Wenn Politiker sich auf die Fresse geben

Politiker sollten eigentlich in der Lage sein, Probleme verbal zu lösen. Doch oft verstehen sie das Begriffspaar “legislative Gewalt” nicht ganz richtig und hauen sich gegenseitig aufs Maul. Vergangenen Mittwoch kam es zu Raufereien im brasilianischen Parlament, weil Präsident Michel Temer das Militär gegen Demonstranten einsetzte.

Schon das britische Unterhaus wurde so aufgebaut, dass zwischen Regierung und Opposition mindestens zwei Schwertlängen Abstand liegen. Der Politologe Christopher Gandrud beschäftigte sich sogar wissenschaftlich damit, unter welchen Bedingungen es zu Schlägereien im Parlament kommt.

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Er fand heraus, dass sich dieses Phänomen durch alle Sprachen, Kulturen und Weltregionen zieht. Schlägereien im Parlament häufen sich, wenn Demokratien noch jung sind. Politiker nutzen ihre Fäuste außerdem häufiger, wenn sie in der Opposition das Gefühl haben, dass sich die Ergebnisse an der Wahlurne nicht im Parlament widerspiegeln. Daher kommt es in Staaten mit Mehrheitswahlrecht öfter zu Schlägereien als in Staaten mit Verhältniswahlrecht. Auch gesellschaftliche Spaltungen können zu mehr Schlägereien führen, wie sich derzeit in der Türkei und der Ukraine beobachten lässt, wo die Fäuste regelmäßig fliegen.


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Taiwan ist mit 15 Schlägereien seit 1980 führend in der Welt, auf Rang zwei und drei liegen die Ukraine und Südkorea. In der EU prügeln sich italienische Abgeordnete am häufigsten. Weil Quantität aber nicht gleich Qualität ist, haben wir für euch die krassesten Parlamentsschlägereien nach Eskalationsstufe geordnet.

Judokampf: Südkorea

Im südkoreanischen Parlament kam es 2010 zu einem Judokampf. Durch einen sauber ausgeführten Tomoe Nage legt ein Parlamentarier den anderen auf den Boden und konnte einen klaren Sieg erringen.

Eierwurf: Kosovo

Oppositionelle Abgeordnete bewerfen Premierminister Isa Mustafa im September 2015 mit Eiern. Die Opposition versuchte damit, die Umsetzung eines Abkommens mit Serbien zu verhindern, welches ihrer Auffassung nach die Souveränität ihres Landes gefährdete. Serbien erkennt den Kosovo nicht an und betrachtet das Land weiterhin als sein Staatsgebiet.

Eiergrabscher: Ukraine

Zunächst wirkte es romantisch: Ein Abgeordneter bringt dem damaligen Premierminister Arsenij Jazenjuk einen Strauß Blumen. Doch dann packt er ihn an den Eiern und versucht ihn vom Rednerpult zu tragen. Der Auftakt zu einer ordentlichen Prügelei.

Catfight: Afghanistan

Parlamentsschlägereien sind eine Männerdomäne, auch weil in den meisten Ländern Frauen in Parlamenten unterrepräsentiert sind. Diese Abgeordnete aus Afghanistan beweist, dass sich auch Frauen prügeln können. Erst bewirft sie eine andere Abgeordnete mit einem Schuh, dann schlägt sie ihr mehrfach ins Gesicht. Die Angreiferin Nazifa Zaki ist eine Generälin und teilte nicht die Auffassung ihres Opfers über Raketenangriffe aus Pakistan.

Würgen: Ukraine

Eigentlich sollen Parlamentssprecher für Ruhe sorgen. Der kommunistische Abgeordnete Adam Martyniuk kommt dieser Verpflichtung allerdings nicht nach und würgt kurzerhand einen anderen Abgeordneten, nachdem dieser ihn als “Pharisäer” beschimpft hatte. Erinnert etwas an Homer Simpsons Gewaltausbrüche, wenn er Bart würgt: “You little…”

Massenschlägerei: Bolivien

Diese Rauferei in Bolivien zeigt eindrücklich welche Mittel am häufigsten verwendet werden: Schläge, Tritte und dank der guten Verfügbarkeit auch Wasser und Papier. Bei dem Streit ging es darum, ob vier Richter wegen Korruption angezeigt werden sollen.

