Ob es nun Döner in Berlin, Hühnchen mit Pommes im Süden Londons oder Pizza in Brooklyn ist, der Post-Club-Snack ist ein essentielles Ritual. Aber was, wenn du diese Nahrung direkt auf dem Dancefloor bekommen könntest?
Tokio gibt sich nicht damit zufrieden, mehr Michelin-Sterne zu haben als jede andere Stadt auf der Welt und bringt jetzt auch Speisen in Restaurantqualität in seine Nachtclubs, in denen das Essen selbst der Headliner ist.
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Tokios gastronomisches Clubfieber brach 2012 mit Techno Udon aus, das mittlerweile jedes Mal über tausend Gäste anzieht, die alle zum gleichmäßigen Stampfen eines Vierviertel-Beats barfuß auf Nudeln treten. Das Event wurde als clevere Antwort auf Japans berüchtigte Fueiho-Gesetze ins Leben gerufen, die das Tanzen in Clubs und Bars einschränken. „Wenn die Polizei kommt, um gegen uns wegen Tanzens vorzugehen, können wir sagen: ‚Wir machen bloß Udon!’”, sagte Shiniri Tezuka, der Hauptorganisator des Events, 2014 gegenüber dem Wall Street Journal.
Aus dieser Idee ist mittlerweile die Macho Mochi Night entstanden, bei der im Januar die Leute das neue Jahr mit einer traditionellen Kombination aus Reiskuchen, Bodybuildern und EDM feiern werden. Selbst Dixon konnte dem Gourmet-Boom nicht entfliehen, als er im Dezember im Womb in Shibuya gespielt hat; der Boss von Innervisions musste mit frisch zubereiteten Nigiri um die Aufmerksamkeit kämpfen, die von einem Sushi-Koch direkt aus der DJ-Kanzel des zweiten Raums serviert wurden.
Maguro House (Maguro ist das japanische Wort für Thunfisch) ist der neueste Vertreter dieser Welle von Events, bei der japanische Küche mit elektronischer Musik verbunden wird, und es ist unbestritten die bislang merkwürdigste Kombination. Vor Kurzem hat es dafür gesorgt, dass der Club Asia mit einer Kapazität von über 500 Leuten ausverkauft war—ein Club in Shibuya, der bekannt für hedonistische Schaumpartys und angesehene regelmäßige Events wie Back 2 Chill des Bass-Music-Veterans Goth-Trad ist. Wenn man den unkonventionellen Ruf des Club Asia bedenkt, dann ist es nur logisch, dass dort eine Veranstaltung stattfindet, zu der die Ausweidung von Fischen, GoGo-tanzende Sushi-Köche und eine furchteinflößende Domina mit Thunfischkopf und Flossen gehört. Von letzterer haben wir später erfahren, dass sie ihr gesamtes Outfit liebevoll selbst per Hand gestaltet hat. All das wird begleitet von einem ebenso Panik-auslösenden Soundtrack aus schrillem Electro.
„Ich dachte darüber nach, eine EDM-Party daraus zu machen, weil das dem Publikum am meisten zu gefallen scheint, aber ich bin bei dem geblieben, was ich spielen wollte: House.”, so Afromance, der Organisator der Veranstaltung. Während er eine Schüssel Thunfisch hinunter schlang und in einem Zug eine Flasche Sake trank, erzählte er uns mit aufrichtigem Stolz von den Ursprüngen der Party. „Ich sah einen Werbespot für [die Sushi-Kette] Sushiro und ich hatte auf einmal diesen Anflug von Inspiration, dass House und Sushi gut zusammenpassen.”, erklärte er. „Irgendwann würde ich gerne ‚Sushi House’ machen, aber dies ist der erste Schritt, also machen wir Maguro House. Maguro Techno, Maguro EDM… das funktioniert einfach nicht. Es musste House sein.”
