Wie australische Bros kanadische Skiorte in niemals endende Junggesellenabschiede verwandeln

Der fotografische Beweis dafür, dass niemand so hart feiert wie Australier | Alle Fotos: bereitgestellt von Dean

Heutzutage ist es fast schon Tradition, dass anlässlich des australischen Nationalfeiertags Australia Day Tausende Aussies in Whistler und Banff—zwei von Kanadas malerischsten und berühmtesten Skistädtchen—einfallen, um dort zu snowboarden, zu kiffen, einen Haufen Koks wegzuziehen und sich um den Verstand zu saufen. Einige schwenken dabei große Nationalflaggen, andere exen in Känguru- oder Koala-Kostümen ein Bier nach dem anderen und wieder andere laufen trotz des vielen Schnees und der frostigen Temperaturen halbnackt herum.

Australia Day ist allerdings schon lange nicht mehr der einzige Anlass für Australier, in Örtchen wie Whistler oder Banff die Sau rauszulassen—eigentlich ist es fast schon normal, Leute aus Down Under in Kanada anzutreffen. Aber warum ist das eigentlich so?

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„Das ist einfach ein großer Teil der Kultur hier. Australia Day ist in Whistler größer als Weihnachten”, erzählt mir Amy, eine 26-jährige Australierin, die in der kanadischen Kleinstadt wohnt.

Dieses Phänomen kann zum Teil auch einem Work-and-Travel-Programm zugeschrieben werden, bei dem Länder des Commonwealth of Nations teilnehmen. Dieses Programm ist für Menschen zwischen 18 und 35 gedacht und wenn man ein Visum bekommt, darf man sich zwei Jahre lang in Kanada aufhalten und arbeiten—und was man während dieses Zeitraums in seiner Freizeit macht, ist einem selbst überlassen. Zwar ist der Mindestlohn in Australien mit umgerechnet knapp elf Euro ziemlich hoch, aber trotzdem entscheiden sich viele junge Aussies dazu, ihr Heimatland zumindest temporär hinter sich zu lassen und als eine Art Übergang ins Erwachsenenleben durch die Welt zu reisen und zu arbeiten. Viele wählen sich dafür dann Kanada aus, weil es dort etwas gibt, das in Australien nur selten zu finden ist: Schnee.

„Ich habe einen unglaublich gut bezahlten Job aufgegeben, meine Freunde zurückgelassen und sogar die Geburt des Kindes meines besten Kumpels verpasst, um hierher zu kommen. Auch meiner Familie sagte ich Lebewohl, um auf die andere Seite des Planeten zu ziehen, wo ich im Nimmerland lebe, die Sau rauslasse, arbeite, Party mache und Snowboarden gehe”, meint Dean, ein 23 Jahre alter in Whistler lebender Australier, zu mir.

Zwar ist überall in Kanada immer mal wieder ein Australier anzutreffen, aber Whistler und Banff sind trotzdem mit Abstand die beliebtesten Ziele der Leute aus Down Under. So ist es sogar schon soweit gekommen, dass der Überfluss an Australiern in Whistler dazu geführt hat, dass der Ort den Spitznamen „Whistralia” erhalten hat.

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Es gibt zwar keine offiziellen Statistiken darüber, wie viel Prozent von Whistlers Bevölkerung aus Australiern besteht, aber die meisten Bewohner, mit denen ich gesprochen habe, schätzen, dass es sich derzeit wohl um 40 oder 50 Prozent handeln muss.

Rafaella Avalon, eine 24-jährige Kanadierin, die in Whistler im Einzelhandel arbeitet, erzählt mir davon, wie sie oft von Touristen angesprochen wird, die dann total überrascht sind, mal nicht mit einem Australier zu reden.

„Am Australia Day gehe ich auch nie fort, weil da einfach alles drunter und drüber geht”, meint sie. „Man kann richtig hören, wie die Australier überall total ausrasten. Alle ziehen sich aus und es herrscht komplettes Chaos.” In Bezug auf die australischen Bros erwähnt Avalon auch, dass sie beim Feiern schon viele frauenfeindliche Sprüche und lahme Flirtversuche ertragen musste. Eine Anmache hat dabei sogar mal damit geendet, dass ihr ein Australier anbot, ihr „ein schönes Bild auf die Fotze zu malen.”

