Man nehme Sonnenlicht, Kohlendioxid aus der Luft, ein paar Nährstoffe und gefräßige Mikroben und – voilà – schon hat man ein komplett nachhaltiges Nahrungsmittel geschaffen, das gleichzeitig das Klima entlasten und den Welthunger lindern soll. Was fast schon utopisch klingt, ist Forschern des Technischen Forschungszentrums Finnland (VTT) und Technischen Universität in Lappeenranta gelungen. Sie haben ein essbares Protein aus erneuerbaren Energien hergestellt – und das emissionsfrei.
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Die Forschung ist Teil des Neo-Carbon Energy Projekts, das teilweise aus dem finnischen Innovations-Fonds Tekes finanziert wird. Dieses sieht vor, dass Finnland bis 2030 ein System aus erneuerbarer Energie installiert hat, dass das ganze Land mit sauberem Strom aus Solar- und Windkraft, sowie Wasserstoff als Kraftstoff versorgt. Die Herstellung des Proteins ist unter dem Sammelbegriff Neo-Carbon-Food ein Forschungsprojekt von vielen, die sich mit der nachhaltigen Verwertung von Kohlendioxid beschäftigen – dem größten Verursacher des Treibhauseffekts.
Emissionsfrei ein Lebensmittel herstellen: Wie funktioniert der Trick?
Forschungsleiter Juha-Pekka Pitkänen vergleicht den Herstellungsprozess mit dem Bierbrauen. Dabei zersetzen Enzyme Malzstärke in Zucker, der später von der Hefe in Ethanol umgewandelt wird. Im Gegensatz dazu ernähren sich die Einzeller bei der Herstellung des Neo-Carbon-Foods von Kohlenstoffdioxid in der Luft.
“Wir züchten einzellige Organismen, die CO2 als Kohlenstoffquelle und Wasserstoff als Energiequelle nutzen.”, erklärt Pitkänen gegenüber Motherboard. Diese beiden Stoffe können die Einzeller in Nahrung für Tieren und Menschen umwandeln. Als Art “Düngemittel” geben die Wissenschaftler noch Ammoniumsulfat und andere anorganische Nährstoffe wie Phosphor hinzu, ergänzt Pitkänen. Am Ende des Prozesses entsteht eine essbare, pulverförmige Biomasse, die zu 50 Prozent aus Proteinen, 25 Prozent Kohlenhydraten und einem Rest aus Fetten und Nukleinsäuren besteht.
Im Gegensatz zu herkömmlicher Landwirtschaft braucht man für die Herstellung des Proteins weder fruchtbaren Boden, Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung, noch irgendeine bestimmte Lufttemperatur- oder feuchtigkeit. Das Protein wird vollständig im Labor hergestellt.
Landwirtschaft ist in Deutschland durch Düngemittel und Umwandlung von Grünlandflächen in Ackerflächen der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen, wie das Bundesumweltamt schreibt. Die Herstellung des Proteins ist dagegen komplett nachhaltig. “Ein negativer Einfluss auf die Umwelt wie Grundwasserverunreinigung oder Treibhausgase können ausgeschlossen werden”, wird Pitkänen in einer Pressemitteilung zitiert. Den benötigten Wasserstoff gewinnen er und sein Team aus Solarenergie und der anschließenden Elektrolyse von Wasser. Dabei wird die produzierte Elektrizität genutzt, um Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten.
Das Projekt befindet sich noch am Anfang einer zunächst vierjährigen Forschungsphase. Ein Gramm des Proteins im Labor herzustellen, dauert daher noch zwei Wochen. Bis das Produkt als neues, hippes Nahrungsmittel in den Supermärkten steht, werden also noch ein paar Jahre vergehen. “Das Ziel ist es, ein Produkt für den Massenmarkt zu entwickeln. Sobald die Technologie weiter verbreitet ist, wird auch der Preis fallen,” sagt Pitkänen. Ein Kilogramm würde aktuell etwa viereinhalb Euro kosten. Um mit den Produktionskosten von Nutzpflanzen wie Soja mithalten zu können, müsste dieser Preis auf zwei oder einen Euro pro Kilogramm fallen.
Wann das genau sein wird, kann Pitkänen noch nicht sagen. Das hänge vor allem auch davon ab, ob die Wirtschaft bereit ist, in so ein Projekt zu investieren. Das Ziel sei es, in einigen Jahren täglich fünf Kilogramm der Biomasse produzieren zu können. Dann könne erst richtig begonnen werden, ein Lebensmittel zu entwickeln, das auch schmeckt.
Wie schmeckt das Ganze jetzt?
Mikrobielle Biomasse klingt nicht gerade nach etwas, das man gerne zum Frühstück essen würde. Laut Pitkänen ist die Zellmasse geruchs- und geschmacksneutral. “Es muss noch viel Arbeit getan werden, um ein wirkliches Produkt wie Tofu oder Quorn daraus zu machen.”, gibt er zu. Dazu kommen außerdem die regulatorischen Hürden der Lebensmittelverordnungen.
“Alle Rohstoffe sind in der Luft verfügbar.”
Trotzdem glaubt er an das Produkt. Neo-Carbon-Food soll irgendwann von Hungersnot betroffene Gebiete mit nachhaltiger Nahrung versorgen können, denn “in der Praxis sind alle Rohstoffe in der Luft verfügbar. Man müsste nur noch die Technologie exportieren”, so Pitkänen. In fernerer Zukunft könnte sogar jedes Haus einen eigenen Reaktor haben, der Proteine für den Hausgebrauch produzieren kann. Ob Menschen dann bereit sind, ihr Steak gegen den Eiweiß-Brei einzutauschen, ist allerdings fraglich.
Tiere sind da schon weitaus weniger wählerisch. Für den Anbau von Futtermitteln werden aktuell riesige Ackerflächen benötigt. In Europa enden 60 Prozent des angebauten Getreides als Tiernahrung. Ein Teil davon könnte durch die Protein-Biomasse ersetzt werden. Landwirtschaftliche Flächen, auf denen heute Futtermittel angebaut werden, ließen sich wieder für die Aufforstung nutzen, was die Welt den Klimazielen ein Stück näher bringen würde.