Menschen

Wir haben Neets gefragt, was sie den ganzen Tag machen

Collage of the painting "The Creation of Adam", but with modern accessories such as sunglasses, a laptop and a game controller and a cap.

“Die Gen Z will am liebsten gar nicht mehr arbeiten.” Mit solchem Gebrabbel werden wir alle spätestens an Weihnachten wieder konfrontiert, wenn Onkel Ulf nach zwei Gläsern Eierlikör in Schimpflaune gerät. Onkel Ulf redet natürlich Unsinn. Dennoch gibt es junge Menschen, die keine Ausbildung machen, nicht studieren und keiner Arbeit nachgehen. Sie werden Neets genannt. Das ist ein Akronym für: Not in Education, Employment or Training. Sie sind zwar gesund, könnten arbeiten oder lernen, entscheiden sich aber dagegen und tun stattdessen: nichts. 

Die Zahl der Neets in Deutschland stieg während der Pandemiejahre von 9,3 Prozent im Jahr 2019 auf 10,8 Prozent im Jahr 2020 und dann auf 10,9 Prozent im Folgejahr 2021. Das EU-Statistikamt Eurostat bezieht sich dabei auf 15- bis 35-Jährige, also nicht nur auf die Gen Z. Andere Statistiken zählen zu den Neets nur Menschen unter 25.

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Seit dem Ende der Pandemie und seitdem es wieder einfacher ist, eine Ausbildung zu machen, zu studieren oder zu arbeiten, gibt es wieder weniger Neets: Im Jahr 2022 waren es nur noch 10 Prozent. Ihr könnt Onkel Ulf also immerhin ein bisschen besänftigen: Die Zahl der Neets schrumpft gerade.

Aber wie verbringen Neets denn nun wirklich ihre Zeit? Schlafen sie nur, wenn sie nicht gerade kiffen? Und könnte es sogar gute Gründe für das Neet-Dasein geben, die nur nicht in unsere gesellschaftlichen Vorstellungen eines vermeintlich “anständigen” Lebens passen? Wir haben einige Neets gefragt. 


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David, 24: “Wenn ich so weitermache, reicht mein finanzieller Puffer noch für etwa fünf Jahre”

Ich habe nach meinem Fachabitur ein Studium im IT-Bereich angefangen und schnell gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich ist. Das Studium war überhaupt nicht praxisnah, außerdem zu hart und gleichzeitig zu langweilig. Während des Studiums ist mein Vater verstorben und durch sein Erbe konnte ich es mir leisten, erst einmal über alles nachzudenken. Das war 2018, also vor fünf Jahren. Seitdem überlege ich, welcher Weg der richtige für mich ist. In der Zwischenzeit genieße ich meine Freizeit und programmiere immer noch sehr viel, aber eben ohne Zwang. Viele Menschen kommen mit meiner Entscheidung nicht klar und raten mir ungefragt, jetzt doch mal irgendwas zu machen. Manchmal verunsichert mich das, aber ich versuche, das so wenig wie möglich an mich ranzulassen. Ich bin glücklich, so wie es ist. Ich lebe ja nicht im Luxus, sondern wohne noch zu Hause. Wenn ich so weitermache, reicht mein finanzieller Puffer noch für etwa fünf Jahre, schätze ich. Bis dahin weiß ich hoffentlich, wie ich weitermachen will. 

Leonie, 22: “Sie sehen die emotionalen Gründe hinter meiner Entscheidung nicht”

Ich habe in der neunten Klasse ohne Abschluss die Schule abgebrochen, weil ich ziemlich heftig gemobbt wurde. Seitdem habe ich alle möglichen Jobs ausprobiert: Ich war im Social-Media-Management, habe eine Ausbildung zur Tierpflegerin angefangen und abgebrochen, ich war in der Gastronomie, habe geputzt und war Postbotin. Bei all den Jobs wurde ich menschlich schlecht behandelt. Die Jobs haben mir aber auch weder wirklich gefallen noch waren sie erfüllend. Ich kam mir vor wie eine Marionette, die immer nur machen muss, was ihr aufgetragen wird, ohne selbst mitentscheiden zu können. Heute lebe ich mit meinem kleinen Hund in einer 1,5-Zimmerwohnung und nutze etwa 40 Prozent meiner Zeit dafür, meine Persönlichkeit weiterzuentwickeln. In den anderen 60 Prozent der Zeit absolviere ich Online-Kurse, um mehr Wissen anzuhäufen. In meinem Umfeld interessiert es die anderen nicht so sehr, wer was beruflich macht. Es ist auch nicht ungewöhnlich, gar nichts zu machen. Ich denke, dass sich viele Menschen erst einmal finden müssen, bevor sie ins Berufsleben einsteigen. Deshalb bin ich erstmal zu Hause geblieben.

Ich finanziere mein Leben derzeit durch Bürgergeld, was ich aber nicht gerne beziehe. Wenn es nach mir ginge, würde ich auf sechs Quadratmetern in einem kleinen Garten leben und mich selbst versorgen. Ich glaube, das wäre auch für meine mentale Gesundheit besser als meine Wohnung in einem Block mitten an einer Hauptstraße. 

Wenn ich neue Menschen kennenlerne, ist mir meine Situation manchmal peinlich. Die erzählen mir dann, was für coole Sachen sie alle schon gemacht und was sie erreicht haben. Dann kommt die Gegenfrage und ich muss mich rechtfertigen. Ich glaube, die sehen die emotionalen Gründe hinter meiner Entscheidung nicht und haben deshalb kein Verständnis. Aber ich werde bestimmt nicht für immer nichts machen. Später möchte ich Menschen coachen und bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung helfen. Ich möchte außerdem mehr in den Bereich Content-Creation eintauchen. 

