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Wir haben uns ‘Gossip Girl’ nach 10 Jahren noch einmal angesehen

Achtung, dieser Artikel enthält Spoiler. Falls ihr bis heute nicht wisst, wer Gossip Girl ist, habt ihr es aber auch nicht anders verdient.


Im Jahr 2007 wurde Gossip Girl erstausgestrahlt. Lasst diese Information erst einmal wirken und denkt an diese unbeschwerte Zeit zurück, als die No Angels gerade ihr Comeback feierten und Trump noch nicht mehr war als ein verrückter Millionär, der bei der WrestleMania auftritt.

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In diesem Jahr traten auch die superreichen Teens (wie für US-Serien üblich gespielt von 27-jährigen Erwachsenen) Serena, Blair, Chuck, Nate und Dan in unser Leben – und alle serienschauenden Jugendlichen dieser Welt stellten sich die Frage, wer diese beschissene Bloggerin und “One and Only Source Into the Scandalous Lives of Manhattan’s Elite” war.

War es Dorota, Blairs Haushälterin und heimliche Sympathieträgerin? War es Eric Van der Woodsen, einer der wenigen eher netten Menschen und der wichtigste Repräsentant der LGBTQ-Community in dieser sonst so heteronormativen Serie? Oder war es doch die böse Georgina? Spoiler: Nein, sie waren es alle nicht.

Ab irgendeinem Punkt scheinen die Menschen, die sich dieses bizarre, sechs qualvolle Staffeln lange Konstrukt aus Quasi-Inzest, geheimen Geschwister-Geschichten, falschen Cousinen-Dramen, Hotels mit 17-jährigen Besitzern und Maskenbällen, bei denen garantiert irgendjemand unter Drogen gesetzt oder öffentlich blamiert wurde, jegliche Logik über Bord geworfen zu haben.


Auch einen Bingewatching-Marathon wert:


Denn: Dan fucking Humphrey, der einsame Junge aus Brooklyn, entpuppt sich in der letzten Staffel als Gossip Girl. Und nein, wir wissen auch nicht, warum ein Mensch es sich zum geheimen Nebenjob machen sollte, ständig das eigene Leben und das seiner Freunde und Familie kurzfristig zu zerstören. Wir wissen nur eins: Die Gossip-Girl-Catchphrase “You Know You Love me” war mit dieser letzten Enthüllung obsolet. Denn wir hassen und verfluchen dich, Daniel Randolph Humphrey.

Über die Jahre, in denen ich die Serie über zweifelhafte Streams, die mich regelmäßig darüber informierten, dass geile Hausfrauen in meiner Nähe auf meine Nachricht warteten, geschaut hatte, war ich ein großer Fan geworden. Ich wusste es nicht besser. Während eines New-York-Urlaubs habe ich sogar Schauplätze der Serie besucht – Asche auf mein Haupt.

Die drängende Frage, ob tatsächlich ein Motorrad in Chuck Bass’ Empire-Suite steht, kann ich euch leider trotzdem nicht beantworten. Die Frage, wie es war, die Serie vor kurzem noch einmal zu bingewatchen, jedoch schon.

Jede Serie über reiche Kids braucht eine Serena

Alles beginnt mit Serena Van der Woodsen: ein bisschen naiv, ein bisschen reich und ein bisschen Porno-Name. Sie ist das unerreichbare Rich Girl von der Upper East Side und trägt zur Schule Flechtfrisuren, für die man wahrscheinlich mehrere Stylistinnen braucht.

In Serenas Leben treten früher oder später so ziemlich alle vorstellbaren und auch eigentlich unmöglichen Szenarien ein, denn sie ist diese eine Figur, die sich alles erlauben kann. Was Marissa Cooper für Orange County ist, ist Serena für Gossip Girl: Die wunderschöne Blondine, der niemand lange böse sein kann, weil sie weiß, wie man Menschen um den Finger wickelt und sich mit gekonntem Name-dropping aus schwierigen Situationen befreit.

Sie baut durchgehend Scheiße, was natürlich gut für die Storyline, aber schlecht für das Seelenheil der Zuseher ist, und leidet eigentlich permanent. Und das, obwohl sie so verdammt überprivilegiert ist, dass man ab irgendeinem Punkt nur noch einen Drohbrief mit zusammengeklebten Buchstaben, die “Check Your Privilege!!1!” ergeben, an die Produktionsfirma schicken will.

Serena hat quasi einen Typen ermordet, einen unschuldigen Mann ins Gefängnis gebracht, alles und jeden verraten, der jemals nett zu ihr war, viel zu viele Drogen genommen und ihren verrückten Vater bei seiner Flucht unterstützt. Sie kauft Typen beim Pokerspielen im Hinterhof von ihren Schulden frei, bevor sie auf eine Bohrinsel geschickt werden, verliebt sich in ihren Uni-Dozenten – und dann wäre da noch ihre semi-inzestuöse-Clusterfuck-Beziehung mit Dan: Die beiden verlieben sich, sind plötzlich aber irgendwie miteinander verwandt und haben einen gemeinsamen Bruder. Am Ende heiraten sie einfach trotzdem, was vermutlich die moderne Version von “Liebe kennt keine Grenzen” sein soll. Ich hoffe jedenfalls, die beiden sind mittlerweile wieder geschieden.


