Wieso Exhibitionismus bei Frauen nicht bestraft, sondern sogar gefördert wird

Sarah* war 21, als sie gemerkt hat, dass sie gerne ohne BH und Unterwäsche in die Öffentlichkeit geht. „Am Anfang habe ich andere Leute geblitzt oder kein Höschen getragen”, sagt sie. „Dann ist es irgendwann eskaliert.” Ihr damaliger Freund fand es sexy, was dazu geführt hat, dass er in der Öffentlichkeit Fotos von ihr gemacht hat, während sie nur einen Parka trug—und sich irgendwann komplett vor Fremden ausgezogen hat. „Später habe ich nichts mehr außer einer Jacke angezogen, wenn ich nach draußen gegangen bin und wir Fotos gemacht haben”, sagt sie.

An diesem Punkt wurde Sarah klar, dass sie gerne in der Öffentlichkeit blank zieht. Sie beschloss, daraus Kapital zu schlagen und begann eine Nebentätigkeit als Nacktmodell auf Twitter. Auf ihren Fotos sieht man sie in verschiedenen öffentlichen Umgebungen—mal posiert sie komplett nackt neben einem Wasserfall, mal spreizt sie fröhlich die Beine, während sie von zwei männlichen Touristen gestützt wird.

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Auf den meisten Bildern erkennt man aber auch, dass sich hinter ihr eine Traube aus Menschen bildet, die auf ihren nackten Körper gaffen—sowohl Männer als auch Frauen. Sie erntet, wie sie selbst sagt, zwar auch genügend irritierte Blicke für ihr Verhalten, aber sie wurde noch nie verhaftet oder zu einer Geldstrafe verurteilt. Tatsächlich hat sich noch nie irgendwer beschwert.

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„Die Leute sind normalerweise ziemlich nett und/oder reagieren amüsiert, um ehrlich zu sein”, sagt sie. „Manche sind auch ein bisschen schockiert, was aber normal ist, schätze ich.”

Sarah bezeichnet sich selbst als Exhibitionistin beziehungsweise als jemand, der sexuelle Lust daraus zieht, seine Genitalien in der Öffentlichkeit zu zeigen. Zwar denkt man bei dem Wort „Exhibitionismus” meist zuallererst an Männer in Trenchcoats, die andere Menschen in dunklen Seitenstraßen blitzen, aber es gibt auch Frauen, die gerne blank ziehen, um ahnungslose Passanten zu schockieren oder anzumachen.

Es gibt viele Menschen, die gelegentlich den Impuls verspüren, blank zu ziehen—sei es ein kurzer Nippelblitzer vor seinem letzten Sexpartner in einer vollen Bibliothek oder ein schnell geschossenes Upskirt, das man mit seinem Handy verschickt. Deswegen würde sich aber noch längst nicht jeder als Exhibitionist bezeichnen. Nach der traditionellen Definition ist Exhibitionismus dagegen ziemlich selten, sagt Dr. Justin Lehmiller, Leiter des sozialpsychologischen Instituts der Ball State University in den USA. (Außerdem ist Exhibitionismus strafbar: Nach § 183 des StGB werden exhibitionistische Handlungen mit Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe bestraft.)

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„Es handelt sich dabei um eine nicht einvernehmliche Handlung, bei der eine Person durch die schockierten Reaktionen anderer sexuell erregt wird”, erklärt er gegenüber Broadly. „Wir sprechen hierbei aber nicht von irgendwelchen Betrunkenen, die sich gegenseitig bei einem Festival blitzen. Wir sprechen von Menschen, deren abweichendes Verhalten zum Ziel hat, andere für die eigene sexuelle Befriedigung zu schockieren oder zu überraschen.”

Im Vergleich zu den Männern gibt es sehr viel weniger Frauen, die tatsächlich Exhibitionisten sind. Laut einer schwedischen Studie aus dem Jahr 2006 berichteten unter 2.450 zufällig ausgewählten Personen 2,1 Prozent der Frauen von mindestens einem exhibitionistischen Erlebnis; bei den Männern waren es dagegen 4,1 Prozent. Dennoch ist der Wunsch, in der Öffentlichkeit nackt zu sein, bei beiden Geschlechtern durch einen gemeinsamen Beweggrund motiviert: die eigene sexuelle Erregung.

Foto: David M | Flickr | CC BY-SA 2.0

„Teil des Nervenkitzels [in der Öffentlichkeit nackt zu sein] entsteht wahrscheinlich dadurch, dass man erwischt werden könnte”, sagt Amanda, eine 38-jährige Exhibitionistin, die—genau wie Sarah—durch ihren männlichen Partner zu diesem Lebensstil gefunden hat. „Es fühlt sich aber auch ziemlich gut an, den Wind und die Sonne auf diesen Körperteilen zu spüren.”

