Nebenwirkungen der Pille? Kennt man. Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme haben schon mehr als eine Frau dazu gebracht, sich nach nicht-hormonellen Verhütungsmethoden umzusehen. Eine Nebenwirkung, von der man allerdings seltener hört, ist Lustlosigkeit. Dabei zählt sie zu den häufigsten Begleiterscheinungen. Eine trockene Scheide, ständige Pilzinfektionen, kein sexuelles Verlangen: Die Pille bietet zwar grundsätzlich einen hohen Schutz vor ungewollten Schwangerschaften (die Zuverlässigkeit und Wirksamkeit von Verhütungsmethoden wird mit dem Pearl Index angegeben, der bei der Pille zwischen 0,1 und 0,9 liegt,), aber was bringt diese Sicherheit, wenn man durch die Einnahme plötzlich keine Lust mehr auf Sex hat?
“Mindestens 50 Prozent meiner Patientinnen sind betroffen. Das wird vor allem deutlich, wenn man Frauen im Beratungsgespräch explizit darauf anspricht”, bestätigt der Wiener Gynäkologe Dr. Andreas Nather im Gespräch mit Broadly. Für die Betroffenen bedeutet die Nebenwirkung Lustlosigkeit nicht nur körperliche Auswirkungen, auch ihre Beziehungen leiden darunter. Deswegen entscheiden sich viele nach Jahren der Einnahme dazu, die Pille abzusetzen.
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“Seitdem ich die Pille abgesetzt habe, weiß ich, dass meine Libido eigentlich eine andere ist”, erzählt die 30-jährige Marie*. Sie selbst hat die Pille mehr als zehn Jahre lang genommen. Mit 16 bekam sie sie zum ersten Mal verschrieben – auch, weil sie sich eine Verbesserung ihres Hautbildes wünschte. Dass diese ihre Libido beeinflusst, fällt ihr zunächst nicht auf. Sie kannte es ja nicht anders, schließlich begann ihr Sexleben ungefähr gleichzeitig mit der Einnahme der Pille.
Eine Erfahrung, die sie mit vielen anderen teilt. Während der Großteil der Frauen im deutschsprachigen Raum mit der Pille verhütet, sind es insbesondere junge Frauen, die sich von ihren positiven Nebeneffekten reinere Haut, weniger starke Regelschmerzen oder einen regelmäßigeren Zyklus erhoffen. In Deutschland wird sie von etwa 53 Prozent der Frauen verwendet, 72 Prozent davon sind zwischen 18 und 24 Jahre alt.
In Österreich verwenden 38 Prozent aller Frauen die Pille, wobei der Anteil mit 53 Prozent bei Frauen unter 30 am höchsten ist. Mit zunehmendem Alter entscheiden sich Frauen vermehrt für die Hormonspirale und die Dreimonatsspritze. Der Österreichische Verhütungsreport zeigte 2015 außerdem einen Gesamtrückgang in der Anwendung der Pille – im Vergleich zum Jahr 2012 um sieben Prozent. Als Grund für die Absetzung hormoneller Verhütungsmittel gaben 30 Prozent der Befragten Lustlosigkeit an.
Es gibt viele Frauen, die das Gefühl nach dem Absetzen der Pille als neues Lebensgefühl beschreiben.
Marie ist 26, als sie die Pille absetzt. Seitdem fühlt sie sich wie ein anderer Mensch, erzählt sie. “Ich finde es toll, einen natürlichen Zyklus zu haben, den ich spüren und interpretieren kann. Man lernt viel über den eigenen Körper.” Ihre Libido hat sich völlig verändert. Sie verspürt viel mehr Verlangen, das sie auch erstmals als zyklusabhängig wahrnimmt.
Auch Elena* musste ähnliche Erfahrungen machen. Sie bekam die Pille mit 13 Jahren aufgrund starker Hautprobleme verschrieben. Lust auf Sex mit ihren Partnern hatte sie kaum. “Ich dachte immer, dass ich manchmal asexuelle Phasen habe. Ich hatte absolut keine Lust auf Sex und generell wenig sexuelles Empfinden. Dazu kam, dass ich oft eine trockene Scheide hatte.” Unter diesen vermeintlich asexuellen Phasen litt sie sehr. Mit 26 setzte sie die Pille dann ab, ihr Körpergefühl änderte sich schlagartig.
Solche Aussagen hört Nather häufig von Patientinnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Laut ihm gebe es “viele Frauen, die das Gefühl nach dem Absetzen der Pille als neues Lebensgefühl beschreiben”. Der Grund dafür, dass das Präparat überhaupt einen solchen Einfluss auf die weibliche Libido haben kann, liegt in seiner Zusammensetzung.
