Wir haben mit einem Reichsbürger gesprochen, dessen “Königreich” gerade geräumt wurde

Martin Freiherr von Schulz steht in den Trümmern des “Königreichs von Deutschland”. Der Reichsbürger ist auf dem geräumten Krankenhausgelände in Wittenberg, auf dem sein Fantasie-Staat bis gestern zu Hause war. “Ach du Scheiße!”, sagt er am Telefon. “Was die hier aufgebrochen haben! Das waren richtig teure Krankenhaustüren.” Am Montagmittag hatte die Polizei das selbsternannte “Königreich Deutschland” in Sachsen-Anhalt zwangsgeräumt, die Bewohner mussten das Areal verlassen. Am Tag danach sind Martin Schulz, wie er eigentlich heißt – zufälligerweise wie der Kanzlerkandidat –, und sechs weitere Reichsbürger zurückgekommen, um die Reste ihres Fantasie-Staates einzusammeln.

Das “Königreich Deutschland” war eine wirre Idee. 2012 hatte der selbsternannte “König von Deutschland”, Peter Fitzek, mitten in der Bundesrepublik eine Monarchie ausgerufen, mit eigener Währung, Gesetzen und Pässen. Mittlerweile sitzt der 51-Jährige in Haft, weil er Gelder seiner Anhänger veruntreut haben soll, angeblich 1,3 Millionen Euro. Fitzeks Untertanen blieben bis zuletzt auf dem Gelände wohnen. Sie nennen sich selbst nicht so, werden aber der Reichsbürger-Bewegung zugerechnet.

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“Reichsbürger” nennt man die Leute, die ernsthaft davon überzeugt sind, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiert – obwohl sie in ihr leben. Manche glauben, dass das Deutsche Reich nie aufgehört hat zu existieren, andere, dass die “BRD GmbH” nur eine riesige Firma sei, in der wir alle ausgebeutet werden, wahrscheinlich von den Juden. Am Montag hat nun das “Königreich von Deutschland” sein Territorium verloren. Der Verwalter des Geländes hatte vor dem Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt und ließ einen Gerichtsvollzieher und 100 Polizisten anrücken. “Die Räumung verlief friedlich”, sagte ein Polizeisprecher zu VICE, die 15 Anwesenden hätten das Areal ohne Widerstand verlassen.

Martin Schulz sieht das ein bisschen anders. “Die haben mit Rammböcken alle Türen aufgebrochen, unsere Sachen kaputt gemacht, Bilder von den Wänden gerissen”, erzählt er am Telefon, während er sein bisheriges Zuhause begeht. “Ich dachte, die Unverletzlichkeit der Wohnung zählt noch etwas in Deutschland!” In diesem Fall scheint er sich dann doch nach den Regeln und der Existenz der Bundesrepublik zu sehnen.

Die meisten Reichsbürger erkennen die Institutionen der BRD nicht an, und zwar von der Führerscheinstelle bis zur Polizei. Die meisten beschränken sich darauf, die Behörden mit endlosen Traktaten zu terrorisieren. Aber seit ein Reichsbürger im letzten Oktober in Bayern einen SEK-Beamten erschossen hat, versteht der Verfassungsschutz da deutlich weniger Spaß.

“Wir sind friedliche Aktivisten”, versichert der Königstreue Martin Schulz. “Wir wollen eine neue Ordnung aufbauen, unter Achtung der bisherigen Ordnung.” Der Freiherr war laut der Homepage des Königsreichs für die “Gerechtigkeitsabteilung & Verwaltung” zuständig. Oder ist es noch? Ist das “Königreich von Deutschland” nun endgültig ein Teil der selbstgeschrieben Geschichte?

“Wir werden uns neu organisieren”, kündigt Schulz an und klingt fast wie sein Namensvetter nach einer Wahlniederlage. “Wir werden ein neues, faireres Bildungs-, Gesundheits- und Finanzsystem aufbauen.”

Das wird jetzt zumindest schwieriger. 25 bis 30 Königskinder, wie sie die Lokalpresse nennt, gebe es noch, berichtet Schulz. “Wir sind in der ersten Nacht bei Bekannten untergekommen und haben in einem großen Raum auf Matratzen geschlafen.” Einige wollten bei Gleichgesinnten in Berlin übernachten, wo es mehr als 400 Reichsbürger geben soll. Immerhin gestattete der neue Eigentümer des Geländes den Reichsbürgern ihre zurückgelassenen Privatsachen zu holen. “Einige hatten nicht einmal Wechselsachen und Zahnbürste dabei”, sagt Schulz.

Der neue Besitzer des Königreichs ist ein Gemüseproduzent. Er will in dem ehemaligen Krankenhaus Erntehelfer einquartieren, die am Montag schon einziehen sollten. Spinte und Matratzen sind schon aufgebaut, aber gesehen hat Martin Schulz die neuen Bewohner noch nicht. “Die armen Gastarbeiter können einem leidtun”, sagt er beim Anblick der demolierten Unterkunft.

Und das Königreich? “Ohne Hilfe von Außen, ohne Spenden geht es nicht weiter”, sagt Schulz. Der 30-jährige frühere Zeitsoldat hat seit sieben Jahren für das Königreich Deutschland gearbeitet, sagt er, einen richtigen Job habe er nicht. Mit seinem König Peter Fitzek habe er nur über dessen Freundin Kontakt, im Gefängnis darf er ihn nicht besuchen. “Ich werde nicht zu ihm vorgelassen, weil ich keinen deutschen Ausweis mehr habe”, klagt er. Auch Schulz warf die Bundesfinanzaufsicht Verwicklungen in Fitzeks Geschäfte vor. “Ich besitze nur, was ich zum Leben benötige”, beteuert der Freiherr.

“Xavier Naidoo will Menschen zusammenbringen, das verbindet uns.”

Könnte Xavier Naidoo nicht für den Erhalt des Königreichs spenden? Mit dem Sänger habe er nichts zu tun, versichert Schulz. “Ich würde ihn gerne mal treffen, ich mag seine älteren Lieder”, sagt er. “Er will Menschen zusammenbringen, das verbindet uns.”

Aber wie viele Menschen bringt das Königreich noch zusammen? Ist es nicht an der Zeit, aufzugeben – ohne König, ohne Territorium? Vier Wochen haben die Reichsbürger nun, um ihre Sachen abzuholen. Wo geht es dann hin? “Ich bin ein positiver Mensch, wir haben eine gute Truppe”, sagt Martin Freiherr von Schulz. “Das Königreich von Deutschland ist nicht tot, wir machen weiter. Was sollen wir denn sonst machen?”

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