Alltag in „Whistralia”

„Wenn die Jungs hier ankommen, halten sie sich plötzlich für Peter Pan: Sie glauben, sich wieder wie Kinder verhalten zu können, und nehmen alles mit, weil es an den australischen Universitäten nicht so wild zugeht wie hier in Kanada oder Amerika”, erklärt mir Amy, die in einem der vielen Nachtclubs von Whistler arbeitet. „Außerdem habe ich schon gehört, dass viele Mädchen davon erzählen, wie sie sich wie Alice aus Alice im Wunderland fühlen, weil sie sich plötzlich in einer Welt befinden, in der nichts mehr Sinn ergibt und die komplett verrückt zu sein scheint. Man lebt hier von 10 Dollar am Tag und hangelt sich von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck. Von den vielen Drogen will ich gar nicht erst anfangen.”

Während es schon lange klar ist, dass Snowboarden und Drogen irgendwie Hand in Hand gehen (vielen Dank, Ross Rebagliati), wird dieser Umstand in den beiden kanadischen Skiorten auf die Spitze getrieben. Schuld daran ist wohl die Tatsache, dass dort so viele junge Menschen wohnen. Stats Canada zufolge ist sowohl in Whistler als auch in Banff ein Großteil der Einwohner zwischen 20 und 30 Jahre alt.

Dazu kommt dann noch, dass es in der Drogenszene Australiens ganz anders zugeht: Laut den Australiern, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, zahlt man dort für ein Gramm Kokain zwischen 250 und 350 Dollar. In Kanada sind es hingegen nur 80 bis 100 Dollar—je nach Qualität und Verhandlungsgeschick. Für eine MDMA-Kapsel muss man in Down Under 20 bis 30 Dollar hinblättern, während in Kanada für richtig gutes Zeug nur 10 Dollar anfallen. Und schließlich muss man noch bedenken, dass Marihuana in Australien komplett illegal ist. In British Columbia hat man jedoch einfachen Zugang zu hochwertigem Gras aus der Industrie, die sich um medizinisches Marihuana herum gebildet hat.

„Als ich hier ankam, war das wirklich wie eine Art Kulturschock, weil ich mit Drogen vorher nichts am Hut hatte”, erzählt mir Amy. „Bei meiner ersten Hausparty hier wurde ich gefragt, ob ich Bock auf das weiße Pulver hätte. Daraufhin meinte ich: ‚Klar, ich liebe Schnee!’ Jeder hat mich erstmal ausgelacht.” Amy selbst nimmt zwar auch weiterhin keine Drogen, aber die meisten ihrer Bekannten kiffen, koksen, nehmen MDMA, werfen sich Pilze ein und konsumieren auch sonst alles, was ihnen über den Weg läuft.

Alltag am Berg

Dean hingegen hat es schon oft ausgenutzt, wie leicht und günstig man in Kanada an gute Drogen kommt. „Nach einer Wildwasser-Rafting-Tour wurde zum Beispiel einfach weitergefeiert—die Leute tranken Unmengen an Alkohol und zogen sich die bescheuertsten Kostüme an. Das Ganze endete dann in einem dreitägigen Besäufnis bei mir zu Hause”, erzählt er mir. „Ich erinnere mich auch noch an einen Abend, an dem ich mit meiner jetzigen Ex-Freundin und zwei Kumpels viel zu viel MDMA genommen habe und es dann nicht mehr hinbekam, Türen zu öffnen.” Außerdem erwähnt er eine Partynacht in Whistler, in der er sich einen ganzen Streifen Ritalin aus Mittelamerika einschmiss, daraufhin nicht mehr laufen konnte und letztendlich von einem Türsteher nach Hause getragen werden musste.