Sowohl männliche als auch weibliche Sexualhormone beeinflussen das Lustempfinden. Durch die Einnahme der Pille wird der Östrogenspiegel im Körper stabilisiert, es komme zu keinen Peaks wie bei einem normalen Zyklus, während der Testosteronspiegel gesenkt wird. “Zudem kommt es vermehrt zu einer Bildung des Sexualhormon-bindenden Globulin, einem Bindungsprotein, das dazu führt, dass noch weniger männliche Sexualhormone in aktiver Form vorliegen”, erklärt der Facharzt. Folglich kann die Frau lustlos werden. Manche Pillen enthalten außerdem bestimmte Gestagene (also weibliche Geschlechtshormone, auch Gelbkörperhormone genannt), die eine stärkere, antiandrogene Wirkung gegen männliche Sexualhormone haben und somit das Lustempfinden stärker unterdrücken.
Fakt bleibt, dass die Verträglichkeit von Verhütungsmitteln von Frau zu Frau sehr unterschiedlich sein kann.
Libidoverlust als Nebenwirkung kann alle Pillen betreffen, auch die Minipille. Man könne zwar versuchen, dem entgegenzuwirken, indem man eine östrogenhöherdosierte Pille verschreibt, sagt Nather im Gespräch mit Broadly. Das Umsteigen von einem Hormonpräparat auf ein anderes ist ihm zufolge aber nicht empfehlenswert, wenn eine Frau bereits Nebenwirkungen wie vermindertes Lustempfinden durch die Pille beklagt hat. Er rät seinen Patientinnen dann zu Alternativen wie zum Beispiel Kupferpräparaten, die den Hormonhaushalt völlig in Ruhe lassen.
Setzt man die Pille ab, stellt sich der normale Zyklus nach einigen Monaten in den meisten Fällen wieder ein – und mit ihm das Lustempfinden. Zwar seien Stimmungsschwankungen und ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Lustempfinden auch dann möglich, da dies vom Zyklus abhängt (in der Zyklusmitte ist das natürliche Lustempfinden beispielsweise am höchsten), laut Nather sei dies allerdings ganz natürlich.
Elena glaubt, dass Pausen von der Pille notwendig sein könnten, um zu verstehen, wie der weibliche Körper wirklich fühlt. Nather sieht diese Frage differenziert: “Notwendig sind solche Pausen von hormonellen Verhütungsmethoden oder Alternativen nach einem gewissen Zeitraum nicht, wenn man grundsätzlich mit der Methode zufrieden ist und keine Nebenwirkungen verspürt.” Regelmäßige Besuche bei dem oder der Frauenärztin seien ohnehin wichtig, man sollte im Zuge dessen auch besprechen, ob die Verhütungsmethode noch zu einem selbst und zur Lebenssituation passt. Hier liege eine gewisse Eigenverantwortung bei den Patientinnen, aber auch Ärztinnen müssen verantwortungsvoller entscheiden.
“Man sollte den natürlichen Zyklus der Frau so wenig wie möglich beeinflussen, vor allem dann nicht, wenn die Patientin eine regelmäßige Blutung und keine zu starken Schmerzen während der Periode hat. Für ein Mädchen, das sehr darunter leidet, kann die Pille hilfreich sein”, erklärt der Arzt. Einer Frau, die zwar eine sichere Verhütung braucht, aber ansonsten nicht von der Pille profitiert, würde er allerdings nicht zu einer hormonellen Verhütungsmethode raten.
Wichtig bleibt dabei, im Hinterkopf zu behalten, dass viele der alternativen Verhütungsmethoden als nicht sonderlich sicher gelten. Laut Nather sei es insbesondere bei jungen Frauen, bei denen der Zyklus noch nicht so regelmäßig ist, wichtig, keine Risiken einzugehen, indem man sich beispielsweise auf den Persona-Computer verließe. Der Österreichische Verhütungsreport geht einen Schritt weiter und bezeichnet es als “Mythos”, dass es viele wirksame Verhütungsmethoden gibt, die nicht hormonell sind.
Fakt bleibt, dass die Verträglichkeit von Verhütungsmitteln von Frau zu Frau sehr unterschiedlich sein kann. Wichtig ist es, den eigenen Körper zu beobachten und gegebenenfalls mit der Ärztin oder dem Arzt alternative Verhütungsmöglichkeiten zu besprechen. Sicherheit und Verträglichkeit sind wichtig. Vergessen dürfen wir dabei allerdings nicht, dass Sex abgesehen davon ja auch noch Spaß und Lust bereiten soll.