Warum Manspreading ein größeres Problem ist, als viele denken

Manspreading ist ein Ding. Es ist ein Ding, das von vielen gerne als Luxusproblem gesehen wird oder als leere Worthülse, die man – ähnlich wie “Mansplaining” – hin und wieder fallen lässt, um sich scheinbar grundlos zu empören. Manche sehen das bloße Thematisieren von Manspreading als Zeitvertreib für oberflächliche Feministinnen, denen Themen wie der Gender Pay Gap oder die Altersarmut von Frauen ein bisschen zu anstrengend sind. Aber es ist auch ein Ding, das es tatsächlich gibt, es gibt Erfahrungsberichte von Frauen, die sich dadurch belästigt fühlen und in New York kam es sogar zu Anzeigen wegen Manspreading.

OK, es ist eines der vergleichsweise eher kleineren Probleme und dass es einen Katzen-Tumblr zum Thema Manspreading gibt, trägt wahrscheinlich nicht gerade zur Seriosität des Anliegens bei. Es aber als Hirngespinst abzutun, wäre in jedem Fall ein Fehler. Denn sich ohne Rücksicht auf Mitmenschen öffentlichen Raum zu nehmen, ist ein Machtverhalten, das ständig passiert, stellvertretend für festgefahrene Geschlechterrollen steht und vor allem Frauen verdrängt.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den Wiener Linien – egal, ob in Bim, Bus oder U-Bahn – dreimal die Woche auf einer halben Arschbacke neben einem Mann sitze, der seine Beine bis zum Anschlag spreizt, ist ziemlich hoch. Nein, diese Männer, die ich meine, brauchen nicht mehr Platz, weil sie zum Beispiel eine große Tasche transportieren oder aufgrund ihrer Körpergröße nunmal mehr Platz brauchen. Sie nehmen sich den Platz, weil sie ihn wollen und weil sie vielleicht gar nicht wissen, dass er ihnen nicht zusteht. Eine Studie fand im Jahr 2016 übrigens heraus, dass Männer fünfmal so oft ihre Beine in der U-Bahn ausstrecken wie Frauen.

Sehe ich einen Mann, der (meist noch dazu in einem vollen Bus) eineinhalb Plätze besetzt, setze ich mich mittlerweile gezielt zu ihm und presse meine Beine gegen seine, drücke aktiv dagegen, um ihm bewusst zu machen, dass er mir Platz wegnimmt. Früher wäre ich lieber stehen geblieben, als dass ich diesem Mann versucht hätte mitzuteilen, dass ich auch hier bin und mich setzen möchte. Einfach, um eine unangenehme Situation vermeiden.

Manspreading von allen Seiten.

Versuche ich heute, mich mit meiner Körpersprache zu wehren, passiert meistens wenig bis nichts. Die Manspreader bewegen ihre Beine in den meisten Fällen keinen einzigen Millimeter und beharren darauf, dass ihnen dieser Platz zusteht. Manchmal sehen sie mich an, als wäre ich verrückt und als verstünden sie nicht, warum ich ihnen auf die Pelle rücke. Immer öfter stehe ich kurz davor, die Männer anzusprechen, die sich so breitbeinig hinsetzen. Warum eigentlich nicht? Eine Frau, die mit ihrer Tasche einen zusätzlichen Platz besetzt, würde ich auch auffordern, ihn frei zu machen. Für das Phänomen, dass Frauen Sitze mit ihren Taschen besetzen, gibt es übrigens auch einen eigenen Namen: Shebagging. Von vielen wird das Phänomen mit Manspreading gleichgesetzt.

Dazu, warum sich Männer immer wieder wie selbstverständlich mehr öffentlichen Raum nehmen, gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Anfang 2016 wurde beispielsweise auf dem Blog EcoMonitor eine Analyse veröffentlicht, laut der die Biologie schuld daran sei, dass Männer breitbeinig sitzen. So sei Manspreading eine “adaptive Strategie, die Männer wegen angeborener morphologischer Eigenschaften anwenden”, hieß es von den Machern der Studie. Kurz zusammengefasst bedeutet das, dass Männer aufgrund der Tatsache, dass ihre Schultern breiter sind als die Hüften, die Beine spreizen müssen, denn sonst würden sie das Gleichgewicht verlieren und umfallen.

Für die Professorin für Sportwissenschaft Ina Hunger ist das Blödsinn, wie sie gegenüber der taz festhielt: Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Körperpraxis und meint, breitbeiniges Sitzen kommuniziere Präsenz. Ein Muster, das vor allem Burschen bereits in der Kindheit mitbekommen, wie Hunger in einer Studie herausfand.

Männlichkeit geht klassisch gesehen auf verschiedenen Ebenen mit einem Aspekt einher: Dem Zugriff auf Ressourcen.

Ziel der Untersuchung war, herauszufinden, welche geschlechtsbezogenen Vorstellungen Mädchen und Jungen in Hinblick auf ihren Körper entwickeln und inwieweit gelernte Vorstellungen davon, was typisch männlich und weiblich ist, ihre Bewegungen beeinflussen. Die Studie ergab, dass die Bewegunssozialisation von Kindern “klar zweigeschlechtlich vorstrukturiert” wird.

“Bei Jungen scheint das Bild des actionbereiten und wettbewerbsorientierten Kindes präsent und wird durch entsprechende Bewegungsangebote unterstützt.” Das führe dazu, dass Burschen häufig dominant auftreten und da dieses Auftreten dem Umfeld oftmals als “typisch für Burschen” erscheint, wird es oftmals fälschlicherweise als angeboren betrachtet. So wird dieses Verhalten von Burschen zusätzlich gepusht.

