Drogen

Wir haben mit der Kifferin gesprochen, die wegen einer Insta-Story festgenommen wurde

cannabis instagram

Ein wenig beachtetes Berufsrisiko von Influencern ist, wie tief sie in ihrem Job fallen können. Solange alles läuft, schweben sie auf einer Wolke aus Likes und Follower-Liebe. Aber beim kleinsten Fehltritt ernten sie gnadenlos hämische Reaktionen. Wie sich das anfühlt, erlebt gerade eine 29-jährige Berlinerin.

Am Dienstag postete die Berliner Polizei eine Facebook-Meldung, in der sie von einer “Cannabis-#Influencerin” berichtet. Wie eine Episode aus “How to sell drugs online and get caught by the police (fast)?” sei das gewesen, was sich am Vortag abgespielt habe. In der “Pilotfolge des Formats aus Neukölln” sei eine 29-Jährige zu sehen gewesen, die “via Live-Video ihr Dope zum Kauf anbietet”. Die Polizei habe vom Livestreaming erfahren und sich eine richterliche “Zutrittserlaubnis für das ‘Film-Set’” verschafft. Dort beschlagnahmten Beamte laut dem Post über 300 Gramm zum Teil schon portioniertes Cannabis, Handels-Utensilien, Bargeld, Laptop, Tablet, Handys und einen Schlagring. Man habe die Frau wegen Betäubungsmittelhandels und Verstoßes gegen das Waffengesetz angezeigt. “Wir bezweifeln jedoch, dass das Format über die Pilotfolge hinaus fortgesetzt wird”, schließt die Polizei ihren Post ab. “Denn: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und wird es auch nie sein.”

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In der Kommentarspalte des Posts sammelte sich Häme für die 29-Jährige (“so blöd muss man auch erstmal sein”) und Lob für die Witze des Social-Media-Teams der Polizei (“Einfach Hammer wie Ihr das darstellt”). Zahlreiche Medien griffen die Vorlage auf. Sueddeutsche.de schrieb, die Frau werde sich wünschen, ihr Post wäre schlechter angekommen. Und Bild.de berichtete, eine “Berliner Dealerin verkauft Drogen per Instagram-live-Video”, nur um später “Berliner Dealerin” in “Frau” zu ändern – vielleicht, weil die erste Formulierung bei einem laufenden Ermittlungsverfahren einer Vorverurteilung gleichkäme.

Hier könnte diese Geschichte enden – außer man fragt die 29-Jährige, um die es hier geht, einfach mal selbst, was aus ihrer Sicht geschehen ist.

Nach ein paar Stunden Recherche haben wir eine Handynummer und einen Instagram-Account: @sonydaproblem420. Dort postet Sony seit zweieinhalb Jahren Fotos von dicken Grasblüten – #haze, #goodvibes, #weedporn, #cannabis. Am Telefon bestätigt sie, dass die Polizei bei ihr war. Aber sie erzählt eine andere Version der Ereignisse.

https://www.instagram.com/sonydaproblem420/?hl=de

“Ich stehe zu meinem Konsum”, sagt Sony am Telefon. Auf ihrem Account zeige sie nur Gras, das sie selbst konsumiere. Eine Dealerin sei sie nicht: “Ich habe in meiner Live-Story nichts angepriesen, dafür ist mein Profil nicht ausgerichtet. Da müsste ich ja schon sehr auf den Kopf gefallen sein.” Sie habe in der Story lediglich über Verbrennungen an Cannabis-Blüten gesprochen, die manchmal vorkommen, wenn die Pflanzen bei der Aufzucht zu nah an die Lampen kommen. Ein Erklärvideo, wie es Sony schon oft in ihren Stories veröffentlicht habe. “Mein Ziel ist es, mit meinen Videos Konsumenten aufzuklären, über THC und CBD.” Sie habe außerdem oft über Risiken beim Cannabis-Konsum gesprochen. “Mir ist natürlich bewusst, dass Minderjährige Zugang zu meinem Profil haben, deshalb habe ich davor gewarnt”, sagt Sony. Der Livestream, in dem Sony Gras angeboten haben soll, ist mittlerweile offline. Überprüfen lassen sich also weder Sonys Aussagen noch die Angaben der Polizei.

