Wir haben es satt—Wollen wir Chlorhuhn essen?

Wenn man daran denkt, wie schwierig es ist, den stechenden Chlorgeruch nach ein paar Längen im Hallenbad wieder loszuwerden, muss es wohl genauso schwierig sein, den Geruch von einem Hühnchen zu schrubben. Genau das müssen vermutlich Lebensmittelproduzenten in den USA tun, nachdem sie ihr Geflügel in der Flüssigkeit gebadet haben.

Vielleicht ist Hallenbad-Hühnchen nicht so dein Ding. Was ja auch verständlich ist. Aber wie sieht’s mit Schwäbischen Spätzle aus Detroit aus? Oder vielleicht Käse, der vorgibt, aus einem kleinen Dorf in Frankreich zu sein, aber eigentlich in einer Fabrik im Mittleren Westen der USA stammt?

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Manche befürchten, dass die Realität bald so aussehen könnte, dank des kontroversen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). TTIP ist ein Freihandelsabkommen, das derzeit zwischen der EU und den USA geplant ist, größtenteils aber im Geheimen ausgehandelt wurde. Langsam werden die potentiellen Auswirkungen des Abkommens sichtbar und sorgen für Bedenken, dass Lebensmittel mit geschützter geografischer Angabe (g.g.A.) darunter leiden könnten und dass amerikanische Praktiken der Lebensmittelbranche nach Europa schwappen könnten.

Diese Bedenken sind nicht ganz unbegründet: Das Abkommen zielt darauf ab, den Handel zwischen den USA und Europa einfacher zu gestalten und im Grunde geschlossene Türen zu öffnen. Derzeit vertritt die EU eine sehr viel striktere und eindeutigere Position als die USA.

In Amerika setzen die Lebensmittelproduzenten Wachstumshormone, Pestizide und andere Zusatzstoffe ein, die in Europa verboten sind.

Momentan sind die Würfel noch nicht gefallen, aber es steht viel auf dem Spiel. Die Europäische Kommission gibt an, das Abkommen könnte für die EU einen Gewinn von bis zu 119 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.

Der deutsche Agrarminister Christian Schmidt argumentierte, dass möglicherweise auf die geschützte Herkunftsbezeichnung verzichtet werden müsse, wenn Europa mit den USA konkurrieren möchte. Er sagte zum Spiegel: „Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen.”

Mehr als 1.000 Lebensmittel sind derzeit mit einer geografischen geschützten Angabe versehen. Wenn das Transatlantische Freihandelsabkommen jedoch diesen rechtlichen Schutz schwächt, könnte das bedeuten, dass Produzenten in den USA vielleicht schon bald Spezialitäten fernab ihrer ursprünglichen Herkunftsorte herstellen könnten.

Auf Schmidts Kommentare hin lehnte die Europäische Kommission jedoch die Bedenken, dass geschützte Lebensmittel ihre Bezeichnungen in Europa einbüßen müssen, ab. „Bei diesen Diskussionen geht es um den Schutz europäischen intellektuellen Eigentums (geografische Angaben) in den Vereinigten Staaten, nicht darum, die Qualität der Lebensmittel in Europa zu verschlechtern”, sagte Jennifer Hutton, eine Pressesprecherin der Europäischen Kommission. „Den vorhandenen Schutz europäischer Produkte auf dem europäischen Markt zu schwächen ist ganz und gar nicht Thema dieser Debatte.”

Parmaschinken, Champagner und andere Spezialitäten werden also weiterhin geschützt bleiben, aber wie sieht es umgekehrt aus? Könnte das Transatlantische Freihandelsabkommen dafür sorgen, dass bald auch in Europa Pestizide, Wachstumshormone und andere Praktiken, die in den USA Standard sind, eingesetzt werden dürfen?

Nick Dearden, Direktor von World Development Movement, einer Organisation für soziale Gerechtigkeit, befürchtet, dass das der Fall sein wird. Er merkt an, während die Europäische Kommission sage, geografisch geschützte Lebensmittel wären nicht von den Veränderungen durch das Freihandelsabkommen betroffen, wollen Unternehmen in den USA genau diese Kompromisse erzielen.

„[Amerikanische Unternehmen] haben sehr klar zu verstehen gegeben, dass sie geschützte Lebensmittel sowie das Verbot von Gentechnik, mit Chlor gewaschenem Hähnchen und mit Hormonen vollgepumpten Rindern als ‚Handelsbarrieren’ betrachten. Genau darum geht es beim Transatlantischen Freihandelsabkommen—jede Art des Schutzes und der Regulierung im öffentlichen Interesse als ‚Barriere’ für noch größere Gewinne abzuschaffen”, sagt Dearden.

Dearden glaubt, dass die Lebensmittelqualitätsstandards trotz der Behauptungen der Europäischen Kommission früher oder später durch die beidseitige Anerkennung des TTIP sinken könnten. „Das passiert vielleicht nicht jetzt sofort”, sagt er, aber das Abkommen könne den Weg für zukünftige Veränderungen ebnen.

Das Institute of Agriculture and Policy (IATP), das analysiert, wie globale Handelsabkommen die Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik im Inland beeinflussen, hat sogar noch größere Bedenken: es zählt zehn Gründe auf, warum das TTIP schlecht für Europa ist—vom chlorbehandelten Hühnchen bis hin zur Aufhebung von gewissen Verpflichtungen bei gefrorenem Fast Food-Fleisch—und schreibt, „Agrarunternehmen auf beiden Seiten drängen darauf, Regulierungen aufzuheben, die ihre Profite zu Gunsten der Lebensmittelsicherheit, Bauern, Viehzüchtern, Konsumenten und des Tierschutzes eindämmen.”

Die tatsächlichen Auswirkungen des Transatlantischen Freihandelsabkommen bleiben jedoch ungewiss. Geschützte Lebensmittel könnten weiterhin geschützt und widerliche landwirtschaftliche Praktiken der USA weiterhin abgelehnt werden. Aber damit das TTIP funktioniert, sind Kompromisse wahrscheinlich. Wir sollten also darauf vorbereitet sein, dass gewisse Fragmente dieser in den USA anerkannten Methoden ihren Weg über den großen Teich nach Europa finden könnten.

Am Wochenende protestierten an die 50. 000 Menschen in Berlin gegen TTIP, Tierfabriken und Gentechnik. Wir haben es satt!