Wir haben Drogen-Checker auf dem Festival “Gathering of the Juggalos” begleitet

Dieser Artikel ist Teil des VICE Guides für Festivals, alle Texte findet ihr hier.

Ein Festivalbesucher kommt auf den Stand von Bunk Police zu, in der Hand einen Teststreifen: positives Ergebnis für Fentanyl. “Wo kommt das her?”, fragt Adam Auctor. ” Kokain”, sagt der Typ. Auctor sieht sich den Teststreifen an, schultert seinen Rucksack und macht sich mit dem Juggalo auf zu dessen Zeltplatz. Sie laufen Slalom zwischen Verkaufsständen und anderen, aufwendig gestylten Juggalos in Golf-Mobilen, erreichen schließlich einen Campingplatz, wo eine Gruppe Freunde auf einer Plane abhängt. Dort testet Auctor das Kokain noch einmal mit seinem eigenen Drogentest-Kit. Wieder ein positives Ergebnis für Fentanyl.

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“Wo ist der Dealer? Los, wir reden mit ihm”, sagt Auctor zu dem Typen, der wie der Anführer der Gruppe wirkt. Vor diesem Jahr hat Bunk Police noch nie Fentanyl in vermeintlichem Kokain gefunden. In den letzten Jahren hat das gefährliche Opioid in den USA viele tödliche Überdosen ausgelöst.


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Adam Auctor ist Gründer von Bunk Police. Seit 2011 gibt es die Firma, heute ist sie einer der weltgrößten Händler für Drogencheck-Kits. Auctor heißt in Wirklichkeit anders. Seine Arbeit ist rechtlich heikel, er benutzt das Pseudonym, um seine Identität zu schützen.

Der Streifen in seiner Hand ist schon der sechste positive Fentanyl-Test der Saison, hier auf dem Gathering of the Juggalos. Das jährliche Musikfestival wird vom HipHop-Label Psychopathic Records organisiert und ist sozusagen das Gipfeltreffen der Fans des schwarz-weiß geschminkten Horrorrap-Duos Insane Clown Posse.

Der Gründer von Bunk Police, Adam Auctor

“Ich will eine Veränderung in der Festival-Community erzwingen” sagt Auctor gegenüber VICE. Der 32-Jährige war mal Pfadfinder, seit sieben Jahren bemüht er sich um einen Wandel auf dem Drogenmarkt, vor allem in der Festivalszene. Organisatoren sollten die Tests, die Schaden von den Konsumenten abwenden, nicht mehr verbieten dürfen. Von diesem Ziel sei er zwar noch weit entfernt. “Aber die Veränderung wird kommen”, sagt er, “und wenn ich dafür mein Leben gebe.”

Eigentlich konzentriert sich Bunk Police auf die EDM-Szene, also Festivals für kommerzielle elektronische Musik. Auf denen verkaufen Auctor und sein Team eine ganze Reihe von Drogentest-Kits, damit Besucherinnen und Besucher wissen, was sie ihrem Körper tatsächlich zuführen.

“Ich tue das hier, weil ich überzeugt bin: Wenn ich es nicht mache, dann macht es niemand.”

Zum Gathering of the Juggalos sind Auctor und sein Team vor allem gekommen, weil es in diesem Jahr in Ohio stattfindet, einem der US-Staaten mit der höchsten Überdosen-Rate.

“Ich tue das hier, weil ich überzeugt bin: Wenn ich es nicht mache, dann macht es niemand”, sagt Auctor. Sein Team bittet grundsätzlich nicht um die Erlaubnis der Festival-Betreibenden, bevor es Drogentests verkauft. Dementsprechend werden sie manchmal rausgeschmissen; das sei dieses Jahr beim Bonnaroo in Tennessee passiert, erzählt Auctor. Er könnte sogar angezeigt werden und eine Gefängnisstrafe bekommen, weil Test-Kits mancherorts als illegales Drogenzubehör gelten. Bei einem Festival beschlagnahmten die Sicherheitsleute Test-Kits im Wert von Tausenden Dollar, später übergaben sie alles der Polizei.

