Noch zu Hause ist mir die Idee unangenehm. Am 8. März, dem internationalen Frauentag, mit einem Bollerwagen in Herrentags-Manier durch Berlin ziehen. Grölen, Saufen, in Vorgärten pinkeln. Sich einmal fühlen wie eine Gruppe Mittvierziger an Himmelfahrt im Treptower Park. Selbstgerecht und breitbeinig das eigene Geschlecht feiern. Ohne Rücksicht auf Verluste. Ich kann mir die Zustimmung des Chefredakteurs nur mit einer tiefen Furcht vor dem Vorwurf erklären, nicht feministisch zu sein. Der moderne Mann – total verweichlicht. Das hab ich nun davon.
Meine Mitstreiterinnen für die Bollerwagentour sind bereits auf dem Weg zum Treffpunkt. Drei Frauen, die sich nicht kennen und die nichts verbindet außer gerade genug Vertrauen in meine Person, um sich auf dieses Experiment einzulassen. Mal sehen, wie lange das hält.
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Das Ziel des Tages ist es, durch möglichst große Mengen Alkohol und gegenseitiger Bestärkung einmal erleben zu dürfen, wie es sich anfühlt, sich selbstgerecht alles zu nehmen, was einem zusteht. Peinlich? Sicherlich. Problematisch? Höchstwahrscheinlich.
Aber die Gelegenheit ist zu gut, um sie nicht am Schopf zu packen.
Die Herrentags-Tradition besagt, dass sich Männer an Himmelfahrt mit ihren Freunden und Söhnen zu Gruppen zusammenfinden, den Bollerwagen aus dem Keller holen und mit lauter Musik durchs Umland ziehen. Eine Tradition, die ihren Ursprung irgendwo zwischen adeliger Landpartie und proletarischer Feierei verortet.
Dank der COVID-19-Pandemie bleibt uns die Tour ins Umland nicht vergönnt. Öffis dürfen wir nicht fahren und ein Auto könnte nach unserer Tour niemand mehr sicher nach Hause lenken. Sowieso sind der Entgleisung durch Corona einige Grenzen gesetzt. Am Bahnhof treffen wir uns trotzdem. Fürs Gefühl.
Fast alle haben es geschafft. Nur eine Freundin ist abgesprungen. Angeblich wegen Arbeit. Ich vermute, ihr ist die Aktion peinlich. Schwach! Bei den anderen hat der soziale Druck gereicht, den ich im Vorfeld der Tour aufgebaut hatte. Nur meine Kollegin Thembi musste ich nicht überreden. Sie kommt freiwillig, weil es seit der Einführung des Frauentages als offiziellen Feiertag in Berlin einen weiteren Tag gibt, an dem sie zu Hause auf ihr Kind aufpassen muss. Die Betreuung übernimmt heute der Vater und Thembi übernimmt ein Glas Sekt, das ich ihr anbiete.
Die Stimmung ist noch etwas verhalten. Auf der kargen Grünfläche vor dem Ostbahnhof kommt keine Feierlaune auf. Ob sie sich nicht freuen, dass heute Frauentag ist. “Internationaler feministischer Kampftag”, sagt Karoline. Super, erst jetzt fällt mir ein, dass sie einen Bachelor in Gender Studies gemacht hat.
Ich verabschiede mich schon innerlich von meiner befreiten Bollerwagentour und versuche mich stattdessen mit einem vierstündigen Spontanseminar “Geschlecht Dekonstruieren: Einführung” anzufreunden. Aber nein, Stopp! Das ist meine Bollerwagentour, ich bestimme was passiert, ohne Rücksicht auf Verluste. Ich packe fünf pinke Glitzerkrönchen aus und zwei T-Shirts, die ich online beim Herrentagsversand bestellt habe.
Alle beschweren sich. Warum ich ausgerechnet pinke Krönchen gekauft habe und sowieso sei mein ganzer Plan doch recht heteronormativ. Ich lasse mich nicht beirren. Ganz im Spirit des Experiments besinne ich mich darauf, dass ich der Nabel der Welt bin. Alles hat sich nach mir zu richten. “Hört auf zu labern! Jetzt wird gesoffen!” Ich gieße Sekt nach und schalte die Boombox auf volle Lautstärke.
