Wie du als DJ mit Hörverlust umgehen solltest

Da sitze ich und warte auf meinen Hörtest. Ich habe Angst. Der Großteil meiner Arbeit als Musikjournalist, wie auch meines Soziallebens, dreht sich seit über zwanzig Jahren um laute Musik. Ich trage zwar oft diese billigen Schaumstoffdinger, aber eben nicht so oft, wie ich es eigentlich sollte. Besonders sorge ich mich um die Schäden, die ich mir durchs Auflegen zugezogen habe.

Ich bin nie ein berühmter, tourender DJ gewesen, habe dafür aber jahrelang alle paar Tage in Bars lange Sets gespielt. Zwischendurch gab es auch mal Club- und Warehouse-Auftritte mit großen Anlagen. Ich habe dabei jedoch nie Ohrstöpsel getragen, weil mich das zu sehr beim Mixen gestört hat. Mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass ich die Monitore im Laufe des Abends immer weiter aufdrehe. Das Piepen in meinen Ohren wiederum brauchte jedes Mal länger, um nach einer Party wieder abzuebben. Vor ein paar Jahren fiel mir dann auf, dass ich Probleme hatte, Unterhaltungen zu folgen, wenn es eine Menge Hintergrundgeräusche gab.

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Und eines Tages dann wollte das bekannte Piepen einfach nicht mehr weggehen.

Auch wenn eigentlich alle wissen, dass laute Musik Gehörschäden verursacht, tun die meisten Künstler die Sache als Problem ab, mit dem man sich auseinandersetzt, wenn man in den Ruhestand geht. Dass ein Tinnitus oftmals gerade auf dem Karrierehöhepunkt auftritt, darüber sind sich viele nicht bewusst – oder ignorieren es.

“Wenn ich nach einem Auftritt nach Hause kam, hatte ich in meinen Ohren immer dieses laute Piepen. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass das Piepen nicht mehr aufhört”, erzählt mir House DJ und Produzentin Sydney Blu, die seit 2000 regelmäßig auflegt. “Kurz darauf habe ich bemerkt, dass ich bei Unterhaltungen im Club auf dem rechten Ohr nichts gehört habe. Ich musste dann immer das linke hinhalten.”

Blu hat sich dann schließlich Gehörschutz anfertigen lassen, den sie allerdings nicht beim Auflegen tragen kann. Stattdessen versucht sie, die Monitore so leise wie möglich zu halten und zwischen den Mixen dreht sie die Lautstärke sogar ganz runter. “Die meisten älteren DJs, die ich kenne, haben alle Tinnitus. Ich wünschte, ich hätte früher darüber nachgedacht und gewusst, wie schlimm das werden kann.”

Momentan gibt es noch keine Möglichkeit, Tinnitus wieder rückgängig zu machen und die Behandlungsmöglichkeiten für Gehörverlust sind immer noch sehr beschränkt. Viele hauptberuflichen DJs, die ständig touren und Festivals auf der ganzen Welt spielen, merken nicht, dass das Piepen in ihren Ohren schlimmer wird, bis es zu spät ist.

“Ich glaube, dass Hörschäden in der DJ-Welt weit verbreitet ist”, sagt der New Yorker House-Veteran Roger Sanchez. “Eine Menge Leute haben Tinnitus und sie wissen es noch nicht einmal. Sie sind so sehr daran gewöhnt, dass ihre Ohren piepen und schieben es einfach auf den letzten Auftritt. Aber wenn du drei oder vier Mal die Woche spielst, bist du eigentlich pausenlos dem Lärm ausgesetzt. Wenn sie dann etwas langsamer treten, merken sie, dass sie einen Tinnitus haben.”

Sanchez legt seit 36 Jahren auf und hat seit Ende der 90er ein ständiges Piepen auf dem Ohr. Genau wie Blu hat er sich extra Gehörschutz anfertigen lassen und er merkt, dass ihn das vor weiteren Schäden bewahrt. Er gibt allerdings zu, dass er sich erst daran gewöhnen musste, mit Ohrstöpseln zu mischen.

“Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass ich manche Dinge nicht klar hören kann. Es war, als würde mir jemand die Ohren zuhalten. Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen, aber ich merkte dann, dass ich meine Monitore hochfahren kann, ohne dass es unangenehm wird. Ich habe außerdem Veranstalter dazu gebracht, extra Bassboxen in den Kabinen zu installieren. Das hat ebenfalls dabei geholfen, es auszugleichen.”

Sanchez sagt, dass es in den letzten Jahren wesentlich üblicher für große DJs geworden ist, bei ihren Auftritten Gehörschutz zu tragen. 2010 hat er sich dann endlich einem echten Gehörtest unterzogen und herausgefunden, dass er ein signifikantes Gefälle im hochfrequenten Bereich um 800hz hat. Er war allerdings erleichtert, dass sein Hörschaden nicht schlimmer war. Das konstante Piepsen ist nichtsdestotrotz immer noch da.

“Jetzt gerade höre ich das Piepen, aber ich habe mich dran gewöhnt. Wenn ich die Straße entlanggehe oder gerade nicht darauf achte, fällt es mir nicht unbedingt auf. Sobald es aber um mich herum leise wird, fängt das Piepen wieder an. Es ist zum Glück nicht allzu laut. Ich glaube, die Ohrstöpsel haben mich davor bewahrt. Ich kenne ein paar Menschen, bei denen es sehr laut ist.”

So ein angepasster Musikergehörschutz kostet schon mal gerne über 100 Euro, aber es ist eine der wenigen Möglichkeiten für DJs, die genau auf die Effekte ihrer EQ-Veränderungen und Filter achten müssen. Die billigen Wegwerfohrstöpsel, die es überall zu kaufen gibt, schützen die Ohren genau so gut, aber sie verändern den Klang so sehr, dass nur die wenigsten Künstler sie verwenden.