Celina, 25: “Ich strahle immer total, wenn ich von meinem Leben und meiner Freizeit erzähle”

Ich habe mein Abitur gemacht und bin an der Uni eingeschrieben, ich studiere aber nicht. Über das BAföG und mein Kindergeld finanziere ich mein WG-Zimmer und mein Leben. Manchmal reicht das Geld aber nicht aus. Dann arbeite ich, wie zum Beispiel letztes Jahr, auf einem Weihnachtsmarkt. Da hatte ich einen eigenen Stand, an dem ich vegane Burger verkauft habe. 

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich wohl wegen des deutschen Schulsystems ein Neet geworden. Das hat nicht unbedingt meine Stärken gefördert: Ich bin sehr kreativ, habe aber eine Rechtschreibschwäche. Und gute Rechtschreibung ist in der Schule nun mal wichtiger. Nach dem Abitur hatte ich das Gefühl, gar nichts zu können. Deswegen habe ich mir danach erstmal Zeit genommen, um wieder zu mir zu finden. Wegen dieses schlechten Gefühls, das mir die Schule vermittelt hatte, wollte ich erstmal kein Studium beginnen. Mit meiner Abiturnote wäre ich auch gar nicht in den Studiengang gekommen, der mich interessiert hätte.

Ein Studium hätte meinem Leben Struktur gegeben. Es fällt mir manchmal schwer, meinen Tag selbst einzuteilen, ohne Termine von außen. Mittlerweile habe ich mir aber einen ganz guten Tagesablauf erarbeitet: Ich stehe morgens gegen 6 Uhr auf, mache Yoga und versuche dann, mich mental weiterzuentwickeln. Ich denke, dass es wichtig ist, sich mit seiner Psyche auseinanderzusetzen, um weiterzukommen. Trotz meiner Tagesstruktur sind meine Eltern keine Fans meines Lebensstils. Die haben mich schon abgeschrieben und denken, dass aus mir eh nichts mehr wird, dass ich eine Schmarotzerin bin. Gleichzeitig beneiden mich viele Gleichaltrige. Ich glaube, ich strahle immer total, wenn ich von meinem Leben und meiner Freizeit erzähle. Die merken dann vielleicht, dass sie sich mit ihrem Studium nicht zu 100 Prozent selbst verwirklichen. 

Lukas, 21: “Ich wurde nicht wie ein Mensch behandelt, sondern wie ein Werkzeug”

Ich mache seit etwa einem Jahr nichts. Nach meinem Realschulabschluss begann ich im Lager eines Autoherstellers eine Ausbildung. Die war aber so schlimm, dass ich abbrechen musste. Ich wurde dort gar nicht wie ein Mensch behandelt, sondern eher wie ein Werkzeug, das man einfach austauschen kann. Als ich in der Hochphase der Pandemie selbst an Covid erkrankt war, musste ich mehrfach erklären, warum ich mich krankgemeldet habe und nicht bei der Arbeit bin. Ich wurde nicht wertgeschätzt. Außerdem durfte ich nie Pause machen und habe kein einziges Danke bekommen. 

Ich wohne mit meiner Freundin auf einer eigenen Etage in der Wohnung meines Ziehvaters. Deshalb habe ich keine hohen Ausgaben. Mit meinem Ziehvater möchte ich in ein bis zwei Jahren ein eigenes Unternehmen gründen. Wir wollen Autos aus dem Ausland kaufen und dann so reparieren, dass sie hier in Deutschland fahrtüchtig sind. Ich denke, dass wir damit erfolgreich werden können und ich mache mir deswegen nicht so viele Sorgen um meine Zukunft. Meine älteren Verwandten sprechen mich aber immer wieder auf meine Rente an. Die erzählen mir auch, was sie in meinem Alter beruflich schon alles hinter sich hatten. Mein Ziehvater wusste aber selbst lange nicht, was er machen möchte und versteht mich deswegen. 

Mathilde, 18: “Meine Eltern stempeln mich als faul ab”

Ich habe vor zwei Jahren meinen Realschulabschluss gemacht und mache seitdem eine Pause. Ich wohne noch bei meinen Eltern, deshalb geht das finanziell. Nach der Schule dachte ich, dass ich noch früh genug ins Arbeitsleben muss und dann nie wieder so eine Freizeit haben kann wie jetzt. Mein Umfeld reagiert nicht so gut darauf, dass ich gerade “nichts” mache. Vor allem meine Eltern stempeln mich als faul ab. Die fühlen sich in dem Klischee bestätigt, dass die Gen Z nicht arbeiten möchte. Deshalb ist es mir vor anderen auch ein bisschen peinlich zuzugeben, dass ich gerade keinen Job oder eine Ausbildung habe. Das wird gesellschaftlich nicht so gerne gesehen. Ich mache aber gar nicht “nichts”: Ich treffe mich mit Freunden und arbeite privat kreativ. Zwischendurch sehe ich mich auch nach Ausbildungsplätzen um. Ich möchte ja nicht für immer nichts machen, aber gerade tut mir die Pause gut. Ich denke generell, dass sich viel mehr Menschen nach der Schule erst einmal Zeit für sich und ihre Psyche nehmen sollten.

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