Seit 2003 gibt es in den USA den sogenannten RAVE Act, der eigentlich “Illicit Drug Anti-Proliferation Act” heißt. Das Gesetz ist eine Hürde für Auctor und andere, die sich für sicheren Konsum einsetzen. Es regelt nämlich, dass Event-Organisierende für Drogenaktivität auf ihrem Gelände zur Verantwortung gezogen werden können. Dass die Arbeit von Firmen wie Bunk Police Drogenkonsum oder -verkauf gleichkommt, ist ein trauriges Missverständnis. In Wirklichkeit können Drug-Checking-Dienste Leben retten, weil sie sich den Tatsachen stellen: Menschen auf Festivals nehmen nun einmal Drogen.

Trotzdem wird die Arbeit der Tester in vielen Ländern mindestens erschwert: In Kanada etwa berufen sich Event-Betreiber auf die unklare rechtliche Lage und verbieten Dienste wie Bunk Police ihre Arbeit. In Deutschland ist Drug-Checking verboten, in der Schweiz etwa wird es dagegen seit Jahren erfolgreich praktiziert.

“Event-Promoter in den USA nutzen den RAVE Act als Ausrede, um Schadensminderung zu verbieten”, sagt Auctor. “In Wirklichkeit machen sie sich mehr Gedanken darüber, ob ihre Versicherung teurer werden könnte.”

Ausnahmsweise machen die Checker Soforttests

Eigentlich führt das Team von Bunk Police die Soforttests nicht mehr selbst durch, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht selbst belangt werden können. “Menschen nahmen vor meinen Augen Drogen”, sagt Auctor. “Einmal nahm ein Typ Ketamin und fiel auf die Testoberfläche, als ich kurz abgelenkt war.”

Stattdessen sollen die Konsumenten die Tests jetzt mitnehmen und selbst durchführen. So vermeiden Auctor und sein Team auch, in körperliche Gefahr zu geraten. Denn manchmal werden Drogenkonsumenten wütend, wenn sie erfahren, dass man ihnen eine Mogelpackung verkauft hat.

Beim Gathering of the Juggalos allerdings bricht Auctor seine eigenen Richtlinien und bietet Sofort-Checks an. Am Donnerstagnachmittag etwa testet er ein Stück Löschpapier, das ihm ein Juggalo vorgelegt hat. Es soll LSD enthalten. Der Check zeigt: Es handelt sich um ein Halluzinogen namens 25I-NBOMe, das ab einer bestimmten, von Person zu Person unterschiedlichen Dosis tödlich wirken kann. Der Dealer, ein Mann von imposanter Statur, kommt zum Stand von Bunk Police, baut sich vor dem Tisch auf, an dem Auctor sitzt, und diskutiert mit ihm. Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm begleitet ihn. Der Typ wirkt wütend und besteht darauf, der Test sei falsch. Erst sieht es aus, als könnte der Mann gewalttätig werden, aber seine Begleitung entschärft die Situation. Nach zehn angespannten Minuten verlassen die beiden mit dem Baby den Stand. Auctor atmet auf: “Und genau deshalb mache ich das sonst nicht.”

Immer wieder ziehen Event-Organisierende und Konsumenten in Zweifel, ob die Selbsttest-Kits, wie Bunk Police sie verkauft, überhaupt zuverlässig sind. Auctor selbst räumt ein, die Tests seien “nicht hundertprozentig unfehlbar”, allerdings gehe es Bunk Police auch nicht darum, die Reinheit einer Substanz zu bestätigen. Vielmehr wolle das Team aufzeigen, wenn eine Substanz verunreinigt ist – Disqualifizierung statt Qualitätsprüfung.

“Unsere Produkte können einen großen Teil der Proben disqualifizieren – manchmal sind es 50 Prozent”, sagt Auctor. Das führe sehr oft dazu, dass die Menschen sich dagegen entscheiden, diese potentiell gefährlichen Substanzen zu nehmen. Gebe es keine Tests, hätten die Konsumierenden nur die Möglichkeit, sich aufs Wort des Dealers zu verlassen.

Eine schrecklich nette Fangemeinde

Das Gathering of the Juggalos unterscheidet sich stark vom durchschnittlichen EDM-Festival – es unterscheidet sich überhaupt von so ziemlich allen anderen Events. Besucherinnen und Besucher geben sich Faygo-Duschen (die Brause ist das Lieblingsgetränk der Juggalos), “Whoop Whoop”-Rufe schallen einem von überall her entgegen. Und: Im Vergleich zu vielen Festivals ist das Gathering noch nicht komplett kommerzialisiert. Nackte Menschen laufen umher und verkaufen mit handgemalten Schildern und Megaphonen Drogen.

