake-Date. Schwulenhasser legen sich Accounts bei Grinder oder Gay Romeo an und verabreden sich dann mit den Leuten, um sie zu verprügeln oder zu töten. Der Mörder, der meinen Ex mit 22 Messerstichen umgebracht hat, wurde festgenommen. Er hat nur die Mindeststrafe bekommen: acht Jahre. Normalerweise bekommt man 20 Jahre für so eine Tat. Das ist natürlich ein politisches Zeichen.

Wie konntet ihr euch überhaupt kennenlernen?
Wir haben uns zufällig in einem sozialen Netzwerk kennengelernt, VKontakte heißt es. Das ist ähnlich wie Facebook, also keine Homo-App. Theoretisch kann man sich aber auch in Schwulenclubs oder Saunas kennenlernen, die gibt es zumindest in Moskau. Nur: Es ist gefährlich, dorthin zu gehen. Auch hier lauern Schwulenhasser, oft sind das Taxifahrer. Die halten nach angetrunkenen Schwulen Ausschau, wollen sie angeblich nach Hause fahren, um sie dann zu bepöbeln und auszurauben. Denn bei Schwulen muss man ja kein schlechtes Gewissen haben.


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Wie finden es eure Familien, dass ihr einen Mann liebt?
Ich habe keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter. Sie ist der Meinung, dass ich krank bin. Vor zehn Jahren hat sie mich zu einem Psychiater gebracht. Mein Bruder ist der einzige, der mich aus der Familie unterstützt, er wohnt seit 14 Jahren in Bamberg und riet mir am Telefon, Russland zu verlassen. Bevor Pavel mich kennengelernt hat, lebte er mit seiner Ehefrau und seiner Tochter zusammen. Die Brüder seiner Ex-Frau bedrohen ihn bis heute, er hat schon viele Facebook-Profile gelöscht, mittlerweile hat er Profile mit Fakenamen. Nur so kann er ohne Bedrohungen leben.

Ihr lebt in Regensburg. Wurdet ihr auch hier schon schwulenfeindlich angemacht?
Wir sind seit März 2014 in Deutschland, haben einen Asylantrag in der Erstaufnahmeeinrichtung Zirndorf bei Nürnberg gestellt. Von da wurden wir in eine Flüchtlingsunterkunft in Wörth an der Donau geschickt – und da gab es Probleme. Es gab muslimische Flüchtlinge, die der Meinung waren, dass Schwule getötet werden sollten. Wir haben uns hier als Brüder ausgegeben, ein Jahr lang ging das Versteckspiel weiter. Dann haben wir Arbeit und eine Wohnung gefunden, seitdem ist alles anders. Wir sind hier so frei wie noch nie. Das ist ein wunderbares Gefühl. Wir können Händchen halten, müssen auf Ämtern nicht verheimlichen, dass wir ein Paar sind. Und von der Polizei können wir Hilfe erwarten, falls mal etwas passieren sollte – ist es aber noch nicht. Hier können wir leben, wie wir wollen.

Jetzt hat Pavel hat einen Abschiebungsbescheid bekommen. Wie lautet die Begründung?
In dem Bescheid steht, dass das Gesetz gegen Homopropaganda keine Diskriminierung sei, dass es in Russland kein Problem mit Schwulenrechten gäbe und dass die Intensität der Verfolgung moderat sei. Wir sollten in eine Großstadt ziehen. Ich finde das unglaublich, da kommen wir doch her! Wir vermuten, dass diese Ablehnungen systematisch sind: Ich kenne vier weitere Schwule aus Russland, die Ablehnungsbescheide in fast genau demselben Wortlaut bekommen haben – mit Copy and Paste wird hier über unser Leben entschieden. Wir haben dagegen geklagt, Ende Juni hat Pavel noch eine mündliche Anhörung.

Was löst das in euch aus?
Wir haben jetzt große Angst, dass wir Deutschland wieder verlassen müssen. Es ist zu unserer Heimat geworden, wir haben bei null angefangen, uns alles selbst aufgebaut. Als wir ankamen, waren wir sprachliche Kleinkinder, mussten aber Erwachsenendinge machen, zu Ämtern gehen und Verträge unterschreiben. Jetzt finden wir uns hier zurecht und wollen unser neues Leben nicht einfach so aufgeben.

Werdet ihr je wieder nach Russland zurückkehren?
Nein, das kommt nicht in Frage. Wenn du einmal weißt, was Freiheit ist, gehst du nicht mehr freiwillig zurück ins Gefängnis. Offen schwul zu leben, verändert die Gedanken. Man erkennt noch viel klarer, wie sehr man früher unterdrückt wurde, wie sehr Angst und Versteckspiele unser Leben dominiert haben. Seitdem wir uns zum ersten Mal wie Menschen fühlen, ist uns klar: Wir können uns nicht mehr verstecken. Nie wieder.

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