In William Byrons Wohnwagen steht im hinterem Raum ein Arbeitstisch samt Fernseher. In nur einer Stunde wird er wieder in seinem Truck mit der Nummer 9 sitzen und auf dem Pocono Raceway Gas geben. Und sich in der NASCAR Camping World Truck Series die Pole Position sichern. Und morgen wird er dann auch das Rennen gewinnen und dabei 44 von 60 Runden in Führung liegen.
Byron ist gerade mal 18 Jahre alt und in seinem ersten Jahr an der Liberty University, die gleichzeitig auch sein Sponsor ist. Denn Byron ist nicht nur Student, er ist „nebenberuflich” auch Rennfahrer. Und zwar ein ziemlich erfolgreicher. Schon die ganze Saison über mischt er im Gesamtklassement ganz oben mit. Er ist der Fahrer mit den meisten Einzelsiegen in seiner Serie. Im nächsten Jahr wird er in die Xfinity Series wechseln, die zweithöchste Rennserie im NASCAR Sprint Cup.
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Die Geschichte hinter Byrons rasantem Aufstieg begann in einem Raum, der dem in seinem Wohnwagen sehr ähnlich war. Vor fünf Jahren fuhr Byron noch gar keine Rennen. Im Gegensatz zu so einigen seiner Gegner kommt er nicht aus einer Rennfahrerfamilie. Er saß auch nicht als kleines Kind hinter dem Steuer.
Stattdessen hat Byron nämlich das Fahren indoor gelernt, in seinem Kinderzimmer, wo er in der iRacing-Simulation seine Online-Gegner nach Belieben dominiert hat. Und genau dieser Umstand könnte bedeuten, dass wir in Zukunft noch mehr junge Motorsport-Fans sehen werden, die es schaffen, mithilfe moderner Technik zu richtigen Rennfahrern zu werden.
Byrons Vater Bill erinnert sich noch ganz genau daran, wie sein Sohn schon damals ein echtes Multitasking-Talent war: in der linken Hand ein Handy, in der rechten das Lenkrad, im Fernsehen ein Football-Spiel und seine Füße auf den Pedalen, während er mal wieder ein Rennen fuhr. „Er konnte drei, vier Sachen gleichzeitig machen”, erzählt Bill, „und trotzdem am Computer ein Rennen nach dem anderen gewinnen.”
Fahrsimulatoren sind zu einem wichtigen Lerntool für Stock-Car-Rennfahrer geworden. NASCAR-Fahrer können nur eine begrenzte Anzahl an Runden auf den Rennstrecken trainieren, weswegen simulierte Rennen oder Trainingseinheiten immer wichtiger werden. Der Rennstall Ford Racing hat sogar einen vollbeweglichen Simulator konstruieren lassen.
„Die größte Hilfe für mich ist mehr Zeit hinter dem Steuer”, erklärte Chris Buescher, der amtierende Xfinity-Series-Champion, im letzten Jahr. „Im letzten Jahr haben wir vor dem Rennen in Watkins Glen auf dem Simulator trainiert. Und das hat definitiv etwas gebracht.”
Buescher ist schon längst Profi-Rennfahrer. Für ihn sind Simulatoren nur eine gute Zusatzmöglichkeit, seine elf Jahre Fahrerfahrung aufzubessern. Spannender wird es bei dem Thema, inwieweit die Technik im Allgemeinen und Simulatoren im Besonderen die Schwelle für Wannabe-Racer senken können.
„Ich glaube, dass durch gute Simulationen die Chancen steigen, den Sprung in den Sport zu schaffen, auch ohne gute Kontakte und Ähnliches”, glaubt Byron.
Byron wuchs in North Carolina auf. Sein Vater ist Wirtschaftsberater, seine Mutter Hausfrau. William Byron wurde als Kind großer NASCAR-Fan, sodass Vater und Sohn einmal pro Jahr zu einer anderen Rennstrecke im Land fuhren, darunter auch zum nahegelegenen Speedway in Charlotte.
Mit 13 bekam Byron eine Rennsimulation mit Lenkrad und Pedalen zu Weihnachten geschenkt. Er baute alles freudestrahlend in seinem Kinderzimmer auf. Bis auf ein paar Mal Kartfahren hatte Byron noch keinerlei Rennerfahrung, doch das Racing am PC zog ihn sofort in seinen Bann.
Schon bald saß er täglich vor dem Computer und wurde bei iRacing—der offiziellen NASCAR-Online-Rennliga, wo User gegeneinander antreten—zum Meister des virtuellen Rennfahrens. Als Byron anfing, hätte er sich nicht zu träumen gewagt, dass er eines Tages in einem echten Rennfahrzeug sitzen würde.
Im Schnitt verbrachte Byron zwischen zwei und drei Stunden vor dem Simulator. In den ersten anderthalb Jahren fuhr er rund 500 Rennen, wovon er 104 gewann. Die Strecken waren bis ins Detail realistisch, sogar an Bodenwellen, die am Lenkrad vibrieren, hatten die Entwickler gedacht, erinnert sich Byron.
Mit 15 beschloss Byron, es auch mal in der realen Welt, auf einer realen Rennstrecke zu versuchen. Und musste schnell die großen Unterschiede feststellen.
„Es war so anders. Und so intensiv. Es war viel schneller als am PC. Die Geschwindigkeit hat mich echt überrascht. Ich musste mich erstmal umgewöhnen, aber nach kurzer Zeit lief es schon ganz gut.”
Byrons Eltern haben ihrem Sohn sein Hobby im ersten Jahr bezahlt. Danach fand er mit der Liberty University einen Sponsor. In diesem Jahr, seiner vierten Saison als Rennfahrer, gab er sein Debüt in der Camping World Truck Series, der dritthöchsten NASCAR-Rennserie.
Rudy Fugle, sein Teamchef, sagt, dass Byron sehr schnell dazulernt, obwohl er nicht dieselbe Erfahrung hat wie andere Fahrer, die schon als Siebenjährige vor dem Steuer saßen. Noch heute arbeitet er mit Simulatoren. Bill Byron vergleicht die unzähligen Stunden, die sein Sohn vor dem PC verbracht hat, mit dem, was man in der Wirtschaft „intellektuelles Kapital” nennt. Soll heißen, das intuitive Verständnis eines Themas durch jahrelange Erfahrung.
„Er hat durch die Arbeit mit dem Simulator so viel Erfahrung gesammelt, dass er daraus auch Vorteile für die reale Welt ziehen kann”, so Bill Byron. „Aber nicht nur das: Unser Sohn ist auch einfach ziemlich clever und hat eine hohe Auffassungsgabe. Außerdem macht er nur selten denselben Fehler zweimal.”
Genau das hat Bill bei seinem Sohn in einem Rennen in Texas mal wieder erleben können. Bill hörte im Teamradio, wie Byron und seine Crew die Strategie für die letzten zehn Runden besprachen. Fugle sagte seinem Fahrer, er solle sich an eine bestimmte Situation im Simulator von vor zwei Jahren erinnern. Damals gewann er gegen seine virtuellen Gegner. Fünf Runden vor Schluss ging Byron auch in Texas in Führung und holte sich den Sieg. Ein Erfolg, den er erst simulierte und zwei Jahre später in die Wirklichkeit übertragen konnte.