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Wie ich einen berüchtigten Sexualstraftäter mithilfe meiner Tweets ins Gefängnis brachte

Owen Labrie, der 20-jährige ehemalige Vertrauensschüler der Privatschule St. Paul’s im US-Bundesstaat New Hampshire, wurde vergangenen Sommer verurteilt, weil er sich an einer minderjährigen Schülerin sexuell vergangen hatte. Jetzt sitzt er endgültig im Gefängnis. Vergangenen Freitag verließ er den Gerichtssaal in Handschellen, denn der Richter hatte Labries Kaution aufgehoben. Der Grund: Labrie hatte wiederholt gegen die Auflagen seines Hausarrests verstoßen.

Wenn Labries Berufung nicht durchkommt, wird der 20-Jährige ein Jahr hinter Gittern verbringen müssen. Dazu wird er mindestens 15 Jahre lang im öffentlichen Sexualstraftäter-Verzeichnis aufgeführt werden, weil er damals auch einen Computer nutzte, um mit seinem Opfer zu kommunizieren. Bei besagtem Opfer handelt es sich übrigens um die jüngere Schwester eines Mädchens, mit dem Labrie früher mal zusammen war.

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Bei Labries erster Gerichtsverhandlung fungierte ich nur als Berichterstatterin, aber beim zweiten Mal war ich dann selbst richtig involviert: Der Staatsanwaltschaft zufolge wurden die Ermittlungen zu den oben genannten Verstößen gegen die Hausarrest-Auflagen durch meine zufällige U-Bahn-Begegnung mit Labrie überhaupt erst in Gang gebracht.

Am 29. Februar war ich gegen 13:15 Uhr von Cambridge nach Boston unterwegs und traf dabei in der U-Bahn auf Labrie. Nachdem ich mich vorgestellt und ihm auch von meiner Berichterstattung über seinen ursprünglichen Prozess erzählt hatte, machte er ganz zu meiner Überraschung Platz, damit ich mich neben ihn setzen konnte. Außerdem beantwortete er bereitwillig alle meine Fragen. Als ich dann aus der U-Bahn ausstieg, begann ich sofort damit, über diese zufällige Begegnung zu twittern. Schließlich schrieb ich sogar noch einen ganzen Artikel, in dem ich über die bizarre U-Bahn-Fahrt sowie die ganze Gerichtsverhandlung und deren Folgen reflektierte.

Damals hätte ich allein auf der Grundlage unseres Gesprächs niemals vermutet, dass Labrie gegen seine Auflagen verstieß, die ihm vorgaben, sich zwischen 17:00 Uhr und 08:00 Uhr ausschließlich im Haus seiner Mutter aufzuhalten. So gab die Staatsanwaltschaft auch zu Protokoll, dass es Labrie an diesem Tag sogar rechtzeitig nach Hause geschafft hätte, am Morgen jedoch zu früh außer Haus gegangen wäre. Detective Julie Curtin von der Polizeibehörde von Concord, New Hampshire, wurde jedoch auf meine Tweets aufmerksam, in denen ich beschrieb, wie mir Labrie davon erzählte, regelmäßig nach Cambridge zu fahren, um seine Freundin zu besuchen.

Durch die daraufhin geführten Gespräche mit diversen Busfahren und einer Fahrkartenverkäuferin kam dann heraus, dass Labrie regelmäßig gegen die Auflagen seines Hausarrests verstieß. Die Aufnahmen einer Überwachungskamera lieferten dazu noch weitere Beweise. Zwei Wochen später beantragte die Staatsanwältin Catherine Ruffle schließlich, dass man Labries Kaution zurücknimmt und ein Eilverfahren einleitet.

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Und plötzlich wurde ich zu einem integralen Teil der ganzen Geschichte—so etwas hatte ich in meiner Laufbahn als Journalistin bis dato noch nie erlebt. Mein Arbeitsweg schaffte es in die landesweit ausgestrahlten Nachrichten und ich wurde in die Today Show sowie zu Nancy Grace eingeladen. Auch die New York Times schrieb einen Artikel über mich.

Ich muss hier wohl kaum erwähnen, dass ich auch auf Twitter schlagartig in aller Munde war.

Ich will jedoch auch klarstellen, dass mein Gespräch mit Labrie kein journalistisches Kunststück war. Ich musste dafür keine Quellen ausfindig machen, keine Datenbanken durchforsten und auch nicht irgendwelche Dokumente beschaffen. Ich habe einfach nur durch Zufall einen berühmten verurteilen Sexualstraftäter in der U-Bahn getroffen. Ich weiß nicht mal, ob ich es mir überhaupt auf die Fahne schreiben kann, dass Labrie gerade mit mir redete, denn laut der Staatsanwaltschaft war er gegenüber der Fahrkartenverkäuferin genauso gesprächig.