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Brooklyn – oder: was sich Superreiche unter “Armut” vorstellen

Serenas Freund/Bruder/Ehemann Dan hingegen ist unter den besten Voraussetzungen aufgewachsen, um ein guter, langweiliger, netter Mensch wie du und ich zu werden. Er stammt aus Brooklyn, was in der stets Serie betont wird, als wäre es ein Slum am Rande Rio de Janeiros. Er ist ein bisschen ärmer als die anderen, dafür aber auch ein bisschen schlauer. Sein Vater Rufus ist ein gealterter Rockstar, der einfach nur noch im Reinen mit der Welt sein möchte, seine Mutter hat die Familie verlassen.

Bei all dieser Basicness: Irgendetwas muss im Leben der Humphreys vorgefallen sein, denn Dan und Jenny wurden irgendwann beide zu intriganten Arschlöchern, die einfach alles taten, um zu einer Gruppe von Menschen dazuzugehören, die eigentlich allesamt ziemlich scheiße waren. Keine Ahnung, was letzten Endes der Grund dafür war: Das fehlende Geld, das dann aber doch genug war, um in einem riesigen, wunderschönen Loft in Brooklyn zu leben? Die nette Erziehung? Oder die Tatsache, dass das einzige Gericht, das Rufus je für seine Kinder gekocht hat, Waffeln sind?

Fest steht nur: Dan war von Anfang an Gossip Girl. War ihm eigentlich klar, was er damit angerichtet hat? Gossip Girl ist eine Serie, in der es um Mobbing geht. Mobbing an Schulen, Mobbing in Unis, Mobbing auf Pyjamapartys von Blair Waldorf.

Mobbing, Slutshaming und die große Langeweile

Es geht in der Serie darum, andere anzuschwärzen, um Slutshaming, wenn ein Mädchen beim Schmusen “gespotted” wurde oder Peinlichkeiten vor allen auszubreiten. Die Figuren der Serie hatten alles, was sie sich wünschten, und waren letzten Endes so gelangweilt davon, dass sie sich gegenseitig mit Bösartigkeiten bei Laune hielten. Dinge wie Mobbing und Slutshaming gibt es natürlich auch ohne Gossip Girl. Aber mit Gossip Girl gab es eine Plattform, auf der das alles erwünscht war – und eine Serie, die uns das alles sechs Staffeln lang als OK und sogar ein bisschen cool verkauft hat. Eine Frage drängt sich außerdem auf. Hat Gossip Girl eigentlich Social Media erfunden und den Weg für Facebook-Stalking, Revenge-Porn und Fakeprofile geebnet? Ist Dan Humphrey die sinnbildliche Soap-Version von Mark Zuckerberg?

Wenn wir schon beim Thema Mobbing sind: Blair Waldorf ist die geborene Mobberin. Sie fühlt sich jeder und jedem überlegen und hat das “You can’t sit with us”-Mindset aus Girls Club doch ein bisschen zu sehr verinnerlicht. Sie wünscht sich eine moderne Monarchie, in der sie diktiert, wer cool und wer uncool ist und ob Haarreifen gerade gehen oder total out sind und alle um sie herum befolgen ihre Anweisungen dankbar.

Blairs Rolle finde ich beim erneuten Ansehen besonders schlimm: Sie ist eine dieser Frauen, die ihre vermeintliche Macht dazu nutzen, um andere fertig zu machen. Frauensolidarität, Hilfsbereitschaft und Nettigkeit sind für Blair Fremdwörter. Noch schlimmer als diese Tatsache ist nur, dass alle “Untergeben” und “Zofen” Blairs Leben äußerst erstrebenswert finden – und genau das wird auch den Zusehern vermittelt.

Viel von dem, was sich Chuck gegenüber Frauen leistet, wirkte damals dank der Darstellung in der Serie völlig normal.

Mit Chuck befindet sich Blair in der dramatischsten und vielleicht toxischsten Beziehung aller Zeiten, die ständig zur “großen Liebe” hochstilisiert wird und sich fast ausschließlich über Machtkämpfe und absurde Spielchen definiert – und für Zuseher mindestens so belastend ist wie Chucks Frisur zu Beginn der ersten Staffel. Von gegenseitigem Respekt und ausgeglichenen Machtverhältnissen ist hier lange Zeit keine Spur.

