Politik

Wir haben uns in Bernd Luckes erstes Proseminar geschlichen

Bernd Lucke

Die Neonröhren im Raum 2079 der Universität Hamburg leuchten spärlich, die meisten Stühle stehen noch auf den Tischen, Profilseminar 22-10. 256, “Bahnbrechende Beiträge zur Volkswirtschaftslehre”. Der Dozent dieses Seminars heißt Bernd Lucke. Gerade mal ein Handvoll Leute ist schon da. Außerdem eine Gruppe Journalisten mit gezückten Blöcken und einer großen Kamera. Es könnte ja eskalieren, wie am Mittwoch, als Studierende Lucke als “Nazi-Schwein” bezeichneten.

Hier und heute ist Lucke kein “Nazi-Schwein”, sondern der Typ, der den Studierenden am Ende des Semesters den Schein geben soll. So wie damals, vor dem Jahr 2013, als Lucke die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet hatte, damals als rechtsliberale Partei gegen EU und Euro. Gut zwei Jahre lang war er das Gesicht der Partei, er saß für sie im Europaparlament, unter ihm begann sie bereits, nach rechts zu driften. 2015 wurde er gestürzt. Bis zuletzt nahm Lucke sein Mandat in Brüssel wahr, allerdings für seine neue und wenig erfolgreiche Partei Liberal-Konservative Reformer.

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Sein Arbeitgeber, die Universität Hamburg, hatte ihn für seine Zeit als aktiver Politiker freigestellt. Oder genauer: “Die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in das Europäische Parlament gewählten Beamten ruhen für die Dauer der Mitgliedschaft im Parlament, ohne dass es eines Antrages auf Beurlaubung bedarf (§ 8 Abs. 3 Europaabgeordnetengesetz i.V.m. § 5 Abs. 1 Abgeordnetengesetz)”. So steht es in einer Pressemitteilung der Uni. Und: “Da Professor Lucke als Hochschullehrer Beamter der Freien und Hansestadt Hamburg ist, gilt dieses auch für ihn. Wie jeder Hochschullehrer und jede Hochschullehrerin kehrte er insofern wieder auf seine Professur zurück.”

Gutes, altes, deutsches Beamtentum. Lucke ist also wieder da.


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Lucke bezeichnet die AfD heute als “eine latent fremdenfeindliche, deutschnationale Partei mit rechtsradikalen Einsprengseln”. Er hat sich für die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz ausgesprochen. Vielleicht hat er gedacht, er könnte seine Vergangenheit abstreifen. Am vergangenen Mittwoch zeigte sich: Er hat sich geirrt.

Hunderte Studierende blockierten seine erste Vorlesung, nachdem der AStA zu einer Kundgebung vor der Universität aufgerufen hatte. Ein Transparent wies ihn als “Brandstifter” aus. Lucke wurde angerempelt, mit Papierkugeln beworfen und niedergebrüllt, “Hau ab!”, “Nazi-Schweine raus aus der Uni!”. Am Ende begleitete ihn die Polizei aus dem Gebäude. Im Hörsaal wird auch verkündet, dass er am nächsten Tag ein Seminar halten werde.

An diesem Seminar nehme ich nun teil. Und bisher ist es erstaunlich ruhig. Immer wieder kommen an diesem Donnerstag einzelne Studierende in den Seminarraum. Einer sagt grinsend: “Ich setz’ mich an den Rand. Ich will nicht mit Foto in der Morgenpost stehen.” Kurze Zeit später hört man von draußen Luckes Stimme: Er erwarte hier erst mal keine Störung, sagt er. Dann betritt er den Raum. Lucke trägt Sakko und Hemd. Vor ihm sitzen 23 junge Menschen, People of Color, Weiße, überwiegend Männer. Einer, ganz hinten links, trägt einen schwarzen Hoodie: “FCK AFD”. Er war gestern in der Vorlesung. Er ist die einzige Spur des Protests im Seminarraum.

