Wie eine Depression den Frühling zur Hölle macht

Titelfoto: flickr | fotologic | CC BY 2.0

Alles blüht, alles leuchtet, alles lebt: Ob von Poeten oder Normalsterblichen, der Frühling wird als die Zeit gefeiert, in der dem Menschen die Sonne bis in und aus dem Arsch scheint. Für Menschen mit Depression sieht das Leben dann hingegen düster aus: Zu keiner Zeit ist die Suizidrate von psychisch Kranken so hoch wie im Frühjahr. Was landläufig als “Frühlingsdepression” bezeichnet wird, nennen Psychologen saisonal-affektive Störung. Warum der Frühling Betroffene so fertig macht, ist noch nicht abschliessend erforscht. 

Diverse Studien gehen davon aus, dass die Ursachen dafür körperlich sind: Anfang Frühling fehle es aus Sonnenlichtmangel am stimmungsaufhellenden Vitamin D, die Schilddrüsen arbeiteten langsamer und der Blutkreislauf werde durch das ständig wechselnde Wetter stark belastet, was müde und antriebslos macht. Diese Effekte führen bei gesunden Menschen, wenn es hoch kommt, zu einer “Frühjahrsmüdigkeit“. Bei Depressiven können sie Symptome der Krankheit verschlimmern. In der Schweiz erkranken jedes Jahr rund 8 Prozent der Bevölkerung zum ersten oder wiederholten Mal an einer Depression oder bipolaren affektiven Störung.

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Laura ist 25 und lebt seit sieben Jahren mit der Diagnose Depression. VICE hat mit ihr darüber gesprochen, wie sie die Frühlingsmonate erlebt und was ihr Linderung verschafft:

“Ich bin immer nervös im Frühling, ich habe Angst vor ihm. Ich fühle mich instabil, wie auf wackligen Beinen. Es ist vielleicht die Angst vor der Entblössung. Der Schnee schmilzt und man sieht, was drunter ist. Sobald die Sonne wieder rauskommt, wächst der Druck rauszugehen. Wenn es dir nicht gut geht, überfordert dich das. Ich durchlebe die ganze Zeit Gefühlsschwankungen: Ich fühle mich wie elektrisiert, aber dann kippt es immer ins Negative. Ich freue mich über das Zwitschern der Vögeln oder darüber, dass ich wieder auf der Terrasse frühstücken kann und denke: “Hey, es geht ja doch!” und dann stürzt das Gefühl in sich zusammen und ich fühle mich down.

Bei einer Depression fehlt dir generell der Antrieb, die Kraft. Der Frühling raubt mir irgendwie noch mehr Energie als sonst, er macht mich müde. Einfach mehr schlafen hilft da aber nicht, sondern macht die Symptome schlimmer. In jedem Jahr triggert der Frühling die gleichen Grundsatzfragen in mir: Was mache ich mit meinem Leben? Hat das irgendeinen Sinn? Was will ich? Und dann kommst du schnell in diese Spirale rein, ein Teufelskreis von negativen Gedanken, der dich fertig macht.

Die Menschen um mich herum verändern sich auch. Alle um dich herum werden euphorisch, wollen raus, sind glücklich. Wenn es dir beschissen geht, willst du das nicht sehen. Weil ich mich in dem Moment nicht so fühle. Wenn die Leute mir von ihren neuen Mega-Lebensplänen erzählen, beginne ich, mir selbst Vorwürfe zu machen. Warum kann ich das nicht? Man sieht auch wieder all die Verliebten, wie sie draussen sind, Händchen halten, herumschmusen. Das ist hart, wenn man sich einsam fühlt.

Meine Depression ist auch im Frühling ausgebrochen und auch meine Suizidversuche später geschahen im April 2011. Ob es regnet oder die Sonne scheint, ist dabei für mich völlig irrelevant. Es ist sogar so, dass ich die Regentage im Frühling lieber habe, weil das meine Grundstimmung widerspiegelt. Es hilft mir, weil ich dann denke “Hey, jetzt sind die anderen Leute auch zuhause und machen keine crazy Sachen. Im Sommer wird mein Zustand immer besser. Meistens im Juni. Dann ist es zu heiss für Pärchen, um herumzuknutschen. Es kehrt eine Trägheit ein, viele fahren in die Ferien.

Ich stelle im Frühjahr immer sicher, dass ich regelmässig zur Therapie gehen kann, ich rede mit meiner Familie und mit meinen Freunden darüber, mein Umfeld weiss, wie schwierig diese Zeit für mich ist. Und ich weiss mittlerweile, dass es wieder vorbeigehen wird. Das macht den Frühling aushaltbar.

Hilfe bei Depression und Suizidgedanken findest du hier und hier .

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