Wir ziehen los. Eine mit dem Bollerwagen vorweg. Darin: Ein Kasten Bier, zwei Flaschen Sekt, fünf Piccolo und eine 30er-Box Kräuterlikör in kleinen Flaschen. Die ersten Kontakte mit der Umwelt sind positiv. Aus hupenden Autos winken uns freundlich schauende Männer entgegen. Wir ähneln eher einem Junggesellinnenabschied als einer ordentlichen Herrentagsgemeinde
Aus der Boombox läuft “Girls just wanna have fun” von Cindy Lauper, aber wenn ich mir unsere Versammlung so anschaue, strahlen wir eher Unbehagen statt befreiten Spaß aus. Niemand brüllt, keine grölt und kein Vorgarten wird bepinkelt. “Ich wäre lieber auf einer Demonstration”, sagt Karoline. Ob es nicht schon ein feministischer Akt sei, sich den öffentlichen Raum anzueignen, erwidere ich. Katastrophe abgewehrt. Sie gibt sich zufrieden.
Ich krame im Bollerwagen. Nichts schreit Spaß, Freiheit und Emanzipation so sehr wie aufblasbare Geschlechtsteile.
Aus den Lautsprechern beginnt Christina Aguilera zu summen, während ich den Plastik-Penis aufblase. “Everyday is so wonderful. It’s hard to breathe.” Wir tauschen Blicke, während Christina ihre Strophe weitersingt. Beim Refrain angekommen schreien fünf Stimmen unisono: “I am beautiful, no matter what they say! Wooooords caaaaan’t bring me down. Oh No! So don’t you bring me down todaaaaay.” Das mit dem Grölen hatte ich mir zwar anders vorgestellt, aber hey, immerhin fallen wir jetzt auf.
Mittlerweile sind wir in einem belebten Park angekommen. Menschen genießen die Sonne und ihren freien Tag. Sie sitzen lehnend an einer Mauer, einige liegen, lesen Bücher, schlafen. Ein perfekter Ort für eine Runde Flunkyball. Ich erkläre noch mal für alle die Regeln und muss dabei schreien, weil die Musik so laut ist. Wir verteilen uns im Abstand von zehn Metern um eine Wasserflasche und beginnen, einen Schuh nach ihr zu werfen und die Zeit nach dem Umfallen und bis zum Wiederaufstellen dafür zu nutzen, schneller als das gegnerische Team das eigene Bier leerzutrinken.
Unsere Aktion trifft auf wenig Widerstand. Vereinzelt kommt ein genervter Blick. Von den meisten werden wir wohlwollend belächelt. Feminismus ist die Freiheit, um 14 Uhr ein Bier zu exen.
“Würdet ihr auf die Demo gehen, wenn zeitgleich im Fernsehen das GNTM-Umstyling läuft?”
Die Frage entfacht ein Gespräch. Bin ich erst Feministin, wenn ich am 8. März auf eine Demo gehe? Sollte man am Feiertag nicht machen können, worauf frau Lust hat? Zählt eine Sauf-Tour mit Freundinnen als feministischer Akt?
Wir werden uns nicht einig. Müssen wir auch nicht, denn neben mir fängt Thembi an, “Talking About a Revolution” von Tracy Chapman mitzusingen.
“Wo ist denn jetzt die Demo?” Hinter uns meldet sich eine Person zu Wort. Sie sei uns mit einer Gruppe von Aktivistinnen nun schon seit 15 Minuten hinterhergelaufen in der Hoffnung, wir würden sie zur feministischen Demonstration bringen. Als ich ihnen sagen muss, dass sie sich leider geirrt haben und wir hier einfach nur eine Sauftour machen, empfinde ich Scham.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Thembi versucht, den Aufblaspenis hinter ihrem Körper zu verstecken.
Die Gruppe trägt Schilder mit sich. Auf Ihnen stehen Sätze wie “Ich bin wütend” und “Global Equality”.
Als ich sie frage, ob sie unsere Tour feministisch finden, sagen sie: “Klar! Feminismus heißt, alles ist erlaubt!” Aber ist das so? Ist die Welt eine Bessere, weil ich statt in der Männergruppe in einem Vagina-Kostüm auf meine Umwelt scheiße?
Das schlechte Gewissen klopft an und ich spiele mit dem Gedanken, mir spontan noch ein Schild zu basteln. Frauen verdienen in Deutschland im Schnitt 19 Prozent weniger Geld als Männer. Das Armutsrisiko von alleinerziehenden Müttern in Deutschland ist doppelt so hoch wie das der restlichen Gesellschaft. Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt und an jedem dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Hände ihres Partners oder Ex-Partners.
Aber das ist nicht der Spirit! Auf meiner Sauftour bleibt keine Zeit für schlechte Laune. Statistiken über Gewalt an Frauen interessieren uns heute nicht. Wir wollen Spaß! Saufen bis der Arzt kommt.
Als nächsten Programmpunkt möchte ich mit meinen Begleiterinnen ein Einführungsritual im Frausein abhalten.