“Ein billiger Schaumstoffohrstöpsel bringt den Geräuschpegel auf der einen Frequenz vielleicht 25db und auf der anderen 10db runter”, erklärt Adam Rhodes, der US-Geschäftsführer der Firma ACS Custom. “Sie dämpfen den Sound einfach. Am Ende hört man nichts mehr wirklich und die Freude beim Hören bleibt aus. Also nimmt man sie am Ende einfach raus. Mit dem richtigen Filter allerdings muss man keine Abstriche in der Qualität machen. Es wird einfach nur alles leiser.”

ACS arbeitet in Nordamerika mit einigen der größten Namen im EDM zusammen – von Tiesto, über Zedd bis Deadmau5. Rhodes sagt, dass heutzutage ein viel größeres Bewusstsein für das Problem besteht. Nichtsdestotrotz kommen Künstler oftmals erst zu ihm, wenn bereits permanenter Schaden entstanden ist. “Es vergeht eigentlich keine Woche, in der wir nicht von jemandem hören, dass er sich gewünscht hätte, vor zehn Jahren schon darüber Bescheid gewusst zu haben”, berichtet er. “Ich denke, dass das alles eine Frage der Aufklärung ist. Wir sind jedes Sommerwochenende auf Festivals und versuchen, es den Menschen so zugänglich wie nur möglich zu präsentieren.”

Viele tourende Musiker sind in den letzten Jahren auf In-Ear-Monitore umgestiegen, die alle Außengeräusche ausblenden, während sie das, was der Künstler hören muss, verstärken. Im Bereich der elektronischen Musik sind diese allerdings sehr unüblich. DJs müssten dafür nämlich ihre komplette Mixingtechnik überdenken.

“In-Ear-Monitore haben für DJs nicht immer funktioniert”, gibt auch Rhodes zu. “Sie haben gerne Kopfhörer auf, damit sie sie zwischendurch abnehmen können und den Mix mit einem Ohr am Kopfhörer und dem anderen an den Monitoren machen können. Es gibt allerdings ein paar DJs, die sie verwenden – Deadmau5 zum Beispiel. Wir haben jetzt auch ein neues Modell mit eingebauten Umgebungsmikrophonen. Damit kann man auch den Mix hören. Das ist die nächste Stufe. Es ist aber immer noch schwer, DJs davon zu überzeugen, sie zu benutzen. Sie haben sich so an ihre Kopfhörer gewöhnt. Die gehören ja fast schon zu ihrem Outfit.”

Ein Künstler, der auf In-Ear-Monitore umgestiegen ist, ist der niederländische DJ und Produzent Laidback Luke. 2000 begann er, angepassten Gehörschutz zu tragen. Er hatte befürchte, einen Tinnitus zu bekommen und gegenüber hohen Lautstärken abzustumpfen. Um 2008 herum entschied er sich dann dazu, es mit In-Ear-Monitoren zu probieren – und seitdem ist er dabei geblieben.

“Ich wollte einfach die Klangschärfe, die ich von DJ-Monitoren gewohnt war. Wir probierten die In-Ear-Monitore aus und ich war so unfassbar glücklich mit dieser Klarheit. Selbst in großen Hallen mit viel Echo klingen meine Monitore immer gleich”, sagt er mir. “Es war wie eine Offenbarung für mich. Ich konnte die Lautstärke niedrig halten und immer noch jedes kleine Detail des Tracks hören. Das Publikum konnte ich zwar nicht mehr hören, aber das hat mich nur dazu gebracht, noch härter für den Applaus zu arbeiten.” Erst vor drei Jahren fasste er endlich den Mut, zum Hörtest zu gehen.

Glücklicherweise hatte sich sein früher Umstieg auf Gehörschutz richtig gelohnt und keinerlei Hörschäden wurden festgestellt. Selbst das konstante Piepen, das ihn zu Beginn seiner Karriere in Panik versetzt hatte, war abgeklungen.

Mein eigenes Piepen ist nicht halb so schlimm wie noch vor einem Jahr, aber in der absoluten Stille der klangdichten Kabine des Torontoer Krankenhauses kommt es mir schon verdammt laut vor. Ich habe Mühe, alle Töne zu hören, bin aber optimistisch gestimmt, da ich einige der sehr hochfrequenten Signale bemerke, die mir in der Kabine vorgespielt werden. Trotzdem fallen mir ungewöhnlich lange Pausen auf, in denen ich wahrscheinlich etwas hören sollte.

“Arbeiten sie mit schweren Maschinen?”, fragt mich der Arzt, als er meine Resultate betrachtet. Mein Herz setzt einen Moment aus. Als ich ihm erzähle, dass ich konstant von lauter Musik umgeben bin, antwortet er, dass das die Ergebnisse erklärt – und auch warum die höchsten Frequenzen meines Gehörs noch OK sind.

“Es sieht gar nicht so schlecht aus. Ihr linkes Ohr hat einen Abfall bei 1K, aber es befindet sich immer noch im normalen Bereich. Ihr rechtes Ohr allerdings hat einen viel größeren Abfall bei 4K. Sie sollten sich wirklich einen angepassten Gehörschutz für Musiker besorgen.”

Erleichtert verlasse ich sein Sprechzimmer. So schlimm sieht es ja gar nicht aus. Mir ist es aber auch peinlich, dass ich so lange gebraucht habe, um das Problem ernst zu nehmen. Zum Glück ist es für mich noch nicht zu spät, dafür zu sorgen, dass es nicht schlimmer wird.

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