Wie die Bürokratie den Durchbruch dieses deutsch-syrischen Duos verhindert

Thorben und Ameen sind zwei ziemlich entspannte Typen. Die Sorte, die vor einer Reise nicht lange rumplant, sondern am Tag der Abreise ein paar frische Unterhosen in eine Tasche stopft und zum Flughafen spaziert. Eigentlich. Würden Ameen und Thorben nicht seit 2015 zusammenwohnen. Und wären sie nicht auch deshalb eine Band. Shkoon heißt die und macht eine formvollendete Symbiose aus Downtempo, House und orientalischer Poesie, kurz: Oriental Slow House. Für den Sommer stehen bereits mehrere Festivalauftritte in Deutschland, Polen, Österreich und Tunesien an, eine Aufnahme des Shkoon-Livesets von der letztjährigen Fusion wurde bisher mehr als 68.000 Mal auf Soundcloud angehört. Doch Shkoon haben nicht nur Fans auf der ganzen Welt, sie haben auch ein großes Problem.

“Ich würde total gerne mal in Dubai auftreten”, sagt Ameen enthusiastisch, als wir uns beim Interview mit unseren Tassen auf ein abgewetztes grünes Samtsofa in einem Berliner Café fallen lassen. “Die sind da ganz verrückt nach uns. Einmal kamen um die 50 Leute von dort nach Beirut, nur um uns live zu sehen”, erzählt er mir und wirkt komplett aus dem Häuschen.

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Da ich in diesem Moment nicht weiß, wie beeindruckt ich sein muss, google ich. Ah ja: Die Flugdauer von Dubai, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, nach Beirut, im Libanon, beträgt rund drei Stunden. 2.143 Kilometer Luftlinie.

Nachdem mich Google schlau gemacht hat, will ich Ameens Aussage kaum trauen. Wieso machen Menschen das? Wieso warten die nicht einfach, bis sie dran sind, und Shkoon in ihre Stadt kommen?

Kaum hat es sich Thorben, der andere Teil von Shkoon, auf unserer Retro-Couchinsel gemütlich gemacht, sind wir auch schon mittendrin im Problem. In einem richtig blöden sogar. Denn so entspannt die beiden Boys auch sein mögen, ihr Band-Alltag ist es nicht. Grund dafür ist Ameens blauer Pass.

Keiner hat Ahnung von irgendwas

Im Gegensatz zu Thorben lebt Ameen erst seit kurzem in Hamburg. Aufgewachsen ist er in Syrien. Der Krieg ließ ihn über die Türkei nach Hamburg fliehen. Die deutsche Hansestadt sollte eigentlich nur ein Zwischenstopp vor Schweden sein, doch dann verliebte er sich erst in Hamburg und dann in die Musik, die er dort machen kann. Um bleiben zu können, musste Ameen allerdings seinen syrischen Pass abgeben. Seitdem hat er einen Blauen, einen sogenannten Konventionspass oder auch: Reiseausweis für Flüchtlinge.

Dieser bedeutet, dass es von deutscher Seite völlig in Ordnung geht, wenn der Syrer sich mit Shkoon die Seele aus dem Leib touren will. Dennoch werden seine Reiseanträge oft abgelehnt. “Der ist für viele Regierungen nichts wert”, erklärt Thorben mir zu diesem dunkelblauen DIN A6-großen Heftchen.

Von wegen relaxt! Die Realität sieht so aus: “Wir bekommen eine Anfrage, auf einem Event in Panama oder sonst wo zu spielen, und sind dann erst mal mächtig glücklich. Aber dann kommen wir ziemlich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn ich als Deutscher kann zwar überall hinreisen, Ameen aber nicht”, sagt Thorben bitter und nimmt einen extragroßen Schluck Tee. Der ist fast schon kalt, denn mittlerweile hat er sich in Rage geredet.

“Oft sind wir erst mal mächtig glücklich und kommen dann ziemlich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.” – Thorben

Dabei verdienen Thorben und Ameen ihr Geld vor allem durchs Touren. Denn wer kann heute schon noch die Miete mit einer Platte zahlen? Viel eher ist es so, dass eine ausgiebige Tour ihnen ein besseres Studio finanzieren könnte. Eines, das nicht im Keller liegt wie ihr jetziges, und mehr zu bieten hat als Dunkelheit.

2018 wollen die beiden ihr Debütalbum veröffentlichen. Es soll die Message unterstreichen, dass unterschiedlichste Kulturen in der Musik und im Alltag problemlos miteinander existieren und aufeinander aufbauen können. Ihren Trip nach Berlin nutzen sie auch, um neue musikalische Kollaborationen zu planen. Aber vorher müssen sie es noch irgendwie hinkriegen, dass diese ganzen Ämter sie nicht ausbremsen.

Die Botschaftswebseiten bieten keine Informationen zu Konventionspässen. Thorben greift also zum Telefon und erreicht nur mit Glück jemanden: “Und dann heißt es: ‘Das hatten wir noch nie. Da weiß ich jetzt auch nicht weiter. Sie müssen jemand anderes kontaktieren.”


