Wie Österreichs Medien über den Mord an Hadishat berichten – obwohl sie keine Ahnung haben

Wie am Dienstag bekannt wurde, soll die 7-jährige Hadishat von einem 16-jährigen, befreundeten Nachbarn ermordet worden sein. In einer Presskonferenz präsentierte die Polizei ihre vorläufigen Ermittlungsergebnisse – und das teilweise extrem detailliert (etwa dass die Tatwaffe ein langes, gezacktes Brotmesser gewesen sei).

Was bei all den Informationen jedoch noch völlig fehlt, ist ein Motiv – auch wenn sich die Krone bereits eine Familienfehde zurecht gesponnen hat. Der 16-jährige mutmaßliche Täter gab an, aus einer “allgemeinen Wut” heraus gehandelt zu haben und sprach davon, dass das Mädchen einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. Mitleid habe er mit dem Mädchen keines, lediglich mit seine Mutter.

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Der Fall scheint für viele Medien mindestens so spektakulär und gewinnbringend wie tragisch zu sein: Sondersendungen, Interviews mit qualifizierten und unqualifizierten Personen, Ferndiagnosen und ganze Schwerpunkte dominieren Startseiten, Titelblätter und Nachrichtensendungen.

Unter anderem Oe24, das Online-Portal von Österreich, Heute, Krone, ORF, Kurier und Die Presse machen sich währenddessen weiter auf die Suche nach einem Motiv, das den 16-Jährigen angetrieben haben könnte. Dabei berichten sie am laufenden Band – obwohl man meinen könnte, dass zum jetzigen Zeitpunkt alles gesagt ist, was man wissen könnte.

Und dennoch scheint die Berichterstattung kein Ende zu nehmen. Falter-Chefredakteur Florian Klenk sprach in einem Tweet von “inszenierter Ratlosigkeit”. Wir haben Beispiele gesammelt, wie die Berichterstattung in Österreich derzeit weit über das Ziel – und vor allem über jedes gesicherte Wissen – hinausschießt.

Expertinnen und Experten werden Ferndiagnosen aus der Nase gezogen

“So tickt der Mörder von Hadishat” titelt Café Puls und die interviewte Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith. Diese stellt gleich zu Beginn klar: “Momentan ist noch viel zu wenig bekannt, als dass man exakt etwas sagen könnte.” Die Moderatorin fragt nach, weshalb ein Teenager so etwas mache. Die Antwort der Expertin: “Das wissen wir bislang noch nicht.” Der mutmaßliche Täter habe auch gesagt, er haben seinen jüngeren Bruder töten wollen, was die Expertin dazu sage? Da müsse man sich die Beziehung zum Bruder ansehen.

Die ZiB 2 interviewt die Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner, die ebenfalls damit beginnt, klarzustellen, dass man eigentlich viel zu wenig wisse, um irgendetwas mit Sicherheit sagen zu können. Im fünfminütigen Interview betont sie mehrmals mit Sätzen wie “soweit man das auf die Distanz beurteilen kann” und “mit viel Vorbehalten”, dass die Lage sehr schwierig und ungesichert ist. “Er scheint durch Hass auf alles und jeden getrieben zu sein”, schlussfolgert der ORF jedoch.

Die Presse fasst die beiden Interviews kurzerhand zusammen und macht somit aus zwei Interviews, die sich darum drehen, was man aktuell alles noch nicht weiß, einen Artikel.

Das Online-Portal Oe24 titelt währenddessen: “Wie konnte es zum Mädchen-Mord kommen?”, gefolgt von “Psychologe Binder-Krieglstein: ‘Seriöses derzeit schwer zu sagen’” und macht auch daraus einen ganzen Artikel. Ebenso die Tiroler Tageszeitung, Kurier und ORF.at, die alle das von der APA geführte Interview übernehmen.

Auf Fellner Live wird – wie auf Puls 4 – die Gerichtspsychiaterin Roßmanith interviewt: “Ist er Ihrer Meinung nach ein Soziopath?”, fragt Niki Fellner. “Kann ich nicht sagen”, antwortet die Psychiaterin. “Alles ist nur Vermutung”, betont sie auch hier. Unterm Strich: Sehr viel Platz und Sendezeit für sehr wenig Wissen.

Der Tschetschenen-Pauschalverdacht

Nachdem Details zum mutmaßlichen Täter bekannt wurden, begannen einige Medien, sich an seinen Wurzeln festzukrallen. Der 16-Jährige lebt zwar in Österreich, seit er zwei Jahre alt ist. Aber zu seinem Pech wurde er in Tschetschenien geboren – Anlass genug, um sich anlässlich des Mordes mit Tschetschenen im Allgemeinen zu beschäftigen und über deren angeblich erhöhte Gewaltbereitschaft zu berichten.

So titelt Oe24 mit “Tschetschenen: Jung, religiös, gewaltbereit”, während die Krone sehr suggestiv fragt, ob mit Tschetschenen in Österreich eigentlich alles immer schlimmer werde. Im selben Artikel schafft es die Krone übrigens weiter unten, das Ganze mit der Erkenntnis aufzulösen, dass “viele Tschetschenen die Integration in Österreich geschafft” hätten und es keine Studie gebe, wonach Tschetschenen “feindlicher als andere Völker seien”. In manchen Kreisen würde man Clickbait dazu sagen.

