Du hast Bock darauf, in einem Schloss zu wohnen? Also ein richtiges normannisches Schloss in Frankreich, und das auch noch kostenlos? Ja, natürlich hast du da Bock drauf—selbst wenn das Schloss nur „klein” ist und du auch noch auf zwei Hunde und drei Katzen aufpassen musst. Aber das kann man schon mal verschmerzen, wenn man dafür in einem verdammten Schloss leben kann.
Zwar klingt das Ganze wie eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt, aber in Wahrheit sind solche Deals auf internationalen Haus-Sitter-Websites ziemlich geläufig. Auf solchen Plattformen versuchen Hausbesitzer, fremde Leute davon zu überzeugen, auf ihre Villen und Haustiere aufzupassen. Im Gegenzug dürfen die Haus-Sitter dort dann kostenlos wohnen. Das oben erwähnte Angebot gibt es übrigens wirklich. Du musst dir nur eine 20 Dollar teure Mitgliedschaft holen und ein überzeugendes Profil erstellen und schon könntest du vielleicht bald einen Labrador in einem französischen Schloss füttern.
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Ich erfuhr von dieser Möglichkeit, als ich noch studierte. Das war vor einem Jahr. Ich hatte mir gerade etwas Zeit freigenommen, um meine Abschlussarbeit fertigzustellen, und da Chicago ein arschkalter und doch ziemlich trostloser Ort ist, war es eigentlich nur meine klamme finanzielle Lage, die mich dort hielt. Als ich dann jedoch rausfand, dass man für nur 180 Dollar nach Europa fliegen kann, hing mein Auslandsaufenthalt nur noch davon ab, einen Schlafplatz zu finden.
Also suchte ich im Internet nach Tipps zum kostenlosen Reisen und nur 20 Dollar später fand ich meine Antwort. Dabei handelte es sich um eine Google-Maps-Karte mit vielen umgedrehten Regentropfen und jeder dieser Regentropfen war die Möglichkeit, umsonst in einem anderen Land zu leben.
Die Seite meiner Wahl war dabei Mind My House, aber es gibt natürlich noch andere Vertreter dieser Sparte. Nomador, Trusted Housesitter oder House Carers sind bekannter und spezialisieren sich auf Haus-Sitter-Aufträge auf der ganzen Welt.
Die typische Anzeige sieht dabei folgendermaßen aus: „Wunderschöne französische Villa im Süden Frankreichs: Mein Mann und ich sind über die Feiertage unterwegs und benötigen deshalb eine verantwortungsvolle Person, die auf unseren Hund Schnuckiputz aufpasst, einen knuddeligen und kuschelbedürftigen Golden Retriever.” Auf solche Anzeigen antwortest du dann und versuchst, die Hausbesitzer davon zu überzeugen, dass du genau der richtige Aufpasser für Schnuckiputz bist. Danach ist Daumendrücken angesagt.
Zwar sind bei Mind My House die wenigsten Anzeigen zu finden, aber dort geht es dafür am entspanntesten und am günstigsten zu (20 Dollar pro Jahr im Vergleich zu 50 bei House Cares, 89 bei Nomador und 100 bei Trusted Housesitters). Man muss seine Identität auch nicht bestätigen und weder eine feste Adresse noch Kontodaten angeben. Außerdem gibt es dort weniger Konkurrenz als zum Beispiel bei Trusted Housesitter, wo Hausbesitzer innerhalb weniger Stunden Hunderte Antworten auf ihre Anzeigen bekommen. Bei TH gibt es auch Bewertungen, weshalb Haus-Sitter-Veteranen gegenüber jungen, reiselustigen Menschen wie mir natürlich einen Vorteil haben. Mind My House fühlt sich mit seiner kleineren Community, die auf Vertrauen setzt, eher so an wie CouchSurfing.com.
Eine Frage bleibt jedoch bestehen: Wer sind diese Menschen, die ihre Domizile fremden Leuten überlassen?
„Wenn sie bei uns ankommen, würde ich sie gar nicht mehr als Fremde bezeichnen”, meint Paul Nash, ein Hausbesitzer, der bei Trusted Housesitters angemeldet ist. „Nach dem anfänglichen Mail-Verkehr folgt immer ein Skype- oder FaceTime-Gespräch mit den potenziellen Sittern. Erst dann treffen wir eine Entscheidung. Uns gefällt einfach die Tatsache, dass wir entspannt Urlaub machen können und dabei wissen, dass sich jemand um unsere Haustiere kümmert und sie so kein Trauma erleiden. Außerdem fühlt es sich gut an, wenn das Haus nicht wochenlang leer steht. Und wenn man dann aus dem Urlaub zurückkommt, ist alles sauber, die Katzen sind glücklich und im besten Fall wartet sogar eine Mahlzeit auf uns.”
„Die Sitter können immer Referenzen vorweisen und liefern uns auch ein polizeiliches Führungszeugnis, falls wir das wollen”, fügt er noch hinzu.