Nicht nur die Bürokratie kann einem Steine in den Weg legen:


Während die Visumsbewerbung für Thorben also ziemlich einfach ist (Formular ausfüllen, Gebühr zahlen, und fertig), klärt Ameen zunächst, ob ein Antrag überhaupt Sinn macht. Die meisten Botschaften sehen ihn als Einzelfall und bieten ihm an, dass für ihn herauszufinden. Doch selbst dann benötigt Ameen noch eine offizielle Einladung für das Event, bei dem er auftreten möchte. Die Band muss die Flüge buchen und vorstrecken, obwohl es komplett ungewiss ist, ob der Gig stattfinden wird. Ameen muss außerdem nachweisen, dass er für einen derartigen Ausflug genügend Geld auf dem Konto hat – und obendrauf hat er im Antragsformular für das Visum die Namen und den Aufenthaltsort seiner Familienmitglieder aufzuführen. Das alles nur für den ersten von vielen Checks.

“Poetry Slams” à la Syrien und eine unmögliche Musik

“Dieses Spielchen braucht viel Zeit. Für die Promoter überall auf der Welt ist das ein großes Problem. Wir können nicht irgendwo spontan in zwei Wochen spielen. Und wir mussten auch schon viele Gigs absagen”, sagt Thorben und schüttelt den Kopf. Bookinganfragen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, den USA, Israel, Kuwait und Jordanien scheiterten bereits an der Bürokratie.

Aufgrund der immensen Nachfrage stand Thorben sogar schon zweimal ohne Ameen auf der Bühne. In Dubai in den VAE war das. Ameens leidenschaftlich vorgetragene arabische Lyrics versuchte er, vom Band zu seinen Synthies und Loops abzuspielen. Nach den Konzerten skypte Thorben dann zusammen mit Fans nach Hamburg, um Ameen ein wenig von der guten Stimmung herüberzuschicken. “So etwas gibt mir Energie. Ich will den Leuten mit unserer Musik Freude geben und zeigen, dass man aus etwas Schlechtem wie der Situation der Syrer auch etwas Gutes wie Musik machen kann”, meint Ameen.

Die positive Einstellung von Ameen fiel mir schon auf, als wir uns gerade mal fünf Minuten kannten. Er lächelt viel, sitzt zurückgelehnt im Samt, während der eigentlich so lässige Thorben sich ausgedehnt über bürokratische Unzulänglichkeiten aufregen kann. Über Bescheide, die an die falsche Person geschickt werden, fehlende Telefonnummern und generell eine fehlende Informationssammelstelle.

“Ich bin gelangweilt davon, ständig wütend zu sein”, sagt Ameen. Lieber träumt er davon, wie es wäre, wenn er einfach seiner Passion nachgehen und überall auf der Welt auftreten könnte. Gerade arbeiten Shkoon und ihre Bookingagentur daran, in der Türkei und Ägypten auftreten zu können, wenngleich mit geringen Hoffnungen. Panama bleibt eine Möglichkeit. Auch aus Saudi-Arabien und dem Iran gibt es freundschaftliche Einladungen. Dort wäre ein Konzert mit ihrer Musik allerdings gar nicht erlaubt.

“Ich bin gelangweilt davon, ständig wütend zu sein.” – Ameen

Auf Ameens Wunschliste sind aber vor allem die USA. Da würde es eine Szene und jede Menge Potential für ihre Musik geben. In Deutschland sei diese vergleichsweise klein. Er hätte ja selbst bis vor Kurzem gar nicht gewusst, dass Musik wie die von Shkoon, überhaupt möglich sei.

Die Idee zu Shkoon entstand beim gemeinschaftlichen Jammen, am selben Abend, an dem Ameen bei Thorben einzog. “Ich kann eigentlich gar nicht singen. Ich entdecke das gerade erst für mich”, sagt Ameen, ich schaue ungläubig. “Aber in Syrien hat man früher auch einfach so zusammengesessen und gesungen. Fast wie beim Poetry Slam nahmen wir damals den letzten gesungenen Buchstaben auf und machten was draus.” Mit Shkoon war das erstmal auch so. Thorben hatte zwar eine klassische Musikausbildung aber kein richtiges Projekt , ihm passte das Zusammentreffen mit Ameen perfekt in den Kragen.

Die beiden haben einander wirklich gefunden. Selbst als sie sich vor dem Café ihre Zigaretten drehen, wirken sie im Gleichgewicht, fast wie Brüder. Ihre positiven Vibes passen perfekt zur positiven Aussage der Band. Und wer weiß, vielleicht klappt es ja irgendwann sogar mit dem über alles stehenden Wunsch: der deutschen Staatsbürgerschaft.

“Dafür müsste ich mich wahrscheinlich nur noch einem bekannten Fußballteam anschließen”, lacht Ameen

Dieser Artikel ist zuerst auf THUMP erschienen.

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