Foto: lordnikon / Wikimedia
Heutzutage hat zwar kaum noch jemand Interesse an der „Teuro“-Panik, die Deutschland kurz nach der Euro-Einführung erfasste. Trotzdem hat die Idee, dass es Deutschland einfach besser gehen würde, wenn wir nicht mehr die gleiche Währung wie die dauerfaulenzenden Südeuropäer benutzen müssten, spätestens seit der Finanzkrise wieder ziemlich Konjunktur.
Da es leider vertragsrechtlich ziemlich schwierig ist, die Südeuropäer einfach aus der Währungsunion zu schmeißen, damit wir zusammen mit den Finnen und vielleicht noch den Holländern in einer superstabilen Währungsunion der blassen, fiskalpolitisch vorbildlichen Kleinsparer leben können, bleibt eigentlich nur eine Alternative: selbst zu gehen. Sollen sie doch sehen, wo sie bleiben, diese Pleite-Griechen!
Die Idee ist im Moment immerhin so beliebt, dass die AfD, die den Plan als zentralen Punkt in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat, mit bis zu 7 Prozent bei den Europawahlen am Sonntag rechnen kann. Wie ernst sie es damit wirklich meinen, bleibt natürlich dahingestellt. Wir haben uns die Frage aber trotzdem gestellt: Was würde passieren, wenn eine europaskeptische Partei in Deutschland genug Wählerstimmen erreicht, um den Euro-Austritt tatsächlich durchzuziehen?
Außerdem wir haben wir auch Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Gustav Horn gefragt, der das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung leitet. Dr. Horn hat sich freundlicherweise die Zeit genommen, das Szenario mit uns einmal durchzugehen.
VICE: Dr. Horn, was würde passieren, wenn Deutschland sich am Montag aus der Währungsunion verabschieden würde? Kostet nicht schon die Umstellung enorm viel Geld?
Professor Dr. Gustav Horn: Diese unmittelbaren Kosten würde ich erstmal als das geringste Problem ansehen. Kurz darauf würde jedenfalls die Neo-D-Mark, oder was auch immer, eine enorme Aufwertung am Devisenmarkt erfahren.
Warum?
Weil Deutschland im Moment das ökonomisch stärkste Land ist, das würde natürlich allen Anlage-Suchenden nach Deutschland hineintreiben. Zumal die restlichen Euroländer dann stärker verschuldet sind als Deutschland. Deutschland wäre ein sicherer Hafen, man würde deutsche Währung kaufen, also die D-Mark, und das würde sie gegenüber dem Euro aufwerten.
Mit was für einer Aufwertung würden Sie rechnen?
30 bis 50 Prozent Aufwertung bei der neuen deutschen Währung wären sicherlich realistisch.
Was würde aus den Schulden werden, die die anderen Länder bei uns haben?
Unsere Ansprüche würden wir natürlich in die neue Währung umrechnen. Durch die Aufwertung würden unsere Schuldner das natürlich erheblich teurer bezahlen müssen—und das würden sie nicht leisten können. Und deshalb würden wir sie auch nicht zurückbezahlt bekommen. Deutschland würde einmal schlagartig Vermögen verlieren, weil all die übrigen Länder, die Deutschland etwas schulden, diese Schulden nicht mehr bezahlen können würden. Die Ansprüche, die wir hätten, wären dann verloren. Oder sie bezahlen sie in Euro, dann hätten wir aber ein Drittel verloren. Das wäre der erste Effekt, und das würde zu starken Turbulenzen an den Finanzmärkten führen.
Was hätte die Aufwertung noch für Folgen?
Unsere Exporte würden sich dadurch entsprechend verteuern. Wir erleben ja heute schon, dass die deutsche Industrie anfängt, sich zu beklagen—dann würde sie wirklich Grund dafür haben. Eine Aufwertung von 30 bis 50 Prozent würde sicherlich unsere Exporte drastisch vermindern.
Würde das heißen, dass ein Mercedes dann bis zu 30 oder 50 Prozent mehr kostet, wenn man ihn in Frankreich kauft?
Genau. Bei sonst gleichbleibenden Bedingungen, und wenn die Unternehmen die Gewinne pro Stück gleich halten wollen, dann wäre der um 30 Prozent teurer, ja.
Was hätte das für Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft?
Die wäre natürlich insgesamt wieder wesentlich stärker anfällig für Wechselkursschwankungen, weil wir ja nur ein kleineres Gebiet in einer einheitlichen Währung hätten. Das heißt, wir müssten auch in der Zukunft genauer darauf achten, wie sich unsere Währung entwickelt. Und es ist damit zu rechnen, dass unser Außenhandel schwächer wird. Das würde zu Verlagerungen führen, weil Unternehmen dann entscheiden würden, auf Dauer die Produktionsstätten gleich ins Eurogebiet zu verlagern, weil das letztlich der größere Markt ist. Das würde also auch auf Dauer Industrie und Exportanteile kosten.