In anderen Worten: Aus der Sicht der Hausbesitzer ist das Ganze günstig, das Risiko eines Einbruchs wird gemindert und man muss seine Katze nicht ins Katzengefängnis geben. Es gibt zwar auch bezahlte Haus-Sitter-Services, aber hier kommt ein wichtiges wirtschaftliches Gesetz zum Tragen: Warum sollte man für etwas bezahlen, wenn die Leute es auch kostenlos machen?
„Die meisten—wenn nicht sogar alle—Leute, deren Häuser wir mal gesittet haben, sind im Herzen eigentlich Reisende”, erklärt mir Dalene Heck, eine erfahrene Haus-Sitterin. Letztes Jahr haben sie und ihr Ehemann für ihre andauernde „Häusertour” die „Traveler of the Year”-Auszeichnung von National Geographic gewonnen. Inzwischen erhält sie die meisten ihrer Aufträge durch Mundpropaganda. Ihr eigentliches Zuhause ist ihre Familie in Kanada, aber die letzten sechs Jahre ist sie von einem Auftrag zum nächsten gesprungen und hat so die ganze Welt bereist.
„Diese Leute verstehen das Konzept des Teilens richtig gut und wissen, dass man Menschen auf Reisen Vertrauen entgegenbringen muss. Und genau hier haben Leute, die eben nicht viel unterwegs sind, größere Vorbehalte”, meint Heck.
Ihr zufolge handelt es sich bei vielen Hausbesitzern um Expats aus der Mittelschicht, die ihre Familien besuchen wollen. „Viele Aufträge gibt es in ländlichen Gegenden, wo man sein Haus nicht wirklich lange leer stehen lassen will, weil in näherer Umgebung einfach niemand ist.”
Heck erzählt mir noch, dass sie mithilfe verschiedener Facebook-Gruppen in der Haus-Sitter-Community aktiv ist. Auf meine Frage, wie alt der durchschnittliche Haus-Sitter ihrer Erfahrung nach ist, antwortet sie: „Ich schätze, so zwischen 50 und 60. Das Ganze ist wohl vor allem für Leute im Ruhestand reizvoll.”
„Im Allgemeinen ist das ganze Prinzip bei den Leuten aus der Baby-Boom-Generation am beliebtesten”, meint auch Andy Peck, der Gründer und CEO von Trusted Housesitters. „Es gibt aber auch jüngere Menschen, die auf Häuser und Haustiere aufpassen.”
Mit 21 war ich also viel jünger als der durchschnittliche Haus-Sitter und musste mir deshalb ein aussagekräftiges und Vertrauen erweckendes Profil erstellen. Also klickte ich mich durch die Seite, um Inspiration zu sammeln, und beschrieb mich schließlich mit Worten aus diversen Ads und Pop-Ups („eigenverantwortlich”, „unabhängig”, „reiseerfahren” und so weiter). Daraufhin verschickte ich 17 Nachrichten, in denen ich die Haustiere beim Namen nannte und anbot, diverse Empfehlungen einzuholen, falls das gewünscht sein sollte. Außerdem bewarb ich mich nicht nur für Villen, sondern eigentlich für alles, was für wie ein Abenteuer aussah.
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Simone Gribble, eine australische Travel-Bloggerin, hatte mir vorher noch den Hinweis gegeben, nach Anzeigen zu suchen, die „nicht unbedingt perfekt” aussehen. Damit meinte sie, dass Neulinge vielleicht erstmal mit nicht so ansprechend wirkenden Aufträgen anfangen sollten, um sich einen glaubwürdigen Ruf zu erarbeiten. Das ist vor allem bei Seiten mit Bewertungssystem eine gute Idee. Es sei nämlich ziemlich unwahrscheinlich, dass man sich direkt das Anwesen in der Toskana angelt, erklärte mir Gribble. Der Schlüssel liegt darin, sich durch solche Anzeigen zu kämpfen und dabei die wahren Schätze zu finden—Schätze wie dieser hier:
„Königliches Landhaus: Fernab von der Großstadt genießt man hier die Natur im Leben eines kleinen sowjetischen Dorfs. Großes Haus mit zwei Stockwerken und vielen Zimmern. Die Toilette befindet sich in einem separaten kleinen Haus ohne fließendes Wasser. Niemand spricht Englisch und im eigentlichen Haus befindet sich kein Klo. Im Winter wird es kalt und du musst mit Öfen heizen und Schnee schippen.”
Da es sich um das einzige Inserat aus Lettland handelte, bewarb ich mich sofort.
Insgesamt bekam ich auf meine 17 Anfragen vier Antworten. Drei davon hatten jedoch einen Haken: Das Haus in Kopenhagen war nur zwei Wochen lang verfügbar, das Haus in der Toskana wäre nicht komplett unbewohnt und das Haus in Gibraltar schien mir nur schwer erreichbar zu sein.
Aber zum Glück gab es ja auch noch das königliche Landhaus in Lettland: „Michaela, die Haustür steht dir offen. Achte nur auf meine Infos bezüglich des Winters und des Hauszustands. Peace, Love & Happiness, Janis.”
