“Rape Taverne” – die Vergewaltigungstaverne. So nennen die Rollenspieler von World of Warcraft das berüchtigte Gasthaus, in dem Spieler massiv sexuell belästigt werden. Motherboard Deutschland hat in den vergangen Wochen mit 40 Spielern auf 21 Servern gesprochen, die von ihren negativen Erfahrungen im beschaulichen Anfängergebiet “Goldhain” erzählt haben, wo die Taverne ihren Sitz hat.
Goldhain ist zum Epizentrum der Belästigungen geworden. Die Täter berufen sich dabei auf das sogenannte “Erotic Role-Play”, kurz ERP, oder: Hier haben Gamer per Chat einvernehmlich Cybersex. Im Falle der “Rape Taverne” willigen die Opfer bloß nie dazu ein. Aber das scheint die Täter nur zu bestärken, sie mit Nachrichten voll von Vergewaltigungsfantasien und sexistischen Beleidigungen zu bedrängen.
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Nach der Veröffentlichung des Artikels über das Vergewaltigungsproblem von World of Warcraft haben uns viele Leser geschrieben. Die Story sei Quatsch, wir würden nur für die Klicks trollen. Auch aus Games-Redaktionen wie Buffed gibt es Kritik. “First World Problems” seien das. Wem es nicht gefällt, belästigt zu werden, der solle sich ausloggen. Die Trolle könne man ja auch per Knopfdruck stummschalten. Aber ganz so einfach ist das nicht. Orte wie Goldhain sind wichtig für Rollenspieler, denn sie nutzen sie als Bühne, um als Krieger, Zauberer und Jäger zu performen und ihre Rolle auszuleben.
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Das mag befremdlich klingen für alle, die in World of Warcraft in erster Linie ein Online-Game über Loot, Levelaufstiege und Bossmonster sehen anstatt einer Online-Version des guten alten Pen and Paper-Rollenspiels im Stil von Dungeons and Dragons oder Shadowrun. Aber für diese nischige Rollenspiel-Community sind die Trolle und Belästiger kein triviales Problem: Wir hören von Spielern, die sich von den Belästigungen in der Rape Taverne traumatisiert fühlen, teilweise komplett mit dem Spiel aufgehört haben.
Das Problem besteht schon seit Jahren, wie auch viele Zuschriften von Gamern zeigen, die ihre Erfahrungen genau widergespiegelt sehen. Ihre Schilderungen bestätigen: Ja, was in World of Warcraft passiert, erlebt zunächst nur der virtuelle Held am eigenen Körper – aber die Erlebnisse können auch sehr reale Spuren bei denjenigen hinterlassen, die diesen Helden spielen. Den Menschen, die ihre Charaktere mit Leben ausfüllen und mit ansehen müssen, wie andere Gamer damit umgehen.
In den vergangen Tagen haben wir mit einer Handvoll Spielern gesprochen, die versuchen, etwas an der bestehenden Situation in World of Warcraft zu ändern.
Was Spieler gegen die sexuellen Belästigungen tun
Oft sehen die Spieler das belästigende Verhalten in öffentlichen Chats, manchmal auch in privaten Nachrichten. Aber vieles passiert auch über Rollenspiel-Add-Ons wie Total Roleplay. Mit den kostenlosen Zusatzprogrammen können Rollenspieler ihre Profile erweitern und dort Charakterbeschreibungen oder Titel einfügen, um ihren Charakter besser ausleben zu können.
“Solche Sachen machen mich nervös und stressen mich natürlich”
“Diese Programme sind wirklich sehr nützlich, aber das Zeug was viele Spieler da reinschreiben…wenn sie das in die öffentlichen Chats schreiben würden, wären sie innerhalb von Minuten aus dem Spiel gebannt”, schreibt Perroy. Auf Screenshots von solchen Add-On-Profilen, die er und andere Spieler uns zeigen, sehen wir oft explizite Beschreibungen (“sie hat einen Schwanz, so groß wie bei einem Pferd”), aber auch Nachrichten, die als belästigend empfunden werden können – etwa darüber, zu welchen Charakteren Spieler besonders gerne masturbieren.
“In den Add-Ons versuchen die Leute nicht einmal, diskret zu sein. Es scheint diesen Spielern auch egal zu sein, ob das Anderen unangenehm ist, weil sie nicht erwarten, dass Blizzard sie aufhält.” Entwickler Blizzard verbietet in seinen Nutzungsbestimmungen “sexuell anstößige” und “belästigende” Inhalte im Chat. Spieler wie Perroy versuchen also nur, die Regeln des Spiels durchzusetzen – über die Meldefunktionen, die der Entwickler Blizzard ihnen bietet.
Wie gut funktioniert das Melden von penetranten Spielern?