Obwohl er House hervorgehoben hat, sah die Realität so aus, dass der Abend hauptsächlich von EDM-Tracks wie „I Want You To Know” von Zedd und den Tomorrowland-ähnlichen Krachern ähnlichen Kalibers dominiert wurde. Das, was authentischem House am nächsten kam, war Cheryl Lynns Klassiker „Got To Be Real” im zweiten Raum, der aber eher dazu führte, dass der Raum sich leerte, als dass irgendwelche Disco-Heads den Dancefloor stürmten.
„Es war eine solide Mischung aus japanischer und westlicher Musik”, merkte eine Partygängerin namens Rachel aus Australien an, die unsere Fragen vielleicht viel zu ernst nahm, wenn man bedenkt, dass wir gerade beobachtet hatten, wie eine Frau in einer Jason Vorhees-Maske den Mixer fast bis zum Bersten der Lautsprecher aufgedreht hatte. „Es war gut”, stimmte ihr Freund William weise zu, während er seine Sachen so schnell zusammensuchte, wie wir ihn ließen.
Trotz der musikalischen Fehltritte, alles war vergessen, als der Star der Nacht auftauchte und von drei talentierten Köchen eines Restaurants namens Taikochaya auf die Bühne getragen wurde, seine Schuppen im Licht der Diskokugel glänzend, die Augen wässrig vor Vorfreude auf die bevorstehende Enthauptung. Während im Hintergrund noch wilder Electro lief, hielten die Sushi-Köche vor einem kreischenden Publikum ihre Messer aus speziellem Stahl hoch. Plötzlich fanden die Elemente zu einem vollständigen sensorischen Angriff zusammen: Der Gestank von Thunfisch vermischte sich mit Schweiß und abgestandenem Zigarettenqualm, EDM-Aufbauten verschmolzen mit verwirrten Schreien.
„Ein Thunfischschwarm kann nur vorwärts schwimmen—wenn sie aufhören, sterben sie”, rief der MC auf der Bühne leidenschaftlich und peitschte das Publikum in einen Blutrausch; das Publikum wusste seine Rolle bei dem Massaker ebenfalls zu schätzen und drängte sich eng an die Absperrung, um auch wirklich ihren jeweiligen Anteil des fetten Maguros im Wert von 3000 Yen (23 Euro) abzubekommen. Der Höhepunkt des Thunfisch-Rauschs war erreicht, als der Koch den abgetrennten Kopf zu einstimmigen Anfeuerungsrufen langsam in die Höhe hob, die erst abebbten, nachdem er sich den Weg durch den Rest des Fischs geteilt hatte.
Als wir den Thunfisch Backstage probierten, waren wir nichts anderes als beeindruckt. Frisch, reichhaltig und auf der Zunge zergehend, war es mit der beste Maguro, den wir alle jemals gegessen hatten. Es war ein kollektiver Moment der Ruhe, da die unterschiedlichen Performer der Veranstaltung dort saßen und zusammen aßen: DJs, GoGo-Tänzerinnen, Fotografen und Club-Mitarbeiter, die alle einen Moment der Ruhe nach dem Wahnsinn genossen.
In Japan wird gesagt, dass du nicht mit leerem Magen kämpfen kannst. Oder in diesem Falle tanzen. Und welches besseres Gericht als frische Thunfischstücke kannst du dir vorstellen, um nach einer Nacht voller Jägermeister-Shots und Marlboros den Körper zu reinigen. Außer du isst keinen Fisch, natürlich. „Ich habe all diese Leute hier hergebracht, aber ich esse keinen Fisch, ich bin nur für die Party gekommen”, sagte David, einer der vielen anwesenden Australier, während drei seiner Freunde vergnügt die Möglichkeit ergriffen, dies auszuprobieren und ihm Stücke des Fischs in den Mund stopften. Und da hast du es—Fischliebhaber und Fischhasser sind hier alle harmonisch vereint.
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