Kurier-Chefredakteur Helmut Brandsätter schreibt in seinem Artikel zum Thema: “Auch die Frage, ob das Milieu tschetschenischer Clans aus Jugendlichen kaltblütige Mörder machen kann, ist vorerst nicht zu beantworten”. Obwohl er diesen Umstand erkannt hat, sieht er es dennoch als notwendig an, sie zu stellen und nimmt somit in Kauf, dass sie sich auch die Leserinnen und Leser stellen, denen die Verbindung bisher vielleicht nicht mal in den Sinn kam.

Im nächsten Satz stellt er fest: “Gewalt nimmt zu, nicht nur durch Ausländer.” Brandstätter kommt zu dem Schluss, dass die Tat “vielleicht” ja gar nichts mit der Herkunft des mutmaßlichen Täters zu tun habe. Pardauz.

Oe24 macht Gudenus zum Profiler

Wo Tschetschenen und Gemeindebau vorkommen, darf natürlich auch die FPÖ nicht fehlen. Also interviewt man auf Oe24.tv auch FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus. Einleitende Frage von Fellner Jr.: “Lassen sich aus diesem fürchterlichen Mordfall irgendwelche politischen Schlüsse ziehen oder ist das ein schrecklicher Einzelfall?” Gudenus mahnt zur Vorsicht und analysiert scharf, ein Mord ohne Motiv sei für Menschen schwerer zu verstehen als ein Mord mit Motiv.

Niki Fellner fragt weiter: “Jetzt ist das Ganze passiert in einem Gemeindebau … Sie haben es eh gesagt, es ist ein Einzelfall und man kann da jetzt wahrscheinlich auch keine großartigen politischen Schlüsse aus dem Ganzen ziehen, aber lässt sich daraus ein bisschen ableiten, welche Probleme es derzeit generell in Gemeindebauten gibt? Dieser teilweise doch sehr explosive Mix?” Übersetzt: OK, man kann daraus vielleicht keine politischen Schlüsse ziehen, aber könnten Sie daraus bitte politischen Schlüsse ziehen? Und vielleicht irgendwas mit Unterschicht und Ausländern sagen?

So liefert er Gudenus die perfekte Auflage für eine Tirade gegen Rot-Grün in Wien und den designierten Bürgermeister Michael Ludwig, der in den vergangenen Jahren für Wohn- und Gemeindebau zuständig war.

Immer wieder kommt das Gespräch auf Zuwanderung, Muslime, Gewalt, Mindestsicherung. Gudenus betont wiederholt, dass das nichts mit dem Fall zu tun habe, “aber …”.

Menschen würden sich immer wieder mit der Sorge an ihn wenden, dass in Gemeindebauten ein Kampf der Kulturen stattfinde, so Gudenus. Aber das wolle er mit diesem Fall nicht in Verbindung bringen. Der Gemeindebau, in dem der Mord passierte, sei ihm jedoch schon ein Begriff gewesen. “Die Österreicher” sollen dort angeblich immer mehr zurückgedrängt werden. Wie auch in Krankenhäusern, Parks und im Straßenbereich.

Teilweise sei auch ein normaler Unterricht nicht mehr möglich, erklärt Gudenus. Das habe natürlich alles mit “ungezügelter Zuwanderung” zu tun. Irgendwie. Die Gewalt sei importiert. Man solle froh sein, dass es jetzt einen Bundesminister Kickl gebe und Menschen schneller abgeschoben werden könnten.

Immer wieder kommt das Gespräch auf Zuwanderung, Muslime, Gewalt, Mindestsicherung. Gudenus betont wiederhol, dass das nichts mit dem Fall zu tun habe, “aber …”. Die Freiheitlichen hätten eben immer davor gewarnt. (Nicht vor dem Fall, nur allgemein.) Gudenus wundert sich außerdem über den “nicht wirklich tschetschenisch oder russisch klingenden Namen” des Täters, den er “anscheinend ändern hat lassen”. Die Frage sei, wie so etwas gehe und weshalb so etwas gemacht werde. Danach spricht man über die zukünftige Wiener Stadtregierung. Belege liefert weder Fellner noch Gudenus. Für keine der Aussagen.

Der “Killer will nicht mehr reden” – die Heute redet trotzdem

Das Online-Portal von Heute hat selbstredend eine Vielzahl an Artikeln zum Thema veröffentlicht. Am Mittwochnachmittag prangt die Headline “Hadishats Killer will nicht mehr mit der Polizei reden” auf der Startseite. So wird aus Schweigen eine Schlagzeile, wobei die neue Information im dazugehörigen Artikel gegen Null tendiert. Wieder ist die Rede davon, dass es für den Mord noch kein Motiv gebe, dass die Kripo jedoch mit aller Kraft versuche, die Hintergründe aufzuklären.

Der verdächtige 16-Jährige spricht jetzt jedenfalls nicht mehr mit der Polizei und lehnt die Einvernahmen ab – und Heute berichtet darüber, dass es nichts zu berichten gibt. Einen Grund für sein Schweigen hat Robert K. übrigens nicht genannt. Heute mutmaßt dennoch hinsichtlich seiner Beweggründe. Aber wer will es ihnen vorwerfen. Sie tut damit nichts anderes als der Rest der österreichischen Medienlandschaft.

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