Zwei Monate später befand ich mich dann schließlich in der Nähe des lettischen Dorfes Sidrabiņi (Einwohnerzahl: 115). Bei mir hatte ich nur einen Freund und die Anweisung, nach dem „Mann im Cookie-Monster-Pullover” Ausschau zu halten. Janis wollte im Grunde nur wissen, wann ich ankommen würde, und ich wollte im Grunde nur wissen, wie man zu seinem Haus kommt. Nach einem kurzen Besuch bei Freunden in England flog ich weiter nach Riga und musste dort einen ungläubigen Busticket-Verkäufer davon überzeugen, dass ich wirklich nach Ērgļi wollte.
Bei Janis handelt es sich um einen 27-jährigen Hipster-Architekten und das Haus sollte sich als verstaubter Laden aus der ehemaligen Sowjetunion herausstellen. Mit „Hauszustand” hatte er sich auf die fehlende elektrische Wärme bezogen. Dieser Umstand bedeutete, dass wir mithilfe eines Holzofens heizen mussten, um uns nicht den Arsch abzufrieren. Also hatten wir auch die tägliche Aufgabe, Holz aus der Gartenlaube zu holen und ungefähr jede Stunde ein paar Scheite nachzulegen. Wir brauchten ein paar Tage, um das Ganze richtig hinzukriegen, aber ab und an passierte es trotzdem noch, dass wir entweder von Rauch umhüllt waren oder bei Minustemperaturen aufwachten. Auf der Couch fanden wir komische, blut-ähnliche Flecken vor und als uns ein Freund besuchen wollte, wurde er von Wölfen auf einen Baum gejagt.
Und trotzdem machte das ganze Unterfangen einfach nur richtig viel Spaß. Das Haus war vollgestopft mit Büchern über Kunst sowie Architektur und abends drehten wir die sowjetische Musikanlage bis zum Anschlag auf. Silvester haben wir zusammen mit Janis’ Familie verbracht und dabei wurde so viel selbstgebrannter Schnaps ausgeschenkt, dass Lettisch irgendwann genauso wie Englisch klang. Wir veranstalten Schneeballschlachten in der wunderschönen Winterlandschaft. Der herzförmige Ausschnitt in der Tür des Klohäuschens bot einen Ausblick auf den mit Schnee überzogenen Wald—so etwas habe ich auf meiner normalen Toilette nicht. Wir gaben dem Verschlag aufgrund seines weißen Anstrichs den Spitznamen „Knochenhaus” und nach drei Wochen waren wir richtig traurig darüber, wieder gehen zu müssen.
Während unseres gesamten Aufenthalts haben wir ungefähr 30 Dollar ausgegeben und die Summe ging dabei komplett für Lebensmittel aus dem örtlichen Tante-Emma-Laden drauf (der Kassierer benutzte sogar noch einen Rechenschieber). Selbst mit den Flugtickets war das also immer noch weniger, als ich jemals für mein tägliches Leben in den USA ausgeben musste. Ich konnte also nur davon träumen, wie günstig es wäre, das ganze Jahr über so zu leben.
Heck und ihr Mann verdienen ihr Geld durch ihren Travel-Blog und ein Haus-Sitter-E-Book. „Freiberufliches Schreiben, freiberuflicher Videodreh—wir machen viele verschiedene Dinge”, erklärt sie mir. „So arbeiten digitale Nomaden nunmal. Wir haben alle verschiedene Einkommensquellen, um das Ganze weitermachen zu können.”
Haus-Sitten eignet sich für einen solchen Lifestyle perfekt. Zwar zielen die oben genannten Websites vor allem auf reiselustige Menschen im Ruhestand ab, aber sie versprechen gleichzeitig auch einen radikalen Lebenswandel für Millenials.
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Natürlich kommt bei diesen Schnäppchen auch immer eine Menge Verantwortung auf einen zu. So mussten Heck und ihr Mann zum Beispiel schon mal einen Hund einschläfern lassen, auf den sie aufpassen sollten. Ein anderes Mal mussten die beiden ein Anwesen aus dem zehnten Jahrhundert hüten, wo erstmal ein zweitägiger Putz-Marathon anstand, um das Ganze irgendwie bewohnbar zu machen. Und Gribble erzählte mir davon, wie sie mal in einem Haus mit zu vielen Tieren wohnte. Als sie eines Morgen aufwachte, musste sie schockiert feststellen, dass ein paar der Tiere von anderen Haustieren aufgefressen worden waren. Wenn man ein Haus und die dazugehörigen Tiere sitten muss, bedeutet das natürlich auch, dass man nicht einfach so herumreisen kann.
Die durchschnittliche Zeit, die man in die ganze Sache investieren muss, ist vergelicheswiee jedoch ziemlich gering—Gribble schätzt, dass Hunde täglich drei bis vier Stunden und Katzen ein bis zwei Stunden Beschäftigung benötigen. Das ist immer noch bedeutend weniger als bei WWOOF und viel beständiger als CouchSurfing (die Buden sind im Normalfall auch viel besser).
Und dazu kommt noch, dass man bei Partys immer eine gute Geschichte von damals, als man kostenlos wie ein König lebte, auf Lager hat.