Aber wie dem auch sei, ich war nun selbst ein Teil der Story, die mich (und einen Großteil der USA) so sehr faszinierte, weil man landesweit auch gerade intensiv über das Thema der sexuellen Übergriffe diskutierte.

Nach unserer gemeinsamen U-Bahn-Fahrt schrieb ich, dass Labries Verweigerung von großzügigen Deals gerade im Angesicht der erdrückenden Beweislage zu seiner Penetration eines 15-jährigen Mädchens (er selbst hat immer bestritten, wirklich mit ihr geschlafen zu haben) sehr arrogant sei. Außerdem fand ich es ziemlich unheimlich, wie Labrie selbst vor Gericht aussagte und dabei nach Auffassung der Geschworenen und des Richters immer und immer wieder log. Die neuesten Enthüllungen zu Labries regelmäßigen Verstößen gegen die Hausarrest-Auflagen sind dabei nur ein weiterer Aspekt von der wesentlichen Überheblichkeit des jungen Mannes.

Während der Kautionsanhörung am Freitag gab Labries Anwältin Jaye Rancourt zu, dass ihr Mandant zwar gegen die Hausarrest-Auflagen verstoßen hat, das aber nur getan hätte, um sich von seinem Rechtsbeistand beraten zu lassen und seine Online-Weiterbildung in per­so­na zu organisieren. Labrie hatte mir tatsächlich auch davon erzählt, dass er sich privat weiterbilden würde, aber die Geschichte, die er mir und der Fahrkartenverkäuferin zusätzlich aufgetischt hatte (er wollte seine Freundin in Cambridge besuchen), war laut der Anwältin eine Lüge.

Rancourt zufolge soll Labrie seine akademischen Bestrebungen auf diesem Weg sogar geschützt haben. Der Grund, warum die Anwältin keine Minderung des Hausarrests beantragt hatte, war laut ihr die Angst vor dem Medienrummel, denn Labries Ausflüge vielleicht verursacht hätten—dabei zeigte sie auf die vielen Journalisten, die bei der Anhörung anwesend waren. Wenn die Route des ehemaligen Schülers publik gemacht worden wären, dann hätte womöglich auch jemand versucht, ihren Mandanten anzugreifen, so die Anwältin.

Dazu führte sie auch noch ein Dokument an, in dem stand, dass meine Unterhaltung mit Labrie „im Vertrauen” stattgefunden und ich ihn „belästigt” hätte. Ich habe mich ihm jedoch unmissverständlich als Journalistin vorgestellt, er hat mich freundlich begrüßt und es war zu keiner Zeit die Rede davon, dass unser Gespräch in irgendeiner Weise vertraulich wäre.

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Letztendlich entschied der Richter Larry Smukler, dass es egal wäre, warum genau Labrie gegen seine Auflagen verstoßen hat. Für ihn zählte nur, dass der junge Mann dies überhaupt getan hat. Unter Anführung von Labries Glaubwürdigkeitsproblemen während der vorherigen Verhandlung kam Smukler dann zu dem Schluss, dass Labrie für sein Schicksal selbst verantwortlich sei. „Sie haben die Entscheidung aus eigenen Stücken getroffen”, meinte der Richter abschließend zum Angeklagten.

Irgendwie hat das Missbrauchsverfahren von St. Paul’s die Züge eines griechischen Dramas: Labrie, der Sohn einer Lehrerin und eines Landschaftsarchitekten, ist der brillante junge Schüler, den man in einen Elitekreis von zukünftigen Führungspersönlichkeiten aufnimmt . Diesen Eliteschülern wird beigebracht, dass sie die etwas ganz Besonderes sind und dass die Regeln für sie nicht immer gelten—und wenn es doch mal hart auf hart kommt, streitet man bis zum bitteren Ende einfach alles ab.

Da Labrie jedoch nicht die gleiche finanziellen Grundlage wie viele seiner Mitschüler genoss, nutzte er wohl andere Mittel, um sich an einem Ort zu profilieren, wo Erfolg zum einen an der eigenen Aufopferungsbereitschaft und zum anderen an der Zahl der abgeschleppten jungen Schülerinnen gemessen wird—und für Schwestern gibt es dabei sogar noch Extrapunkte. Letztendlich wurde Labrie genau diese Tatsache zum Verhängnis.



Titelfoto: imago | ZUMA Press