Deutschland ist im weltwirtschaftlichen Verbund schon eher ein mittleres Land, kein großes Land, und wir sind—wenn wir unseren Wohlstand halten wollen—sehr stark darauf angewiesen zu exportieren. Und die Exportbedingungen werden durch ein kleineres Währungsgebiet tendenziell verschlechtert.
Das heißt, deutsche Unternehmen wie VW oder Mercedes würden abwandern?
Ja, ich denke schon, dass das dazu führen würde, dass diese großen Unternehmen mehr Produktionsstätten außerhalb Deutschlands aufbauen würden. Irgendwo anders in Europa—und wenn Griechenland weiter so billig ist, dann vielleicht in Griechenland.
Das heißt, in Deutschland würde das Wirtschaftswachstum stagnieren.
Einbrechen, würde ich sagen, nicht stagnieren. Konkret würde passieren, dass wir einen Exporteinbruch hätten, dass wir damit einen Wachstumseinbruch hätten, und dadurch dann hohe Arbeitslosigkeit.
Was hätte das für Auswirkungen auf den Sozialstaat in Deutschland?
Wenn wir von den Exporten her unter Druck geraten und daraufhin Wachstumseinbrüche haben, dann haben wir natürlich auch Probleme mit der Finanzierung des Sozialstaates, der hängt da ja unmittelbar dran. Da würden die Menschen auch unter Druck geraten: Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen wären die unausweichliche Folge.
Wie lange würde das anhalten?
Ein, zwei Jahre würde das dauern, dann würde sich das sicherlich fangen. Aber ob es dann wieder auf alte Höhen gehen würde, ist eine offene Frage. Aber wenn man die lange Sicht nimmt, würde die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands außerhalb eines Euro-Raums schlechter sein als innerhalb des Euro-Raums.
Irgendwann würden deutsche Produkte dann aber auch wieder billiger werden. Würde dann nicht irgendwann wieder ein Gleichgewicht entstehen?
Ja, wenn sie wieder billig genug sind, dann würde ein Gleichgewicht in der Außenhandelsbilanz hergestellt, allerdings auf eine sehr brutale Art und Weise, die uns sehr schadet. Das ist ein sehr harter Weg.
Was würde mit der Partei passieren, die das durchgesetzt hat?
Schwer zu sagen. Zunächst würde diese Partei auf einer Woge der nationalen Erregung schwimmen. Wenn dann aber die Turbulenzen da wären, würde diese Partei dafür politisch teuer bezahlen.
Was würde währenddessen im Rest Europas passieren?
Auch dort würden die Turbulenzen erstmal Schäden anrichten. Auch diese Schuldenkrise, die damit verbunden wäre, würde die Länder sehr belasten. Gerade dadurch, dass deutsche Unternehmen ihren Standort verlagern, könnte es aber auf längere Sicht sogar sein, dass sie letztlich davon profitieren—wenn sie eine vernünftige Politik machen.
Heißt das, für den Rest Europas wäre ein Euro-Ausstieg Deutschlands positiv?
Nein, das schafft ja auch für Gesamteuropa mehr Unsicherheit, wenn das Währungsgebiet durch ein Ausscheiden Deutschlands kleiner wird. Das belastet auch die Exporteure in den anderen Ländern. Ich glaube nicht, dass Europa etwas davon zu gewinnen hätte. Davon profitieren vielleicht die Chinesen oder die Amerikaner, das wären sicherlich die Hauptprofiteure.
Das klingt so, als würde Deutschland im Moment vor allem vom Euro profitieren.
Ja, wir haben sicherlich vom Euro profitiert. Anders als andere Länder, die sehr durch die Zinsen profitiert haben, haben wir sehr von dem Markt profitiert, der sich uns damit durch sichere Art und Weise erschlossen hat. Die ganzen mit Wechselkursschwankungen verbundenen Unsicherheiten waren durch die einheitliche Währung beseitigt. Das würde alles zurückkehren.
Und nach fünf Jahren? Wie würde es in Deutschland aussehen?
Na ja, da wird es schon wieder einige Währungsschwankungen aus verschiedenen Gründen gegeben haben, das wird man in der Zwischenzeit erkannt haben, dass es doch ganz gut wäre, wenn man die wieder eindämmen könnte. Vielleicht überlegt man dann von vorne, ob man nicht wieder eine Währungsunion eingeht.
Würden die anderen uns denn wieder reinlassen?
Tja, das ist die Frage.