Horst Seehofer zieht sich in den Keller zurück, um seine Modelleisenbahn fahren zu lassen. Angela Merkel fährt gerne mal Langlaufski in der Schweiz. Und Philipp Amthor schießt in seiner Freizeit auf Tiere bei der Jagd. Berufspolitikerinnen und Berufspolitiker brauchen Hobbys. Neben all der politischen Verantwortung ist ein Ausgleich wichtig, und vielleicht ist der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auch deswegen Bedroom-Producer geworden. Es sind eben nicht nur US-Hip-Teens mit grün gefärbten Haaren, die Musik aus ihrem Zimmer heraus auf Soundcloud veröffentlichen, sondern wie im Falle von Buschmann 44-jährige, Anzug tragende Juristen aus Gelsenkirchen.
Buschmanns Alter Ego: MBSounds. Auf seinem Soundcloud-Profilbild sieht man MB mit verspiegelter Sonnenbrille und ernstem Blick. Das könnte eine Referenz an das Albumcover von From here to Eternity des Euro-Disco-Godfathers Giorgio Moroder sein, dem MB neben Hans Zimmer bei Soundcloud folgt. Im Hintergrund liegen Studiokopfhörer und ein MacBook. Alles auf MBSounds Soundcloud-Account schreit danach: Hier geht es jetzt um Musik, Leute! Und für MB scheint Musik wirklich nicht nur irgendein, sondern das Hobby zu sein. Eine große Leidenschaft. Er ist äußerst produktiv, hat in sieben Jahren 36 Songs veröffentlicht. Knapp drei Stunden Musik, die sich nach eigenen Angaben zwischen den Genres Dreamhouse, EDM und Trance bewegen. Ich habe jeden einzelnen Song für euch gehört, um herauszufinden, was MB so treibt, wenn er nicht gerade die Verfassungsklage gegen den Berliner Mietendeckel koordiniert oder sich für Änderungen im Infektionsschutzgesetz einsetzt.
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MB der Lonely Rider
MB nachts allein auf der Autobahn. Ohne Tempolimit, die pure Freiheit. “BRB14REMIX” ist der Soundtrack für alle liberalen Lonely Rider auf der linken Spur mit Ulf Poschardts Über Sportwagen im Regal. MB experimentiert, wie übrigens auf vielen seiner Tracks, mit Synthesizern und produziert Musik irgendwo zwischen dem Knight Rider-Soundtrack und dem schon erwähnten Giorgio Moroder. “BRB14REMIX” erschien schon vor sechs Jahren.
Doch auch MB geht mit der Zeit. Immerhin ist er Teil einer Regierung mit den Grünen und Cem Özdemir fährt sogar mit dem Fahrrad zu wichtigen Terminen. In diesem Jahr erschien vielleicht deswegen der Song “Train to Berlin”, schon lange vor Beginn der Koalitionsverhandlungen übrigens. Ganz wohl scheint sich MB im ICE allerdings nicht zu fühlen, denn im Gegensatz zur smoothen Raser-Hymne ist “Train to Berlin” ein alptraumhafter TripHop-Song mit Streicher-Sounds. Erst zum Ende hin, MB erträgt das Alptraum-Szenario “Zugfahrt” nach drei Weizen im Boardbistro mittlerweile womöglich mehr schlecht als recht, wird der Beat schneller und technoider. Kurz darauf erschien “Driving to the bar“, die Erlösung, pure Gelassenheit, endlich wieder im Auto, auf dem Weg in die nächstgelegene Bar, um alles zu vergessen. Nur ab und zu klingen die Synthesizer-Sounds noch etwas surreal und traumhaft. Unterbewusst hängt die Zugfahrt MB wohl noch in den Knochen.