Egal ob man nun anonyme Fotos von seinen Brüsten auf r/gonewild postet oder gelegentlich „vergisst”, Unterwäsche anzuziehen, bevor man in den Supermarkt geht—es gibt viele Frauen, die von dem Gedanken, vollkommen fremde Menschen könnten sie nackt sehen, erregt werden. Was weibliche von männlichen Exhibitionisten unterscheidet, sagt Sexualtherapeutin Timaree Schmit, ist, dass die Wahrscheinlichkeit, negative Reaktionen für ihr Verhalten zu bekommen, sehr viel geringer ist—was mit der Tatsache zu tun hat, dass Nacktheit bei Frauen gesellschaftlich viel stärker akzeptiert ist als die Nacktheit von Männern.

Wenn ein Mädchen auf den Tresen steigt, um ihre Brüste zu zeigen, dann betrachten wir das als Party-Verhalten und nicht als Sexualdelikt.

„Bei Männern ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie ihr Verhalten in krimineller Weise ausleben. Das Ganze findet aber noch immer im Rahmen einer Kultur statt, in der es okay ist, wenn sich Frauen auf sexuelle Art und Weise in der Öffentlichkeit präsentieren”, sagt Schmit. „Wenn ein Mädchen auf den Tresen steigt, um ihre Brüste zu zeigen, dann betrachten wir das als Party-Verhalten und nicht als Sexualdelikt.”

Aus rechtlicher Sicht werden Frauen in Deutschland sogar komplett von exhibitionistischen Straftaten ausgeschlossen, da laut § 183 des StGB nur ein Mann als Täter in Frage kommt. Begründet wird diese Entscheidung damit, dass exhibitionistische Handlungen von Frauen angeblich kaum vorkommen. Andere argumentieren sogar, dass es anatomisch unmöglich sei, dass Frauen Passanten ihr Geschlecht zeigen. Wer als Frau in der Öffentlichkeit blank zieht, kann aber wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt werden, wobei es auch dann noch immer auf den jeweiligen Einzelfall und die Auslegung des Richters ankommt, wie die Tat tatsächlich bewertet wird.

Generell wird Nacktheit in der Öffentlichkeit sehr unterschiedlich wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass ein nackter Mann eher als sexuelle Bedrohung wahrgenommen wird als eine nackte Frau. Deswegen werden weibliche Exhibitionisten auch sehr viel seltener der Polizei gemeldet, sagt Lehmiller. „Es könnte daran liegen, dass Exhibitionismus unter Frauen nur sehr selten vorkommt, es könnte aber auch damit zu tun haben, dass die Opfer der Frauen es nicht zur Anzeige bringen—vielleicht auch, weil weibliche Blitzer nicht dieselben Sicherheitsbedenken geben wie männliche.”

Die Verbindung von Exhibitionismus und Sicherheitsfragen könnte tatsächlich nicht ganz umbegründet sein. Eine weitere Studie aus dem Jahr 2006 hat im Verlauf von 13 Jahren mehr als 200 Exhibitionisten beobachtet, von denen „23,6 beziehungsweise 31,3 und 38,9 Prozent wegen sexueller, gewalttätiger oder anderer strafbarer Handlungen verurteilt wurden”. Weitere Studien wiesen ebenfalls auf einen Zusammenhang zwischen Exhibitionismus und anderen Formen von perversen oder abweichenden sexuellen Verhaltensweisen hin.

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„Wenn es Frauen tun, dann scheinen sie nur etwas Spaß zu haben. Wenn es Männer tun, denken die Leute dagegen vielleicht eher, das sie nicht richtig ticken”, sagt Sarah. „Ich kann aber wirklich nicht sagen warum. Vielleicht sieht es einfach aggressiver aus …”

Sarah macht sich keine großen Gedanken darüber, eines Tages erwischt zu werden. Sie hat eher Angst, dass Leute aus ihrer Heimatstadt eines Tages über ihren Twitter-Account stolpern könnten.

Bis auf Weiteres sieht sich Sarah selbst aber auf der Mission, die allgemeine Wahrnehmung von Nacktheit in der Öffentlichkeit zu verändern—egal, ob es die Leute, auf die sie bei ihren Fotoshootings trifft, nun schockierend finden oder nicht. „Es ist nur ein Körper”, sagt sie. „Die Leute sollten sich das vor Augen halten und versuchen, darüber hinwegzukommen. Es gibt sehr viel schlimmere Dinge auf dieser Welt.”


*Namen wurden geändert.

Foto: kris krüg | Flickr | CC BY-SA 2.0