Eine weitere Ausnahme: Bunk Police bekommt keine Probleme mit der Security des Festivals. Bei anderen Events musste das Team schon zu Guerrilla-Taktiken greifen, um seine Kits aufs Gelände zu bekommen: mitten in der Nacht durch einen Sumpf waten, Taschen über Zäune werfen, die Tests von Essensverkäufern reinschmuggeln lassen.

Der Großteil der getesteten Drogen auf dem Gathering sind Psychedelika, und die meisten Substanzen sind tatsächlich das, als was sie beworben wurden. MDMA ist (ausnahmsweise) tatsächlich meist MDMA, LSD LSD und DMT fast immer DMT. Abgesehen von ein wenig Fake-LSD scheinen die Juggalos besondere Drogen-Integrität zu besitzen.

“Wir hatten noch nie so gute Ergebnisse auf einem Festival”, sagt Auctor – kurz bevor das mit Fentanyl gestreckte Koks auftaucht. Eine Stunde später steht er neben dem Juggalo, der den ersten Test gemacht hatte, im Campingbereich. Nachdem seine Freunde und er das Koks gekauft hatten, machten sie sich Sorgen um mit Opioiden versetzte Drogen. Sie besorgten sich ein “FentKit” von Bunk Police. “Ich will das nicht riskieren”, sagt eine Frau aus der Gruppe. “Jemand aus unserem Freundeskreis ist erst vor Kurzem gestorben.”

Auctor hält den Teststreifen, der ein positives Ergebnis für Fentanyl anzeigt, und das Tütchen, aus dem die Probe stammt

Interview mit einem Fentanyl-Koks-Dealer

Der Koks-Dealer, der den Freunden das gepanschte Koks verkauft hatte, steht neben einem Zelt in einem waldigen Teil des Campingbereichs. Auctor fragt, ob er eine Probe aus dem Vorrat des Dealers testen dürfe: wieder ein positives Ergebnis für Fentanyl. Nach einer Diskussion, bei der Auctor den Mediator gibt, willigt der Dealer ein, die Drogen zurückzunehmen und dem Käufer das Geld zu erstatten.

“Das war mir nicht klar, und ich bin echt nicht glücklich darüber”, sagt der Dealer gegenüber VICE. “So bin ich nicht. Mir bedeuten Menschen was.” Der Dealer ist ein Einheimischer aus Ohio, er sagt, er habe die Drogen am Vortag in einer nahegelegenen Stadt besorgt und noch nicht viel davon verkauft. Er und seine Freunde hätten die Substanz selbst genommen und keine Überdosis erlitten. Was gut möglich ist – leider aber wenig darüber aussagt, ob die Droge bei anderen anders wirken könnte. Denn da gibt es noch den sogenannten “Chocolate Chip Cookie”-Effekt.

“Ich will niemandem wehtun. Das will ich nicht auf meinem Gewissen haben.”

Fentanyl und Fentanyl-Analoge sind sehr starke Opioide, die selbst in kleinen Mengen eine Überdosis auslösen können – vor allem bei Menschen, die eigentlich keine Opioide konsumieren. Fentanyl ist um ein Vielfaches stärker als Heroin, es ist leichter zu dealen und bringt große Profite. Deshalb streckt man hochwertige Drogen mit dem Mittel, das eigentlich mal als Schmerzmedikament auf den Markt kam.

Nur: Das Opioid verteilt sich dabei nicht gleichmäßig. Stattdessen ist es wie bei Chocolate Chip Cookies: Die Schokoladenstückchen landen unregelmäßig im Teig, manche Kekse sind voller Schokolade, andere enthalten kaum welche.

Ein Juggalo hält Drogen-Check-Kits von Bunk Police, darunter das Kit, das auf Fentanyl testet

Mit mehreren Tests bestätigt Auctor, dass das Fentanyl unregelmäßig auf das Produkt des Dealers verteilt ist. Bei manchen Teststreifen ist das Ergebnis sogar negativ. “Ich will niemandem wehtun”, sagt der Dealer gegenüber VICE. “Das will ich nicht auf meinem Gewissen haben.” Er habe selbst mehrere Freunde an Überdosen verloren und in der Vergangenheit mit einer Opioid-Sucht gekämpft.