Eine Kanadierin, die sich Kassa Nova nennt und in Whistler früher als Go-Go-Tänzerin gearbeitet hat, erinnert sich noch gut an die vielen Interaktionen mit Australiern. So erzählt sie mir davon, wie die Aussies immer die Treppen runtergestürzt oder aus Taxis gefallen sind und außerdem ständig versucht haben, zu ihr auf die Bühne zu klettern—nur um dann von ihr wieder ins Publikum gestoßen zu werden.

„Australier sind witzig und wissen, wie man feiert. Das muss ich ihnen lassen”, meint sie. „Wir sind doch eigentlich alle nur hier, um Party zu machen. Die Leute aus Down Under wollen einfach nur ein bisschen die Sau rauslassen und ein paar Weiber knallen—danach hauen sie wieder ab.”

Nova hat nach einer Schicht auch mal einen Australier mit zu sich nach Hause genommen, wo die beiden dann eine „Konfetti-Party” gefeiert haben. In anderen Worten: Sie sind durchs Haus getobt, haben sich mit Konfetti-Kanonen beschossen und dazu noch Seifenblasen gemacht. Nachdem der ganze Spaß vorbei war, hat sie den Typen direkt wieder rausgeschmissen. „Ich glaube nicht, dass ich jemals mit so einem Mann zusammen sein könnte. Ich persönlich finde sie irgendwie arrogant. Es ist sogar schon fast soweit gekommen, dass ich den Akzent nicht mehr mag—inzwischen nervt er mich doch ziemlich.”

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Da sowohl Drogen und Alkohol als auch Skifahren und Snowboarden einen großen Teil der dortigen Kultur ausmachen, sind Verletzungen keine Seltenheit.

Sam, ein 27 Jahre alter Australier, der mit einigen Freunden zum Arbeiten nach Whistler gekommen ist, meint mir gegenüber, dass sich schon ab und an mal jemand verletzt. „Wenn die Leute betrunken snowboarden, dann werden sie schnell übermütig. Genau so ist es auch ein paar von meinen Freunden ergangen”, erzählt er. „Ein anderer Kumpel ist einfach nur ein bisschen auf seinem Skateboard herumgerollt und dabei hingefallen. Zack, schon war sein Arm gebrochen. Daraufhin musste er wieder nach Hause fliegen. So was kommt vor allem im Sommer häufiger vor—die Leute hier fahren zum Beispiel ganz oft betrunken mit dem Fahrrad von der Kneipe nach Hause.”

Notärzte und Krankenschwestern, die in kanadischen Skiorten arbeiten, bestätigen, dass Australier einen Großteil der Patienten ausmachen.

„Man kann es schon so sagen, dass sie viel Geld bei uns lassen”, erklärt mir ein Skiort-Arzt, der anonym bleiben will. „Wir haben sie aber wirklich gern. Sie sind gut drauf, witzig und normalerweise immer total nett.” Besagter Arzt fügt allerdings auch noch hinzu, dass viele Krankenschwestern ihren Dienstplan schon weit im Voraus erstellen und dabei hoffen, nicht am Australia Day arbeiten zu müssen.

Neben den viele Australiern, die nur des Feierns wegen nach Kanada kommen, gibt es aber auch die, die sich aus anderen Gründen dorthin aufmachen. So sagt Olivia, eine 25-jährige Australierin, die schon in Whistler und Banff gelebt hat, dass sie und ihr Freund sich in die Berge verliebt haben, weil diese einfach einen so großen Kontrast zu ihrer Heimat darstellen. Die beiden wussten schon immer, dass sich Kanada perfekt zum Snowboarden und für Abenteuer eignet.

Aber auch Sam erzählt mir davon, wie sehr er es liebt, jeden Morgen aufzuwachen und sich sofort auf die Pisten stürzen zu können. Er weiß genau, warum es sich für ihn so gelohnt hat, von Australien nach Whistler zu kommen: „Hier kann ich snowboarden, rund um die Uhr Party machen und tolle neue Leute kennenlernen. Wenn ich irgendwann mal 60 bin, werde ich auf diese Zeit zurückblicken und sagen, dass das die besten Jahre meines Lebens waren.”