MB der Lindner-Lover
Eine Muse kann Künstlerinnen und Künstler zu kreativen Bestleistungen antreiben und MBs Muse ist ganz klar Christian Lindner. Immerhin war der an MBs bisherigen Top-Hit “Wutrede” maßgeblich beteiligt. Stand Mitte Dezember hat der Track 35.200 Aufrufe. Vor nichtmal einer Woche, als MB noch weitgehend im verborgenen werkelte, stand kaum ein Track bei mehr als 1.000 Plays. Jedenfalls rumpelt und kracht es in “Wutrede”, das mit dem Hashtag #Industrial versehen ist. Klingt zwar nicht ganz so radikal wie bei den Einstürzenden Neubauten, aber es rüttelt doch an der glatten liberalen Oberfläche.
Hauptattraktion des Tracks ist aber die aus einer Rede gesampelte Stimme von Christian Lindner, der wütend gegen die SPD pöbelt und sich für die “gründungswilligen jungen Menschen” einsetzt. Und weil MBs wütender Abgeordneten-Industrial so gut funktioniert hat, gibt es mit “Second Speech of Anger” sogar eine Art Fortsetzung, ebenfalls mit Lindner-Feature. Der Track ist die liberale Hymne gegen Rechts. Auf einem harmlosen Deep House-Beat geht es gegen die AFD und der Track hat sogar das Zeug dazu, auf einer Afterhour der Jungen Liberalen ein paar Männer mit hochgekrempelten Hemdarmen zum Tanzen zu bringen.
Und dann ist da noch das fünfteilige Hauptwerk von MB. “Schattenjahre” verarbeitet die Krise der FDP nach dem gescheiterten Bundestagseinzug zur Bundestagswahl 2013. Vor allem “Schattenjahre 4: After The Result” ist eine tieftraurige Streicherballade. Vertonte freie demokratische Tränen. Doch dann kommt er, Christian Lindner, der Kämpfer für die Erneuerung der FDP. “Schattenjahre 5: Die Ankündigung” ist im Endeffekt eine musikalische Lindner-Huldigung und die Einleitung einer neuen Sturm und Drang-Phase in MBs Schaffen. Übrigens ist sogar der Titel “Schattenjahre” übernommen von Christian Lindners gleichnamigen Buch Schattenjahre: Die Rückkehr des politischen Liberalismus.
MB der nachdenkliche Kämpfer
Neben der Lindner-Huldigung ist MBs Schaffen ziemlich heterogen. Es ist ein Auf und Ab der Gefühle, die Musik eines Mannes mit Hang zu martialischen Soundtracks einerseits und experimentellem Synthesizer-Gefrickel andererseits. Viele seiner Tracks klingen daher wie schlechte Adaptionen von Soundtracks für Serien wie Game of Thrones oder Filmen wie 300. Theatralische Chöre, Falsettgesang und immer wieder Streicher. Die Ritter ziehen in den Kampf, werden aufgepeitscht von MBs Marschmusik. Wenn man bedenkt, dass es bei Tracks wie “Jagdfieber” eher nicht um das Mittelalter, sondern das marschierende Fußvolk der FDP geht, wirkt das ziemlich putzig. Immerhin wird CDU-Mann Philipp Amthor vermutlich auch große Freude an “Jagdfieber” haben, wenn er in seiner Freizeit mal wieder mit der Flinte durch einen Wald schleicht.
Die nachdenklichen Momenten, Tracks wie “Warten und Erwartung“, leise Synthesizerklänge, hauchzarte Drums, funktionieren dagegen gut. Auch ein liberaler Top-Performer muss mal innehalten und vielleicht sogar die Legalisierung von Cannabis mit MBs-Chillwave-Tunes genießen dürfen. Und dann gibt es da noch die Ausreißer, einen Trance Tune als solidarischen Move mit den Protestierenden in Belarus oder ein ganz furchtbares Medley mehrerer Weihnachtslieder, neu interpretiert von yours truly MB. Doch auch wenn Marco Buschmann ein untalentierter Musiker ist, zeigt sein Schaffen immerhin: Auch ein FDP-Justizminister ist nur ein ganz normaler Mensch der ab und zu seine letzte ICE-Fahrt in einem Song verarbeiten möchte, als wäre er ein 17-jähriger Soundcloudrapper. Just for fun, ohne große Verwertungslogik dahinter.