Adlige Männer im 19. Jahrhundert haben ihre Söhne am Herrentag in den Schutz und die Verteidigung des Dorfes eingeführt. Daraus entsprang die Tradition, dass Väter den Herrentag als Anlass nehmen, um ihre Söhne in den Kreis der Männer aufzunehmen. Mir fehlte allerdings jede Vorstellung davon, was ein solches Ritual sein könnte.
Meine Mitbewohnerin schlug vor, wir sollten uns gegenseitig unsere Vaginas zeigen. Alternativ könnten wir auch gemeinsam versuchen, unsere Gebärmutter zu massieren. Ich entscheide mich gegen beide Vorschläge und gebe stattdessen eine Frage in die Runde: “Wie würdet ihr eine Person in Weiblichkeit einführen?”
Stille. Damit haben meine Begleiterinnen nicht gerechnet.
Mel fängt an: “Ich würde einer jungen Frau sagen, dass sie lernen soll, ihre eigenen Grenzen zu setzen und auf die eigenen Bedürfnisse zu hören.”
“Selbstschutz, im Notfall auch körperlich”, ergänzt Karoline.
Wir erzählen von Situationen im Urlaub, in denen wir zu früh durch die Blicke von Männern gelernt haben, dass wir nicht einfach nur Kinder, sondern auch Frauen sind.
Thembi wirft ein, es sei doch traurig, dass uns nur negative Sachen einfallen. Man könnte ja auch einen positiven Bezug schaffen zu Eigenschaften, die gesellschaftlich eher Frauen zugeschrieben werden. Füreinanderdasein, Wärme, Verständnis, sich kümmern.
Mir drängt sich eine Frage auf: Warum spiele ich an einem Feiertag für feministische Solidarität männliche Allmachtsfantasien nach?
Klar, es ist reizvoll, sich für einen Tag keine Gedanken darüber zu machen, ob mein Verhalten andere verletzen könnte. Es fühlt sich auch gut an, ganz egoistisch an sich selbst zu denken und dafür Lob zu kriegen, weil ich es als feministischen Akt verpacke.
Es sieht auch besser aus, wenn Politikerinnen die Sozialleistungen kürzen oder Polizistinnen prügeln. Aber ist das dann Feminismus?
Vorbei mit dem befreiten Eierschaukeln.
Mich verlässt die Energie, meinen eigentlich liebsten Programmpunkt anzukündigen: Männer nach Aussehen bewerten.
Ich frage vorsichtig in die Runde: “Wollen wir das mit dem Männer nach Aussehen Bewerten überhaupt noch machen? Ich hab das Gefühl, wir waren gerade an einem wichtigen Punkt und haben viel gelernt.”
Entgeisterte Blicke. “Auf jeden Fall machen wir das”, rufen alle im Chor.
Ich verteile die Punktschilder und ohne Rücksicht auf Verluste werden Männerkörper bewertet. Wie früher auf den Campingplätzen großer Festivals. Nur, dass ich nicht versuche unsichtbar zu werden, während eine jolende Jungsgruppe sich entscheidet, ein über den Weg gespanntes Seil zu entfernen, falls sie mich für attraktiv genug erachtet. Ich bin die Jungsgruppe. Ich halte das Seil. Oder eben ein selbstgemaltes Pappschild.
Tatsächlich stört sich niemand an der Bewertung. Nichtmal für eine billige Provokation reicht es noch. Es ist Zeit, das Experiment zu einem erträglichen Ende zu lenken. Zwei Dönerteller, drei Pommes mit Ketchup-Majo.
“Nehmt alle mal einen Bissen und sagt mir dann, wie ihr euch fühlt.”
Ich werde von Gesängen und wildem Zuprosten unterbrochen.
“Ich hab wirklich nichts auszusetzen am Dönerteller”, höre ich Thembi murmeln.
Mel antwortet als erste: “Also für mich hat es sich irgendwie gut angefühlt, mir den Raum zu nehmen. Am 8.März einfach mal nur das machen, worauf ich Lust habe und was mir Spaß macht.”
“Hundertprozentige Zustimmung”, sagt Thembi.
“Meint ihr, die Welt wäre besser, wenn sich ab jetzt alle Frauen am Frauentag so benehmen wie wir heute?”
“Auf keinen Fall”, rufen alle wie aus der Pistole.
“Also ich fänd’s ja am coolsten, wenn alle einfach jeden Tag aufeinander achtgeben würden”, wirft Rebecca, die Fotografin, ein, die als einzige nüchtern ist.
“Och nee. Jetzt mach doch nicht so einen”, sagt Karoline mit dem Abschluss in Gender Studies. Wir teilen die letzten Schnäpse auf, prosten uns zu und leeren die Flaschen. Auf den nächsten feministischen Kampftag und jeden anderen Tag im Jahr.
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