Bei Mädchen werden ähnliche Bewegungsmuster nur selten gefördert, eher wird Mädchen beigebracht, ihre Bewegungsbedürfnisse im Gegensatz zu Jungen unterdrücken zu können. “Sie wissen zwar, dass sie kämpfen und wild sein dürfen; sie wissen aber auch, dass diese Bewegungsmuster eigentlich für Jungen und nicht für Mädchen typisch sind”, heißt es weiter.

Der Sozialwissenschaftler und Geschlechterforscher Paul Scheibelhofer befasst sich im Rahmen seiner Tätigkeiten intensiv mit Männlichkeit und Geschlechterverhältnissen. Für ihn hat Manspreading mit Fragen von Geschlechterkonstruktionen und Machtverhältnissen zu tun, die weniger von den Männern selbst, mehr jedoch von den Personen, denen Platz weggenommen wird, wahrgenommen werden.

Auf Tuchfühlung beim Versuch, mir meinen Platz zurückzuholen.

Im Gespräch mit VICE erklärt er: “Kinder bekommen von klein auf geschlechtliche Erwartungen mit, vor allem bei Buben ist das verknüpft mit Botschaften wie ‘Geh nach außen’ und ‘Mach dir die Welt untertan’. Das sehen wir eben schon daran, wie unterschiedlich Buben und Mädchen spielen. Männlichkeit geht klassisch gesehen auf verschiedenen Ebenen mit einem Aspekt einher: Dem Zugriff auf Ressourcen. Seien es Raum, Aufmerksamkeit oder auch Geld.”

In der Männlichkeitsforschung nennt man das Entitlement: Die meisten Männer würden das Gefühl mitbekommen, dass ihnen etwas zustehe. “Und genau das äußert sich dann in unterschiedlichen Praktiken, auch in scheinbar irrelevanten Dingen wie Manspreading. Die Männer nehmen sich den Raum, missachten den Anspruch der anderen und äußern, dass der eigene Anspruch auf Raum mehr wert ist.” Geschlechterrollen sind sogenanntes inkorporiertes Wissen und solche Muster zu ändern, ist schwer, so Scheibelhofer. “Sie finden nicht rational statt, sondern sind über jahrelanges Training habitualisiert.”

Auch liege das daran, dass Buben eher dahingehend sozialisiert würden, sich keine Sorgen über negative Aufmerksamkeit zu machen, so der Experte weiter. “Als Frau ist man eher zur Selbstkontrolle erzogen und man fragt sich eher: ‘Wie wird das gesehen, was ich tue?’ Das passt dann fast wie ein Tanz zusammen: Frauen machen sich im Bus klein, anstatt in die Konfrontation zu gehen und die Männer behalten ihren Platz.”

Frauen nimmt man einfach leichter den Platz weg.

Männer, die sich in Öffis breit machen, rechnen nicht damit, kritisiert zu werden, denn sie machen sich dabei keine großen Gedanken: “Für viele ist das einfach der Stand-By-Modus und sie sind es gewohnt, dass der Rest der Welt sich darum kümmert, dass man den Modus weiterhin ungestört einnehmen kann. Wenn man nicht mitspielt, wirkt es auf einmal so, als wäre man als Frau der Auslöser der Problems.”

Generell könne man sich verschiedene Strategien zurecht legen, sofern man sich gegen Manspreading wehren möchte: Man kann das Recht auf gleichen Raum schweigend einfordern oder den Mann in drei Schritten ansprechen. Schritt eins ist, die eigene Wahrnehmung zu formulieren, dann zu sagen, was diese Wahrnehmung für einen selbst bedeutet. Im dritten Schritt formuliert man ohne Bitte und Entschuldigung eine Handlungsaufforderung. Das bedeutet, man könnte einen Manspreader mit “Sie breiten Ihre Beine so weit aus, darum kann ich mich nicht hinsetzen. Nehmen Sie Ihr Bein zu Seite” ansprechen.

Feststeht: Konfrontiert man einen Manspreader, muss man sich ziemlich wahrscheinlich mit der Reaktion auseinandersetzen, so Scheibelhofer. “Die schlechteste Reaktion ist natürlich, wenn Männer das Ganze aus Aufforderung sehen und man sich dann auch noch mit einer Anbandelung herumschlagen muss, anstatt in Ruhe im Bus sitzen zu können. In der Regel ist es aber auch so, dass in den Öffis andere Menschen zuhören und man den Druck nutzen kann. Nur muss man die Überwindung finden und darf in dem Moment nicht zu freundlich sein.”

Die Tatsache, dass man wahrscheinlich eher eine Frau auffordern würde, ihre Tasche wegzunehmen, als einen Mann, seine Beine zu schließen, sieht Scheibelhofer als weitere Manifestation von Geschlechterverhältnissen: “Frauen nimmt man einfach leichter den Platz weg. Das bedeutet, sowohl Frauen als auch Männer würden die Frau auffordern, wenn sie sich entscheiden müssten. Da nutzen wir diese Strukturen dann also zu unserem eigenen Vorteil. Und das ist der Ort, an dem wir anfangen müssen, weiterzudenken. Das alles ist ein kleines Puzzlestück von größeren Problemen.”

Verena auf Twitter: @verenabgnr

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