Wie der Rapper LAB im Gefängnis zum Musiker wurde

Ajrim (LAB) entdeckte den Rap im St. Galler Jugendgefängnis für sich

Während andere sich durch ihre Jugend feierten, blieb für Ajrim die Zeit stehen. Der Rapper, unter seinem Künstlernamen LAB bekannt, verbrachte in seiner Jugend fünf Jahre hinter Gittern. Ausgerechnet an einem der inspirationsärmsten Orte der Welt entdeckte der St. Galler sein musikalisches Talent. Statt Briefe schrieb der damals knapp 16-Jährige unzählige Raptexte, feilte an seinen Reimen und lernte, seine Wut in Wörter umzuwandeln.

Wenn jemand über ein hartes Leben rappen kann, ohne sich dafür an Gangsta-Klischees zu bedienen, dann Ajrim. Aufgrund seiner gewalttätigen Vergangenheit war er in seinem Heimatdorf verschrien und wurde ausgegrenzt. Heute nutzt er diese Erfahrungen, um auf seine brutal ehrliche Art Vorurteile zu brechen und die Engstirnigkeit in der Szene zu zerstören. Wir treffen den 26-Jährigen in Basel, um mit ihm über seine Haft, seine Musik und Realness im Rap zu sprechen.

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VICE: Ajrim, warum musstet du ins Gefängnis?
Ajrim: Es hat alles angefangen, als ich aus der Schule geflogen bin, weil ich Scheisse gebaut habe. Mein bester Freund hatte einen Unfall und lag im Koma. Ich kam damit nicht klar. Da ging’s los mit Sachbeschädigung, Dealen und so weiter. Ich habe mein Praktikum und meine Chance auf eine Lehrstelle in den Wind geschossen und bin völlig abgedriftet.

Dafür muss man noch nicht in den Knast. Was ist dann passiert?
An einem Fussballmatch vom FC St. Gallen gingen die Fans der gegnerischen Seite so hart auf uns los, dass mein Kumpel mehrere Zähne verlor und sein ganzes Gesicht entstellt war. Die restlichen Fans stürzten sich auf mich. Als ich auf dem Boden lag, nahm ich einen Stein und schmetterte ihn einem Typen ins Gesicht. Wir fuhren mit meinem Kumpel in die Notaufnahme. Als ich aus dem Krankenhaus kam, wartete die Polizei schon draussen und nahm mich fest. Sie sahen zwar, dass es Notwehr war, aber da ich mit meinen knapp 16 Jahren schon genug Anzeigen gesammelt hatte, entzogen sie meiner Mutter das Sorgerecht und steckten mich in den halboffenen Vollzug. Von da hatte die Jugendanwaltschaft die Vormundschaft über mich.

LAB Rap

Im Gefängnis hast du dann angefangen zu rappen?
Ich hatte schon vorher ab und zu was geschrieben, wenn’s mir schlecht ging. Im Gefängnis gab es einen 48-Stunden-Einschluss, wo ich oft hin musste. In dieser Zeit hatte ich nichts ausser einem Stift und Papier. Ich durfte da nicht mal duschen. Eigentlich sollte man da Entschuldigungen schreiben für das, was man gemacht hat. Aber ich habe all die Blätter mit Raptexten vollgeschrieben. Das hat mir geholfen, alles zu verarbeiten. Was willst du sonst machen, wenn du im Jugendgefängnis traurig bist? Du kannst das nicht zeigen. Und wenn du wütend bist, darfst du’s nicht rauslassen. Heute übernehme ich manchmal Zeilen aus meinen alten Texten, aber es waren halt meine Anfänge, darum sind die Texte nicht so gut.


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Worüber hast du geschrieben?
Vor allem über Hass gegen die Staatsgewalt. Ich bin bis heute mit vielen Massnahmen im Gefängnis nicht einverstanden.

Haben andere Leute im Gefängnis auch gerappt?
Es haben viele angefangen zu rappen um sich so mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wir wollten klarmachen, dass die Leute aufhören müssen, schlecht über uns zu reden und mit dem Finger auf uns zu zeigen. Klar, alle hatten einen Grund, weshalb sie da waren. Aber es war oft nicht so schlimm, wie es von aussen wirkte. Mit den Raps konnten wir ein Statement machen. Leider hat nur einer ausser mir weitergemacht.

Wie war das Verhältnis zwischen dir und den anderen Rappern im Gefängnis?
Musik war das einzige, was uns verbunden hat. Man ist im Gefängnis ziemlich verfeindet.

Inwiefern verfeindet?
Die Stärkeren regieren. Es gibt immer ein, zwei Leute, die die anderen unterdrücken. Wenn du ein Unterdrückter bist, hältst du dich so gut wie möglich von Konflikten fern. Aber die Musik hat uns zusammengeschweisst.

LAB Rap

Du machst auch Freestyle, richtig?
Ich mochte schon immer gerne Battles. Ich habe zwar keine Aggressionsprobleme, aber ich brauche ein Ventil, um den inneren Druck rauszulassen. Sonst schrei ich einfach los. Ich messe mich auch gerne mit anderen Leuten. Ich musste viel üben, aber inzwischen bin ich ziemlich gut. Für mich ist ein Rap-Battle wie ein Boxkampf: sportlich. Du gibst deinem Gegner vorher und nachher die Hand. Es gibt Grenzen, was ich auch gut finde. Du darfst nicht rassistisch werden oder so, aber es geht schon hart zu. Du musst damit klarkommen, wenn dich 80 Leute auslachen, weil dein Gegner dich gut getroffen hat.

