Ich habe eine Nacht im Fitnessstudio verbracht, damit ihr es nicht müsst

Es ist 12 Uhr nachts. Ich bin im Fitnessstudio: Geräte, Schweiß, Schweißränder auf Geräten. Und Topfpflanzen, warum auch immer. Drei der acht Leute im fast leeren Studio machen genau dasselbe wie ich: Rumsitzen, Kopfhörer im Ohr. Auf die anderen hat die Kamera um meinen Hals eine magische Wirkung. In meiner Nähe wird posiert. Der kräftige Schluck aus der Plastiktrinkflasche soll aussehen wie in einem Werbespot.

Hier sind hauptsächlich Männer. Dass Fitness zum Volkssport geworden ist und die Leistungsgesellschaft längst nicht mehr nur Frauen zu schaffen macht,haben wir erst vor Kurzem beschrieben. Aber warum widmen sich manche ausgerechnet nachts ihrem Rücken, ihrem Bauch und ihrem Bizeps, statt loszulassen, zu feiern oder zu schlafen?

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00:07 Uhr – “Beste Freunde, keine Anabolika” – Workout-Buddys Swen (30) und Amir (32) | Alle Fotos von der Autorin

Die ersten beiden erzählen gern, warum sie nachts ins Fitness gehen: “keine Prolls, schön leer.” Und noch lieber reden sie über sich: “Beste Freunde, Workout-Buddys, keine Anabolika.” Swen (30) war “schon in der Schule bester im Leistungssport”, Amir (32) erzählt, er habe im letzten Jahr 15 Kilo Masse mit Proteinshakes aufgebaut. Und dann kommt die Frage, die mir jeder hier stellen wird: “Trainierst du auch?” Variation: “Trainier doch, wenn du die Nacht hier verbringst!” Es ist das Smalltalk-Thema nachts auf verschwitzten Bänken im Fitnessstudio. Nein, werde ich nicht. Schon aus Trotz.

01:28 Uhr – So sieht auf die S-Bahn-Warten bei Michael (28) aus

Um halb zwei trainiert Michael (28). Er kommt von der Arbeit im Hotel und muss hier am Alexanderplatz immer 20 Minuten auf die nächste Bahn warten. “Bevor ich rumsitze, gehe ich ins Fitnessstudio”, sagt er. Aus 20 Minuten wird wie heute oft eine Stunde. “Nachts sind die Umkleiden leer. Ich steh nicht so auf Körperkontakt.” Außerdem sei der Konkurrenzdruck weg. Pause zu machen, gehe klar, ohne dass gleich jemand kommt und an dasselbe Gerät will. Und: “Bessere Luft, kein Rumgestöhne von irgendwelchen Posern.” In diesem Moment fängt neben uns jemand an, Gewichte zu stemmen und zu stöhnen.

02:13 – Ben (22) muss morgen früh raus, schläft aber eh immer nur vier Stunden

Ben (22) muss morgen um sechs raus, er arbeitet in einem Start-up. Trotzdem bis halb drei im Fitnessstudio zu sein—kein Problem: “Wenn ich feiern gehe, schlafe ich ja auch nur zwei, drei Stunden und geh am nächsten Tag arbeiten.” Zwinkern. “Ob Club oder Fitnessstudio ist da doch auch egal.” Vielleicht ist was Wahres dran, es gibt sicher Clubs, in denen es auch hauptsächlich um Muskeln geht. Muskeln und Alkohol. Ich beschließe, Bier zu holen. Raus. Ich sauge die Luft am Alexanderplatz ein, als stünde ich auf einer Almhütte.

Zurück im Studio kommt leider trotz Bier keine Party-Stimmung in mir auf. Es sind noch drei Leute da. Ismail (20) und seine zwei Kumpels. Vor allem während Ramadan gehen sie immer nachts trainieren. “Essen durften wir heute um 21:28 Uhr.” Sie waren in Tempelhof essen, sind danach sieben Kilometer bis Mitte gelaufen und jetzt bleiben sie bis vier im Fitnessstudio. “Mit vollem Bauch zu schlafen, ist ja nicht gut”, sagt Ismail. Essen wird er heute nichts mehr, aber er trinkt noch viel, damit er es tagsüber ohne Wasser durchhält. Was er morgen macht: “Ich bin Hobbygärtner, mein Garten braucht viel Zeit.” Danach klären wir noch, ob ich auch trainieren gehe. Immer noch nicht. Ismail schon, er macht noch kurz was für die Arme, dann gehen die Jungs in den Freihantelraum. Zurück bleibt Schweiß auf dem Gerät.

03:34 Uhr. Ich bin wieder alleine. Hier, zwischen einem Bildschirm, auf dem Sportvideos laufen, und der Wasser-Auffüll-Station mit Geschmacksrichtungen von Ananas bis Erdbeere. Ich lege mich auf eine Bank und nicke neben einer Topfpflanze ein. Als ich wieder aufwache, ist das Erste, was ich rieche: Schweiß.

Sofia geht zwar nicht pumpen, aber tippt energisch auf Twitter.