Lucke will gerade beginnen, als zwei junge Frauen eintreten. Er geht rasch auf sie zu. Sein Gesicht ist rot.

“Sie sind nicht registriert, gehören nicht zum Seminar.”

“Woher wissen Sie das?”

“Ich sehe es Ihnen an der Nase an. Ich kenne Sie von gestern. Bitte, da ist die Tür.”

“Was zur Hölle, Alter … “, sagt eine der Frauen. Dann verlassen die beiden den Raum.

“Benehmen Sie sich, ja?”, schickt Lucke ihnen hinterher.

Wenige Sekunden später ist Lucke schon wieder abgekühlt und zurück am Pult. Ohne auf den Vorfall einzugehen, begrüßt er die Studierenden. Wie per Mail angekündigt wolle er heute lediglich das Seminar vorbesprechen, die Anwesenheitsliste durchgehen, Modalitäten klären. Das wäre es von seiner Seite aus für heute, sagt Lucke, eine typische erste Veranstaltung zu Semesterbeginn.

“Es sei denn, Sie möchten mit mir gerne noch sprechen über die Vorfälle gestern an der Universität.”

Stille.

Dann geht Lucke die Teilnehmerliste durch. Nur vier Leute hier sind nicht angemeldet, einer von ihnen bin ich. Zwei weitere kommen aus Eigeninteresse. Und der mit dem “FCK AFD”-Hoodie.

Was folgt, ist die normalste aller ersten Seminarsitzungen im Semester. Es wird Zeit totgeschlagen mit den üblichen, drögen Fragen: Wie läuft das mit den Referaten? Zwei Referierende, zwei andere sollen Fragen stellen. Braucht man dazu PowerPoint? Hauptsache Folien. Wie läuft das mit der Hausarbeit? Jeder bekommt einen zu besprechenden Aufsatz zugewiesen. Keine 20, 25 Seiten, bitte. Muss man die als Gruppe schreiben? Nein. Moment – doch.

Einmal scheint noch kurz etwas an der Tür zu kratzen, aber niemand tritt ein, protestiert, schreit.

Nach gut 20 Minuten ist Lucke schon mit dem Formalen durch. Jetzt könne man, wie angeboten, Fragen zu seiner politischen Vergangenheit stellen. Oder dem, was tags zuvor vorgefallen ist. Er wolle das selbst nicht kommentieren, das habe für sich gesprochen. Wer gehen möge, dürfe gehen. Aber niemand geht.

Zögerlich und ruhig beginnen einzelne Studierenden, Fragen zu stellen.

Habe er bei der Parteigründung nichts von den politischen Einstellungen Alexander Gaulands gewusst? Damals seien ihm seine heutigen Positionen zur Migrations- und Asylfragen nicht bewusst gewesen. Der habe sie damals auch nicht vertreten. Gauland und Petry hätten ihre Positionen den sich verändernden Mehrheiten in der Partei angepasst. Ihm selbst habe man nie anrüchige Aussagen nachweisen können, sagt Lucke.

Warum sei er noch Monate in der Partei geblieben, obwohl er merkte, dass sie sich radikalisiert? “Ich hoffte, das noch unter Kontrolle zu kriegen.”

Was halte er, fragt der Student im Hoodie, von dem Wort “Lügenpresse”? Er sei für die Pressefreiheit, aber kritischer geworden. Es werde meinungslastig und selektiv berichtet.

Lucke kommt ins Plaudern, was ihn wahrscheinlich selbst überrascht. So geht er dann doch mit einem Satz auf die Ereignisse des Vortags ein: “Es war nicht das erste Mal, dass ich niedergeschrien wurde. Das andere Mal war auf dem Parteitag der AfD, kurz vor meinem Auftritt.” Dann dankt er für die “sachliche Diskussion”. Er freue sich auf die erste Seminarsitzung.

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