Bleibst du schon immer so locker, wenn dich jemand verbal angreift?
Ich habe im Gefängnis nie zugeschlagen, wenn mich jemand beleidigt hat. Ich sehe die Kunst darin, das Gesagte des Gegners in seinem Mund zu verdrehen und zurückzuschleudern. Das hat mir aber draussen auch schon einige Fäuste beschert.

Wann hast du das letzte mal auf die Fresse bekommen?
In einem St. Galler Club hat mich mal ein Typ beleidigt. Da sagte ich was zurück, drehte mich um und hatte seine Faust in der Fresse. Es kann also auch nach hinten losgehen.

Und im Gefängnis wurde es nie kritisch?
Nein, wer jemandem eine reinhauen wollte, kam dafür vier Tage in Strafuntersuchung. Da überlegst du dir zweimal, wie du zurückschlagen willst – ob verbal oder mit den Fäusten.

Wo hast du für deine Texte Inspiration gefunden?
Ich habe viel über die Vergangenheit geschrieben. Klar kannst du mit einem Therapeuten reden, aber wenn du’s in deine Texte packst, setzt du dich noch intensiver damit auseinander. Das hat mich viel ruhiger gemacht. Meine Sturheit und mein falscher Stolz haben mich viel gekostet.

Hast du einen Song, den du im Gefängnis geschrieben hast, der dir noch heute viel bedeutet?
Ja, der Song heisst “I ha ghört“. Den habe ich vor Kurzem neu aufgenommen. Da geht’s darum, was ich gehört habe, wenn Leute über mich geredet haben. Ich komme aus Altstätten, einem kleinen Dorf. Alle Eltern und Kinder wussten damals Bescheid, dass ich im Knast war. Vor allem für meine alleinerziehende Mutter war das schwer.

Wie willst du heute als Rapper wahrgenommen werden?
Ich will nicht auf meine Geschichte reduziert werden, aber sie macht meine Musik aus. Mein Album heisst Kein Teil Vo De Szene. Ich will zeigen, dass man nicht mit dem Strom schwimmen muss. Es soll aber nicht zu klischeebehaftet rüberkommen, im Sinne von “der Knasti hat’s geschafft”. Ich habe es ja nicht geschafft, ich bin immer noch wütend und rebellisch. Aber ich lebe das jetzt so, dass es gesellschaftlich OK ist.

Du willst nicht Teil der Szene sein. Was bedeutet dir die Schweizer Rapszene denn?
Die Musik, die jetzt läuft, geht um Drogen, um Frauen, Autotune. Ich habe das alles schon so oft gehört. Meine Vorbilder sind Eminem und Tupac. Die haben richtig krasse Messages verbreitet. Das machen die heutigen, jungen Rapper nicht. Ich habe das Gefühl, Rap wird missbraucht. Es geht einfach viel zu oft um irgendwelche sexistischen und rassistischen Dinge. Man gibt einen Scheiss auf politische Korrektheit und entschuldigt alles mit “Ist ja nur Rap”. Ich will kein Teil dieser Szene sein, sondern Rap machen, wie er früher war.

Denkst du denn nicht, dass du mit dieser Kritik an der Szene erst recht nicht gut aufgenommen wirst?
Wenn du dein Ding gut machst, wird die Szene schon auf dich aufmerksam. Es ist halt ein langer und schwerer Weg. Visu und LeRou sind die einzigen Rapper, die auf meinem Tape gefeaturet sind, weil sie verstehen, was ich sagen will. Ich will die Leute aufwecken und ihnen zeigen, dass es noch andere Werte gibt, als die, die gerade vermittelt werden.

Du willst mit deiner ganzen Geschichte diese Realness wieder aufleben lassen. Was hältst du von Rappern, die über ihr “hartes Leben” rappen, ohne einen Background wie deinen zu haben?
Das ist einfach fake. Man glaubt mir nicht mehr, was ich durchgemacht habe, weil man nicht unterscheiden kann, was stimmt und was nicht. Ich gebe sehr viel preis und versuche, meine Geschichte mit meiner Musik zu verarbeiten. Dann kommt irgendeiner, rappt von einer ähnlichen Story, die er vielleicht gar nicht erlebt hat. Ich will mein Wissen weitergeben und dann erzählt mir einer etwas, von dem er keine Ahnung hat. Das pisst mir schon ans Bein. Aber was fake oder real ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich würde nie was erzählen, was nicht stimmt.

LAB Rap

Inwiefern willst du die Leute mit deiner Musik verändern?
Ich will das Schwarz-Weiss-Denken bekämpfen. Nur weil ich ohne Vater aufgewachsen bin, erklärt das nicht, warum ich im Gefängnis gelandet bin. Und ich fluche nicht, nur weil ich im Gefängnis war. Ich will Vorurteile bekämpfen und zwar auf eine wütende Art. Mit Blumen funktioniert das einfach nicht.

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