Arbeiterrevolte: Südafrika

In Südafrika sind die Streitparteien an den Trikots zu erkennen. Am 9. Februar 2017 versuchten Abgeordnete der sozialistischen EFF in ihren roten Overalls den Präsidenten Jakob Zuma an seiner Rede zur Lage der Nation zu hindern. Sie benutzten ihre Arbeiterhelme als Schlagwaffen, während das Sicherheitspersonal in Weiß es vorzog, mit nackten Fäusten zu kämpfen. Die Aktion fand im Vorjahr bereits so ähnlich statt.

Boxweltmeister herausfordern: Ukraine

Kiew ist unangefochtene europäische Hauptstadt der Parlamentsschlägereien. Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko war nur einmal an einer Rangelei beteiligt. Er drohte seinem Kontrahenten mit der Faust, schlug dann aber doch nicht zu. Wäre wohl auch ziemlich unangenehm für seinen Gegner geworden.

Profiwrestling: Türkei

Am 2. Mai 2016 versuchten Erdoğans Gefolgsleute die Immunität von Abgeordneten der linken und prokurdischen HDP aufzuheben. Dies endete mit einer Massenschlägerei, bei der mehrere Beteiligte von Tischen sprangen und ihren Gegnern dabei Schläge ins Gesicht verpassten. Es war die zweite Schlägerei innerhalb einer Woche im türkischen Parlament.

Tränengas: Kosovo

Die Partei Vetvendosje will, dass sich Kosovo und Albanien zu einem Staat vereinigen und sah die Regierung als korrupt und illegitim an. Deswegen haben sie die Parlamentsarbeit mehrfach mit Tränengas lahmgelegt. Diese Aktion haben sie schon so oft gebracht, dass die anderen Abgeordneten und das Sicherheitspersonal sich mit Gasmasken eingedeckt haben.

Lynchjustiz: Mazedonien

Am 27. April stürmten Hunderte Nationalisten das mazedonische Parlament und prügelten den designierten Premierminister Zoran Zaev blutig. Aus dem Mob heraus wurde die Politikerin Radmila Šekerinska an ihren Locken durch das Parlament gezogen. Insgesamt wurden über Hundert Personen verletzt, viele mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Die Eskalation brach aus, weil Anhänger der nationalkonservativen VMRO sich ihre Wahlniederlage nicht eingestehen wollten.

Kalaschnikow: Jordanien

Ein Abgeordneter in Jordanien wollte seinen Kontrahenten mit einer AK-47 niederstrecken, schaffte es mit der Waffe aber nur bis in den Vorraum des Parlaments. Dort ballerte er los. Die Zielperson wurde nur deswegen nicht ermordet, weil ein dritter Parlamentarier dazwischen ging und den Lauf der Kalaschnikow in eine andere Richtung lenkte. Verwandte des Beinahe-Opfers versammelten sich daraufhin bewaffnet vor dem Parlamentsgebäude. Es ging um einen banalen Streit im Parlamentsverfahren, der sich hochschaukelte. Der Abgeordnete mit der Kalaschnikow wurde wegen Mordversuchs angeklagt.

Außer Konkurrenz: Deutschland

Könnt ihr euch Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Sahra Wagenknecht in einer Schlägerei vorstellen? Eben. In der Geschichte der Bundesrepublik gibt es nur eine Parlamentsschlägerei, im Jahr 1950. Ex-NSDAP Mitglied Wolfgang Hedler fiel weiter durch seinen Antisemitismus und seine rechtsextreme Gesinnung auf und wurde von den SPD-Politikern Herbert Wehner und Rudolf-Ernst Heiland aus dem Raum geprügelt und die Treppe hinuntergestoßen.

Deutschland bietet sich laut der Arbeit von Christopher Gandrud einfach nicht für Schlägereien im Parlament an. Es herrscht Verhältniswahlrecht, die Demokratie ist etabliert und die gesellschaftlichen Spannungen sind nicht wo weit ausgeprägt wie in vielen anderen Ländern. Mal schauen, ob sich hier etwas zum Negativen ändert, wenn eine neue Partei in den Bundestag einzieht, deren Mitglieder teilweise kein Problem damit hätten auf Flüchtlingskinder zu schießen.

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