Instagram-Userin streitet die Dealer-Vorwürfe ab

Weil im Livestream einer ihrer 5.000 Follower kommentiert habe, “ich komme gleich vorbei”, werfe ihr die Polizei vor, Handel zu betreiben, sagt Sony. Ein Sprecher der Polizei Berlin sagt dagegen auf Anfrage, die Tatverdächtige habe laut den Ermittlungen im Live-Stream gesagt, wenn man etwas von dem Cannabis haben möchte, dann solle man sie anschreiben. Sony streitet das ab.


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Am Montag dann fing die Polizei Sony vor ihrem Haus in Neukölln ab und durchsuchte ihre Wohnung. Einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss habe man ihr nicht gezeigt, sagt sie. Weil die Beamten Druck auf sie ausgeübt hätten, habe sie sie trotzdem reingelassen.

Aber warum hatte sie 300 Gramm Gras zu Hause, ist das nicht etwas viel für Eigenbedarf?

Sony sagt, sie kiffe, um damit mehrere psychische Beschwerden zu behandeln. Ein Rezept habe sie dafür aber leider noch nicht. Und weil auf dem Schwarzmarkt so viel verunreinigtes Gras verkauft werde, habe sie einen Großeinkauf gemacht, als sie die Gelegenheit hatte, an hochqualitatives Cannabis zu kommen. Nur für sich und nicht zum Weiterverkauf, betont sie.

Aber warum postet sie dann ein Foto, auf dem Grasblüten verkaufsfertig in kleinen Plastikverpackungen zu sehen sind?

Das Foto habe sie nicht selbst gemacht, sie habe es nur gepostet, sagt Sony.

Und wie erklärt sie den Schlagring, die Handelsutensilien, von denen die Polizei spricht, und dass das Cannabis “zum Teil schon portioniert” gewesen sei?

Der Schlagring sei ein Geschenk gewesen, sie habe nicht gewusst, dass er verboten sei, sagt Sony. Und die Tütchen seien von der Mary-Jane-Cannabis-Messe gewesen, gefüllt mit harmloser Schokolade. Der Sprecher der Polizei sagt dagegen, man habe laut Asservatenprotokoll “49 Druckverschlussbeutel mit Cannabis” konfisziert, zusätzlich zu “300 Gramm losem Cannabis”.

Es gibt noch einen letzten Punkt an Sonys Profil, der die Ermittler auf sie aufmerksam gemacht haben könnte. Zwei kleine Elektrostecker-Symbole in ihrer Instagram-Bio. Die englische Übersetzung für Stecker, Plug, gilt auch als Slangbegriff für Dealer. Ist das nicht ziemlich eindeutig?

“Es gibt viele Übersetzungen für diesen Begriff”, sagt Sony. “Für mich steht er nicht für ‘Dealer’, sondern für jemanden, der dich über Weed informiert.”

In Zukunft würde sie anders handeln, sagt Sony

Fünf Stunden habe sie in einer Zelle auf einer Polizeiwache verbracht, sagt Sony, dann habe sie gehen dürfen. Die Strafanzeigen wegen Betäubungsmittelhandels und Verstoßes gegen das Waffengesetz, von der die Polizei in ihrem Post spricht, habe sie selbst noch nicht erhalten. Stattdessen sei ihr Vermieter von dem Einsatz informiert worden und wolle sie jetzt aus der Wohnung werfen. Ein Hausmeister habe versucht, sich Zutritt zu ihrer Wohnung zu verschaffen, sie habe ihn wegen Hausfriedensbruchs angezeigt.

“Ich habe viele Fehler begangen”, sagt Sony. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass andere Menschen ihren Account so missinterpretieren könnten. Solche Mengen Gras würde sie sich auch nicht mehr besorgen. Der Account wurde inzwischen auf privat gestellt, die Stecker-Symbole sind aus der Bio gelöscht.

Der Facebook-Post der Berliner Polizei zu dem Fall wurde beim Erscheinen dieses Artikels über 1.000 Mal gelikt und mehr als 200 Mal kommentiert. Wahrscheinlich auch wegen der Gags auf Kosten der Beschuldigten. Ein Sprecher des Social-Media-Teams der Polizei Berlin sagt am Telefon dazu: “Wir machen das nicht oft, aber manchmal eben schon, dass wir diese zielgruppenorientierten Posts absetzen. Durchaus auch mit Humor.”

Dieser Humor dürfte auch dazu beigetragen haben, dass sich viele Userinnen und User schnell einig waren, welches Urteil sie in diesem Fall zu fällen haben. Dabei ist das eigentlich die Aufgabe eines Gerichts.

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