Mit ihren Aktionen haben Perroy und seine Mitstreiter bisher allerdings keinen Erfolg: “Wir machen das jetzt schon seit Monaten, aber die Taverne ist immer noch voll.” Noch frustrierender: Für seine Arbeit wird Perroy selbst zum Ziel der Belästiger: “Sie fühlen sich davon genervt, wenn ich sie melde oder einfach bitte, ihr ERP doch bitte in privaten Skype-Gesprächen oder so auszuleben”, schreibt George. Die Spieler reagieren ziemlich drastisch. “Ich hatte schon alles. Foren-Einträge, ganze Tumblr-Blogs nur über mich, sogar Pastebins.” Einen davon zeigt uns Perroy. Darin verlinkt sind alte Fotos von ihm, seine Adresse und sein Facebook-Profil. Eine klassische Doxing-Aktion, bei der private Informationen öffentlich gemacht werden sollen, um Opfer einzuschüchtern.
“Ganz ehrlich: Ich denke nicht, dass ich da in echter Gefahr stecke”, so Perroy. Die von den Trollen veröffentlichten Fotos wären unglaublich alt, und auch die Adresse hätte gar nicht gestimmt. “Aber klar, solche Sachen machen mich nervös und stressen mich natürlich. Und das für sowas Lächerliches wie Videospiel-Cybersex.”
Ebenfalls auf Motherboard: Geheimnisse einer Sexautorin
Andere Gamer berichten uns von weiteren Problemen im Zusammenhang mit sexueller Nötigung: So erklärt einer, dass eine Berichterstattung über die “Rape-Taverne” noch gar nicht das wahre Problem erfasse. Es gebe immer wieder Spieler, die ihre Add-On-Profile dazu nutzen, um private Sexchats öffentlich zu machen und so User bloßzustellen oder sogar zu erpressen. Teilweise würden sie auch Links zu privaten Nacktbildern posten, die sie während der Sexchats bekamen.
Warum verlassen die Spieler Goldhain nicht einfach?
Die Trolle und Belästiger in World of Warcraft, die zahlreichen Rollenspielern Orte wie die Taverne in Goldhain madig machen, sind offensichtlich ein Problem, das die Community schon lange beschäftigt. Es scheint auch nicht kleiner zu werden, egal was Spieler dagegen unternehmen. Von dem Frust, den das in der Community auslöst, erzählen uns gleich mehrere Spieler per E-Mail.
Uns erreichen auch einige Zuschriften, in denen sich Leser fragen, warum Spieler überhaupt in diesen ERP-Gebieten rumhängen, wenn sie auf die Belästigungen und die expliziten Sex-Chats keine Lust haben. Immerhin ist Goldhain nur ein Durchreiseziel; ein kleiner Ort, in den man ganz am Anfang seiner Spielerkarriere kommt. Doch letztendlich könne man den Wald und die Taverne ignorieren, um anderswo große Abenteuer zu erleben und mächtige Monster zu erlegen. Wie reichen die Frage an die Spieler weiter, die sich in Goldhain belästigt fühlen.
“Die Anfänger-Zonen sind zwar von der Spielmechanik her unwichtig, aber sie befinden sich im Umland der Hauptstädte und darum dreht sich natürlich sehr viel”, schreibt uns ein Spieler, der anonym bleiben möchte. “Orte wie Goldhain bieten einfach eine weniger feindliche Umwelt als High-Level-Zonen. Sie sind darum besonders geeignet für Rollenspieler.”
Auch Perroy denkt gerne an die Zeit zurück, in der die Sex-Chats nicht so um sich gegriffen haben. “Das war so ein guter Ort für Anfänger, für Leute, die neu in der Szene waren. Da konnten sie sich ausprobieren, ohne blöd angemacht zu werden, wie in den großen Städten. Als ich 2008 angefangen habe, konntest du dich einfach an die Bar setzen und ganz normales Rollenspiel übers Abenteurerleben machen. Jetzt liest du da nur noch über massive Pferdepenisse.”
Aus diesem Grund wollen die Rollenspieler “ihre” Taverne auch nicht so leicht aufgeben: “An sich halte ich die Argumente, man könne ‘einfach weggehen’ oder sich ausloggen für nicht vertretbar. Immerhin bezahlt jeder für das Spiel, und gerade auf einem Rollenspiel-Server sollte man spielen dürfen, wo man will, ohne anzügliche oder belästigende Inhalte zu sehen”, so der anonyme Gamer, der schon seit Jahren auf Rollenspielservern aktiv ist.
Es bleibt für die Spieler also bisher leider nur das Ignorieren, das frustrierende Melden und das Aushalten von Spielern, die die alten Ideale der Rollenspieler nicht akzeptieren und eine Community aufgebaut haben, in der sexuelle Belästigung und Vergewaltigungsfantasien zum Alltag gehören.
* Alle Spieler, mit denen wir sprachen, wollten aus Angst vor weiterer Belästigung anonym bleiben