Auf die Frage, was er nun mit den Drogen vorhabe, sagt er: “Das kommt jetzt alles in diese schicke kleine Tüte, und dann gehe ich damit zu meinem Dealer und breche ihm das Genick.” Er wirkt sichtlich verstört von der Situation.

Der Mythos von den guten und den bösen Dealern

Der Dealer ist kein Außenseiter, der das Festival nur besucht, um Geld zu machen. Er sagt, er sei selbst seit vielen Jahren Juggalo. Auctor zufolge ist es ein Mythos, dass Dealer mit kontaminierten Drogen grundsätzlich Szenefremde sind. Beim EDM-Festival Electric Forest in Michigan filmte Auctors Team im Juni einen Dealer, der weinte, als er erfuhr, dass sein Kokain mit Fentanyl gestreckt war. “Dieser Typ hat die gleichen Sachen an wie alle anderen dort, er redet wie sie, er geht auf dieselben Events und verhält sich dort wie alle anderen auch”, erzählt Auctor.

Am zweiten Tag des Gathering kommt ein Pärchen zum Stand von Bunk Police. Eigentlich sind sie nur neugierig, sie wollen gar keinen Test kaufen, sie kennen ihre Quelle gut. Auctor spielt ihnen das Video vom weinenden Dealer vor. Hinterher zeigt die Frau auf die Fentanyl-Testkits, die am Stand ausgestellt sind. “Ich kaufe auf jeden Fall eins.”

Auctor schenkt ihnen den Test. Eigentlich kostet ein “FentKit” mit fünf Teststreifen zehn Dollar, das Standard-Testkit sogar 30 Dollar. Beim Gathering sei aber ein anderer Ansatz nötig, erklärt Auctor. Er mache sich Sorgen um die Juggalos, die sich keine Tests leisten könnten und ihre Drogen ungecheckt konsumierten. Deshalb verschenke er seine Kits, sobald jemand zögere, wenn er den Preis gehört habe. Am Ende wird Auctor Hunderte Gratis-Tests verteilt haben. “Aber eigentlich müssen wir die Kits verkaufen, sonst können wir uns nicht über Wasser halten”, sagt Auctor.

Bei EDM-Festivals gebe es andere Drogenprobleme, sagt Auctor. Meist begegne er dort vermeintlichem MDMA, das sich als das Amphetamin Cathinon (auch bekannt als “Badesalz”) oder Meth herausstelle. “Juggalos dagegen kümmern sich umeinander”, sagt Auctor. Die Community sei viel freundschaftlicher. Es gebe weniger Menschen, und sie kämen schon seit 10, 15 Jahren auf das Event. “Es ist wie eine Familie”, sagt er.

Jetzt will Auctor das Drug-Checking in die HipHop-Szene bringen, das Gathering of the Juggalos war dabei nur der erste Schritt. Er wolle auch andere Bevölkerungsgruppen aus verschiedenen sozialen Schichten erreichen, sagt Auctor: “Alle haben es verdient, sichere Entscheidungen treffen zu können.”

Ein Juggalo umarmt Auctor im Zelt von Bunk Police beim Gathering of the Juggalos

Stunden nach dem Vorfall mit dem Fentanyl-Koks baut das Team von Bunk Police das pinkfarbene Zelt ab und packt es, zusammen mit den Kits und dem restlichen Equipment in einen Van. Auctor steht nun eine seltene freie Sommerwoche in Nebraska bevor.

Bloß zum Spaß gehe er selbst nicht mehr auf Festivals, sagt er. Er könne meist nicht mal die Musik genießen. “Ich halte immer Ausschau nach Leuten, die auf dem Boden liegen.”

Oft umarmten ihn Menschen, erzählt Auctor ganz zum Schluss. Andere bedankten sich dafür, dass er Leben rette. Ihm selbst sei es lange schwer gefallen, sich als “Lebensretter” zu verstehen. Das habe sich in diesem Jahr geändert, sagt Auctor. “Wegen des Fentanyls.”

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