„Lady, ich kann Ihr Baby auf die Welt bringen, aber lassen Sie mich erst ein Selfie machen”, schrieb der angehende Geburtshelfer Daniel Sanchez auf seiner Instagram-Seite letzte Woche. In dem dazugehörigen Bild grinst er in die Kamera, während eine Frau hinter ihm ein Kind gebärt. Die Finger eines anderen Geburtshelfers befinden sich noch in oder an ihrer Vagina, während der Kopf des Babys langsam zum Vorschein kommt.
Sanchez, der seinen Instagram-Account mittlerweile auf Privat gestellt hat, fuhr dann damit fort, damit anzugeben, dass sein Team „Kinder auf die Welt bringen und Muschis wieder herstellen kann.” Er behauptet, ihre Fähigkeiten wären so gut, dass die Frauen (und implizit auch ihre Partner) sich darauf freuen können, untenrum „brandneu, wie ein Auto mit 0 Kilometern auf der Anzeige” zu werden. „Ganz fantastisch”, sagen die 31 Menschen, die das Bild mit einem Like versehen hatten. Die mehr als 5.000 Menschen, die über eine Petition disziplinarische Maßnahmen für Sanchez einfordern, finden das Ganze allerdings nicht so akzeptabel.
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In einem E-Mail-Austausch mit der Petitionsgründerin (Jesusa Ricoy von Roses Revolution, einer weltweit agierenden Bewegung, die sich gegen Gewalt bei der Geburtshilfe einsetzt) hat sich Sanchez dafür entschuldigt, die Gefühle anderer Menschen verletzt zu haben, und behauptet zudem, das Bild nicht selbst geschossen zu haben. Er erklärt uns darin außerdem ausführlich, dass die besagte Frau in dem Bild durchaus respektiert werde, da „man ihre Genitalien oder ihr Gesicht gar nicht sehen kann”, und versichert außerdem, dass sie mit der Aufnahme einverstanden war. Er weist außerdem mit Nachdruck darauf hin, dass er einer der empathischsten Studenten in seinem Team sei und dass Frauen ihn regelmäßig mit den Worten, „doctor hagame el tacto usted que es mas delicado” („Doktor, du darfst mich anfassen, weil du vorsichtiger bist.), darum beten würden, die Vaginal-Untersuchung bei ihnen durchzuführen.
Selbst wenn Sanchez die Einwilligung der unbekannten Frau bekommen hatte, bevor er sie der ganzen Welt in einem unglaublich privatem und verletzlichem Moment präsentierte, lagen seine Prioritäten offensichtlich doch ziemlich im Argen. Sie war immerhin gerade schwer damit beschäftigt, einen kleinen Menschen aus ihrem Körper zu pressen. Und da ich das selber schon ein paar Mal gemacht habe, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ein Foto in dem Moment nicht wirklich weit oben auf ihrer Prioritätenliste stand.
Das ist aber nur ein Teil des Problems. Am erschreckendsten ist an diesem Foto aber eigentlich die zur Schau gestellte Machtdynamik. Die Frau ist umzingelt. Sie liegt auf dem Rücken während in einem Stadium der Geburt, bei dem sie sich nicht bewegen kann—selbst wenn sie es wollte. Die Ärzte sind in ihren Kitteln ihrer Nacktheit gegenübergestellt. Sie haben Gesichter, Gefühle und verfügen über Handlungsmacht, während sie auf einen gebärenden Torso reduziert wird—auf einen Geburtskanal, in dem rücksichtslos herumgewühlt werden kann.
Jesusa Ricoy war diejenige, die im Internet zum Protest gegen das Bild aufgerufen hatte, um „eine Kultur zu bekämpfen, in der so etwas erlaubt und akzeptiert ist.” Ihre Bewegung gründete sie als Antwort auf eine Serie von Cartoons in dem Fachjournal der spanischen Gesellschaft der Geburtshelfer und Gynäkologen, in denen Frauen abwertend dargestellt, verspottet und sexualisiert wurden. In den Cartoons stellen Frauen mit großen Brüsten dumme Fragen, werden im Gynäkologenstuhl auf gespreizte Beine und ihre Genitalien reduziert oder ziehen zur Freude von hinterherhechelnden Hunden einen Vaginal-Prolaps hinter sich her. Sie zeigen ziemlich deutlich, wie diese Ärzte über die Frauen dachten, für deren Wohlergehen sie eigentlich sorgen sollten. Trotz der Proteste hat sich die Gesellschaft nie für die Cartoons entschuldigt
Jetzt bei Motherboard: Das Krankenhaus der Zukunft
Auch Sanchez Foto ist kein Einzelfall. Dieses Bild einer offensichtlich bewusstlosen, nackten Frau nach einem Kaiserschnitt wurde ebenfalls von Ärzten ins Netz gestellt. Am Wochenende hat Ricoy noch einen weiteren Mediziner ausfindig gemacht, der zweifelhafte Geburtsfotos bei Instagram postete. Mittlerweile hat der Krankenpfleger Francisco Salgado sein Foto eines frisch vernähten Damms einer Frau wieder gelöscht. Darauf bildeten eine künstlerisch unscharfe und blutige Vagina samt Innenschenkel den Hintergrund zu einem ihr zugewandten Kopf. Salgados Bildbeschreibung lautete, „jemand wird ewig in meiner Schuld stehen #thankfulhusbandsstich.” Der sogenannte „Husband Stitch” bezeichnet eine Praktik, bei der die Vaginalöffnung einer Frau nach einem Dammriss kleiner und enger gemacht wird als vor der Geburt.
