Die Sonne geht über einer eindrucksvollen Dschungellandschaft unter. Schnitt. Ein Soldat blickt aus der Ego-Perspektive auf die dichte Vegetation. Wir sehen seine Kampfstiefel, seine Einsatzhose, beides beige. Im Hintergrund das gedämpfte Knattern von Rotorenblättern. Er sitzt in einem Hubschrauber. Schnitt. Der Hubschrauber landet auf einer Lichtung, für den Soldaten und seine schwerbewaffneten Kolleginnen und Kollegen geht es im Jeep weiter. “Nur wenige kennen ihre Namen” erscheint in weißen, fetten Großbuchstaben im Bild. Dann “Nur wenige kennen ihre Aufträge”, während die Einsatzgruppe zu Fuß durchs Unterholz schleicht.
Nein, das Video ist kein Ankündigungstrailer für das nächste Call of Duty, knapp einen Monat nach dem Release von Black Ops 4. “KSK – Kämpfe nie für dich allein” ist ein mit echten Soldaten im echten Dschungel gedrehter weiterer Versuch der Bundeswehr, junge, gaming-affine Personen dafür zu begeistern, doch einfach mal auf echte Menschen zu schießen. Oder zumindest dafür zu trainieren. KSK steht für “Kommando Spezialkräfte”, eine Elite-Einheit der Bundeswehr, die in Kriegsgebieten für Evakuierung und Bergung oder eben in der Terrorbekämpfung eingesetzt wird. Und die bekommt jetzt ihre eigene Webserie – die schon rein von ihrer Bildsprache her eins zu eins aus einem First-Person-Shooter wie Medal of Honor stammen könnte.
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Wirklich überraschend kommt das nicht. Schon auf der Gamescom, der größten öffentlich zugänglichen Videospielmesse der Welt, warb die Bundeswehr mit Plakaten, die sich klar an Baller-Interessierte richteten. “Mehr Open-World geht nicht” und “Multiplayer at its best” stand da zum Beispiel auf Plakaten. Als wäre ein Kriegseinsatz nichts anderes, als sich mit Bekannten zum Online-Zocken zu verabreden.
Auch dass das erste Video zu “KSK – Kämpfe nie für dich allein” so aussieht, wie es aussieht, ist natürlich kein Zufall. Egal ob Call of Duty, Crysis oder Battlefield: Trailer für First-Person-Shooter, insbesondere die in militärischen Settings, sind alle nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut.
1. Der atmosphärische Einstieg
Bevor es in die Schlacht geht, muss erst einmal etabliert werden, in welcher Umgebung das dramatisch inszenierte Fratzengeballer dieses Mal stattfindet. Sei es nun ein dichter Dschungel, eine nur auf den ersten Blick ausgestorben wirkende Wüste oder eine halbzerbombte Großstadt. Beinahe statisch zeigt die Kamera deswegen Seen, Berge oder leere Gebäude, wichtig ist dabei, dass sehr viel Licht auf die Szenerie fällt. Schön soll es aussehen, beinahe friedlich. Die Ruhe wird jedoch schnell durchbrochen. Der Spieler/Soldat/die Einsatzgruppe betritt die Szenerie, wahlweise landet sie in einem Hubschrauber, rumpelt mit einem Fahrzeug über unebene Straßen oder schreitet forschen Schrittes und mit gezogener Waffe durch schattiges Terrain.
Im Video der Bundeswehr werden gleich alle drei Fortbewegungsarten durchexerziert, sicher ist sicher. In Videospielen gibt es zusätzlich noch die Option “Soldat springt hinter Felsen, der in der echten Natur albern aussähe, hier aber als taktische Deckung fungiert”.
2. Der actionreiche Hauptteil
Nachdem zwei Dinge klar sind – wo wir sind und wer wir sind –, braucht es nur noch eines, bevor es richtig losgehen kann. Ein Element, das die Situation von null auf hundert verändert. Das kann beispielsweise eine in Zeitlupe geworfene Granate sein, ein explodierender Hubschrauber oder ein sterbender Soldat, der mit weit aufgerissenen Augen in die Kamera blickt. Beim KSK-Video haben sie sich für “Random Person, die etwas Dramatisches sagt” entschieden. “Welcome to the jungle”, sagt ein Mann, die Kamera direkt im Gesicht. Dann Boom, Rauch, Waffengeräusche, verwackelte Bilder zu pumpender Musik, die klingt, als käme sie direkt aus der Clubszene eines Low-Budget-Films. “Wir üben, wie wir kämpfen”, sagt eine gesichtslose Stimme, während ein Hauseingang explodiert und ein Mensch mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegt.