Vielleicht liegt das alles daran, dass Chuck ein abgefuckter Soziopath ist, dessen Arschloch-Vater ihn nie geliebt hat und der sehr lange dachte, man drückt Zuneigung über erzwungene Zungenküsse und anzügliche Bemerkungen aus, über die niemand lacht außer man selbst. Chuck Bass ist wohl die Definition von “innerlich tot” und zeigt am besten, wofür die Serie als Ganzes steht: Die ultimative Oberflächlichkeit, Gefühllosigkeit und Egozentrik. Chuck verleiht der Serie außerdem dieses gewisse weltfremde Flair, das ihr zwar definitiv nicht gefehlt hat, aber ab irgendeinem Punkt war es wohl einfach egal.

So viele Dinge, die Chucks Figur im Laufe der Serie macht, erschienen mir früher im Kontext von Gossip Girl und der ohnehin völlig gestörten Ausgangslage irgendwie normal. Es erschien mir normal, dass er alle Frauen vögelte, die er wollte, und sie behandelte wie Wegwerfartikel. Es erschien mir normal, dass er zu den wenigen Menschen, die jemals nett zu ihm waren, völlig unvermittelt scheiße war. Es erschien mir normal, dass er Jenny Humphrey auf einer Party bedrängt und sich später im Unrecht fühlt, nachdem ihr Bruder ihn deswegen geschlagen hat. OK, Gossip Girl will offensichtlich die menschlichen Abgründe reicher Teenies zeigen. Im einen oder anderen Kopf von jungen Zuseherinnen könnte dann aber doch hängen bleiben, dass Typen eben manchmal einfach so sind. Missverstandene Bad Boys eben.

An der Upper East Side ist kein Platz für nette Menschen

Weniger Bad Boy ist da schon Nate Archibald, der meistens auf der eher richtigen Seite der Geschichte steht und als einziger noch Skrupel hat, obwohl auch seine Familie ziemlich abgefuckt und er steinreich ist. Als im Laufe der Serie einmal die Quellen von Gossip Girl geleakt werden, ist Nate so ziemlich der einzige, der nie einen Tipp an sie geschickt und seine Freunde so absichtlich in die Scheiße geritten hat.

Nate ist abgesehen von seiner Rolle als Sunnyboy aber leider wie ein leeres Blatt Papier, das gelegentlich für Oben-ohne-Szenen herhalten muss und ansonsten einfach nur Serena sehr lange anschmachtet – mit mäßigem Erfolg. Kurz: Nate ist so naiv, dass er in den Menschen um sich herum immer nur das Beste sieht, und das kann einem in einer Welt voll von schlechten Menschen dann doch irgendwann zum Verhängnis werden.

Übrigens ist er auch der Einzige aus der Clique, der am Ende der letzten Staffel nicht die Liebe seines Lebens gefunden hat. Und das ist eine beachtliche Leistung, denn immerhin haben sogar die zwei noch lebenden schlimmsten Personen der Serie ihr Glück gefunden: Ex-Jesus-Freak “Bad Girl” Georgina und Chucks Onkel Jack.


Mindestens so königlich wie Blair Waldorf:


Dass nette Menschen an der Upper East Side nicht weit kommen, zeigt aber nicht nur das beziehungslose Schicksal von Nate, sondern auch das von Rufus, der letzten Endes dem wiederauferstandenen Bart Bass als Lilys Ehemann weichen musste, und seiner Kinder Jenny und – natürlich – Dan. Jenny wurde vom nettesten Mädchen zum wandelnden, Drogen dealenden und Intrigen schmiedenden Smokey-Eye-Experiment. Und was aus Dan wurde, wissen wir alle. Auch in Dans Jugendfreundin Vanessa hat die Upper East Side das Schlimmste hervorgebracht.

Zugegeben: Gossip Girl nach 10 Jahren noch einmal zu schauen, tut weh. Einerseits weil man merkt, welchen Scheiß man früher gut fand – in diesem Fall nämlich eine Serie über einen Haufen privilegierter, menschlich völlig jenseitiger Kids, die klingt, als hätte sie sich jemand ausgedacht, mit dem man nicht über Sexfantasien mit Cousinen reden will.

Andererseits tut es aber auch auf die schöne Art weh. Wie ein Pickel, den man den ganzen langen Tag lang (oder im Fall von Gossip Girl 10 Jahre) nicht bemerkt hat und der nur darauf wartet, bis auf den letzten Rest ausgedrückt zu werden. Gossip Girl ist tot und so nah am Zeitgeist seiner Entstehungsjahre, dass es sich heute wie eine Zeitkapsel anfühlt. Wenn es uns irgendwas beibringt, dann zumindest, dass wir uns als Gesellschaft in vielen Punkten zum Positiven – und damit weg von der Welt aus Gossip Girl – entwickelt haben. Und auch, wenn es ziemlich lange gedauert hat, ist diese Erkenntnis auf gewisse Weise beruhigend.

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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