Natürlich sind die Bilder selber nicht das eigentliche Problem. Sie sind aber Hieroglyphen für vieles, was an der Art verkehrt läuft, wie Frauen während der Geburt und, ganz allgemein, ihr ganzes zeugungsfähiges Alter hindurch behandelt werden. Auch jenseits der gefilterten Realität von Instagram befindet sich die Macht noch oftmals in den falschen Händen.
Venezuela war das erste Land, das „Gewalt bei der Geburtshilfe” als Vergehen anerkannte. Das Gesetz verbietet missbräuchliche Praktiken und alles, was einen „Verlust der Autonomie und der Fähigkeit, frei über Körper und Sexualität entscheiden zu können, [mit sich bringt und] einen negativen Einfluss auf das Leben von Frauen ausübt.” Die rechtliche Definition hat zwar etwas Hoffnung in die Welt gebracht, aber die Realität in venezolanischen Krankenhäusern sieht noch immer düster aus.
In Brasilien wurde letztes Jahr Adelir Camen Lemos de Góes von der Polizei aus ihrem Zuhause geholt und gegen ihren Willen zu einem Kaiserschnitt gezwungen, weil Ärzte nicht mit der von ihr getroffenen Geburtsentscheidung einverstanden waren. Die vaginale Geburt ist laut einer kürzlich erschienen Studie zu Geburten in Brasilien eine einsame und schmerzvolle Erfahrung. Frauen wird die Möglichkeit eine Begleitung mitzubringen, der Zugang zu Schmerzmitteln und die Freiheit, sich während der Geburt zu bewegen, verweigert. Der Anteil an durchgeführten Kaiserschnitten steht in keinem Verhältnis zu der von den meisten Frauen bevorzugten Geburtsart. Eine aktuelle Studie zeigt, dass auch wenn sich 73 Prozent aller Frauen dort ursprünglich eine vaginale Geburt wünschen, 50 bis 80 Prozent am Ende ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt bringen.
Aber diese Problematik beschränkt sich nicht nur auf Südamerika. Sie ist so weit verbreitet, dass die Weltgesundheitsorganisation eine Kampagne ins Leben gerufen hat, in der es heißt: „auf der ganzen Welt erfahren Frauen eine respektlose, missbräuchliche oder nachlässige Behandlung in Geburtseinrichtungen. Diese Praktiken können die Rechte der Frauen verletzen, sie davon abbringen, Gesundheitsversorgungsangebote rund um die Geburt in Anspruch zu nehmen, und sich auf ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen auswirken.”
Auch wenn die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern meistens am schlimmsten von missbräuchlichen Praktiken und einer Kultur betroffen sind, die gebärende Frauen entmenschlichen, wäre es naiv zu glauben, dass diese Problem nicht auch in westlichen Ländern auftreten würde. Die Aktivistinnen Cristen Pascucci und Lindsay Atkins haben gerade das Fotoprojekt „Exposing the Silence” ins Leben gerufen, in dem amerikanische Frauen porträtiert werden, die Gewalt durch Geburtshelfer erfahren haben. Auch in den USA gibt es schockierende Fälle von erzwungenen Kaiserschnitten und einer wachsenden Kultur von Strafmaßnahmen, die die Entscheidungsfreiheit von Frauen während der Geburt weiter einschränken.
In Großbritannien sieht es zwar besser aus, aber Frauen berichten noch immer davon, dass intime, operative Eingriffe ohne ihre Einwilligung durchgeführt werden. Auch hier zitiert eine Untersuchung problematischer Entbindungsstationen und tragischer wie vermeidbarer Todesfälle immer wieder einen Mangel an Achtung und Mitgefühl. Frauen sagen, dass sie sich während der Geburt nicht wie menschliche Wesen, sondern wie Reproduktionsgefäße behandelt fühlen.
Menschlichkeit ist der Schlüssel dazu, die Akzeptanz für solche Praktiken zu mindern, die nicht nur Frauen entwürdigen, ihrer Freiheit berauben, sie in Gefahr bringen und misshandeln, sondern ihnen auch Grundrechte absprechen. In Südamerika hat das Ausmaß des Problems eine revolutionäre Lösung hervorgebracht. Die Bewegung zur Vermenschlichung der Geburt (aus der von der Regierung unterstützte Programme wie das brasilianische Storch-Netzwerk hervorgegangen sind) setzt sich für eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung ein, bei der ein respektvoller und auf die Frau zugeschnittener Ansatz im Mittelpunkt steht. Auf der ganzen Welt wird nun mehr darauf geachtet, die Grundrechte der Frauen während der Geburt zu achten und die Machtstrukturen umzukehren.
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Erzwungene Kaiserschnitte, Gewalt durch Geburtshelfer und eine entmenschlichte Versorgung mögen vielleicht meilenweit von einem arroganten Nachwuchsarzt mit einem Selfie-Stick entfernt klingen, aber tagtäglich werden Frauen in den Kreissälen dieser Welt verhöhnt und entmenschlicht. Auch wenn ihre Köpfe wie auf Sanchez Bild vielleicht nicht zu sehen sind, so liegen sie dort wie hilflos gestrandet—identitätslose Vaginen, die ihrem Schicksal und der Willkür anderer hilflos ausgeliefert sind. Das Machtgefälle neigt sich offensichtlich in die falsche Richtung. Es sind die Frauen, und nicht die Ärzte, die „Kinder auf die Welt bringen”. Fangen wir doch damit an, das direkt auf der ersten Seite des Handbuchs für Geburtshelfer zu vermerken.