Bei Videospielen läuft das ähnlich: Menschen schießen auf Menschen, Menschen schießen auf Fahrzeuge. Menschen rennen und stolpern und sterben, manchmal rufen sie sich dabei auch noch etwas zu. Wichtig ist, dass die Bandbreite des zur Verfügung stehenden Waffenarsenals gezeigt wird und immer wieder Worte eingeblendet werden. Worte, die einem ein richtig geiles Gefühl geben, als würde einem der ganz persönliche Motivationstrainer Dinge ins Ohr brüllen. Sachen wie “NO FEAR”, wie im Trailer zu Call of Duty: World at War, oder “EIN MYTHOS” wie bei der Bundeswehr. Die Person vor dem Bildschirm muss das Gefühl bekommen, un-be-dingt Teil dieser Action sein zu wollen.
Auch wenn das KSK im Werbevideo für sein neues Web-Format natürlich keine Panzer in die Luft sprengt oder auf Terroristen schießt. Dafür haben sie sehr große Rucksäcke (praktisch!), Blendgranaten (i guess?) und wilde Tiere (einen Skorpion, der durchs Bild krabbelt).
3. Das (sanfte) Runterkommen
Der Adrenalinpegel ist auf Anschlag, die Menschen vor den Bildschirmen lechzen nach Blut. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um fünf Gänge runterzuschalten und daran zu erinnern, dass dieser Trailer natürlich nur ein Ausblick auf etwas war. Etwas Größeres, Besseres, etwas, das Geld kostet – oder Nutzerinnen und Nutzer zumindest dazu bringen soll, den YouTube-Kanal der Bundeswehr zu abonnieren. “Diese Art des emotionalen Hin und Hers hält die Zuschauer für die Dauer des Trailers bei der Stange”, erklärt Kert Gartner in seinem Blog und der muss es wissen, der schneidet nämlich hauptberuflich Trailer für Indie-Spiele. Bei Battlefield V stürzt der Spieler beziehungsweise die Spielerin, aus deren Perspektive wir die Action-Sequenz erleben, und bringt somit auch das, was um uns herum geschieht, mehr oder minder zum Stillstand. Spiele wie Call of Duty: Black Ops 4 oder Far Cry 5 machen es sich da hingegen recht einfach und wechseln einfach abrupt von lauten Explosionen zum “Und so heißt das Spiel”-Standbild.
Die Bundeswehr löst das, indem sie am Schluss noch einmal die Bilder vom Anfang aufgreift: fröhliche Einsatzkräfte auf der Ladefläche eines Fahrzeugs und ein bewaffneter und vermummter Soldat, der vor jeder Menge Grünpflanzen stoisch in die Kamera guckt. Am Ende steht die Frage “Schaffst du es ins Team?” und der Hinweis “Kämpfe nie für dich allein” – unter dem Foto eines bärtigen Mannes, der mit verschränkten Armen in die Kamera starrt. So wagemutig, so männlich.
So durchschaubar die Masche der Bundeswehr auch wirkt, sie funktioniert. Zumindest sammeln sich unter dem Video auf YouTube Dutzende euphorische Kommentare. Die Strategie scheint aufzugehen, die heroischen Bilder mitsamt Waffen-Porn schlagen an. Außerdem scheint es überraschend viele Menschen zu geben, die nach eigener Aussage seit früher Kindheit davon träumen, selbst Teil der KSK-Eliteeinheit sein zu können. Und wenn das nicht klappt, dann gucken sie zumindest eine Webserie, in der ein mitteilungsbedürftiger Zivilist mit Kamera in der Hand hinter Soldatinnen und Soldaten durch den Dschungel stolpert.
Das hat gegenüber Videospielen und dem Leben als Soldatin oder Soldat einen großen Vorteil: Man kann nicht sterben. Weder virtuell noch real. In der Realität ist Game Over für immer – vielleicht wäre das ein guter Slogan für die nächste Gamescom-Plakatkampagne der Bundeswehr.
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