Keine Beziehung in meinem Leben hat länger gehalten als die zu Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten komme ich abends zu meiner Daily Soap nach Hause. Egal, wie lange ich sie nicht gesehen habe – und das können Monate sein, ich bin nicht treu – GZSZ zieht mich immer wieder in eine warme und etwas zu lange Umarmung, wie eine leicht angetrunkene Kollegin auf der Weihnachtsfeier.
Verlegen und leicht peinlich berührt mache ich es mir regelmäßig auf der Couch bequem, während auf RTL das Drama seinen Lauf nimmt. In Deutschlands bekanntester Daily Soap, gestartet vor 26 Jahren, ist Berlin noch die skandalumwobene Hauptstadt, vor der mich meine Mutter immer gewarnt hat. Es gibt dort so ziemlich jede Krise, die man sich vorstellen kann. Abgesehen von fast schon kleineren Konflikten wie Seitensprüngen, brennen Restaurants ab und versterben so regelmäßig Protagonisten, dass man meinen könnte, die Serie wäre ein Marketingtool für Brandschutz- und Lebensversicherungen.
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Und dann, und deswegen schätze ich die Serie, gibt es die Krisen, die gesellschaftlich relevant sind: Drogenmissbrauch, sexualisierte Gewalt, homofeindliche Nachbarn, Geflüchtete in Todesangst, Essstörungen, Mobbing. Wer Deutschland verstehen will, muss sich wochentags um 19:40 Uhr zu mir und über 2,5 Millionen anderen Zuschauenden auf die Couch gesellen.
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GZSZ ist sozusagen das Progressions-Barometer unserer Gesellschaft. Vor zehn Jahren gab es mit dem Kiosk-Besitzer Tayfun Badak (gespielt vom Deutschen Tayfun Baydar, der türkischer Abstammung ist) und später dem Gangmitglied Mesut Yildiz (gespielt vom Deutschen Mustafa Alin, der kurdischer Abstammung ist) ganz selbstverständlich zwei zentrale Figuren mit Migrationshintergrund. Deren Familien und kulturelle Hintergründe verwoben sich natürlich in die Geschichte. Auch schwule, lesbische und bisexuelle Charaktere und damit verbundene Storys über Coming-outs, Selbstfindung und Homofeindlichkeit kommen immer wieder vor.
Warum das erwähnenswert ist? Weil die Soap dadurch wesentlich selbstverständlicher die Vielfalt unserer Gesellschaft repräsentiert als die Tatort-Millionenproduktionen. Schließlich ist für den Tatort schon Diversität, wenn eine Frau mal mehr als zwei Charakterzüge besitzt oder Til Schweiger einen Sidekick türkischer Abstammung bekommt.
Klar, im Tatort gibt es Cybercrime und Fremdenhass, aber bei GZSZ werden Geschichten um Flucht, gewalttätige Ehepartner oder geleakte Home-Pornos über Wochen und Monate erzählt. Und während man bei der Soap sicher viel kritisieren kann (Niemand schmeißt für einen Kaffee einen zehn Euro Schein hin und sagt “Stimmt so”. Niemand.) – die Geschichten sind so sorgfältig konstruiert wie die Steine am Domino-Day.
Von 2010 bis 2012 nahm sich die Soap Zeit, um an der Figur Dascha Petrova die Probleme illegaler Einwanderung und Schwarzarbeit zu erzählen. Vor zwei Jahren ging es um den Geflüchteten Amar Akram, dem andere halfen, ihn vor den Behörden zu verstecken. Das Engagement der Flüchtlingshelfer zieht dann in der Serie Rechtsradikale auf den Plan. Auch das hat GZSZ ganz nebenbei thematisiert. Und erst letztes Jahr zeigte die Soap schon Monate vor #metoo das Thema häuslicher Gewalt – und wie man sich daraus lösen kann.
Die Serie greift aktuelle Entwicklungen schneller auf als ein Kolumnist bei Springer und erzielt damit seit Jahren steigende Quoten. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Neubesetzung im Cast: Manuela Wisbeck spielt die Figur Nicole Müller. OK, klingt nicht gerade besonders progressiv? Außer: Wisbeck – und dadurch Müller – ist dick. Wisbeck die erste dicke Frau der Soap. Was an und für sich bitter klingt (Wir haben 2018, hallo?), ist gleichzeitig eine große Chance: Eine ehrgeizige Frau mit Doppelkinn und einem Händchen für Geschäftsführung, die dick ist, aber nicht ununterbrochen (erfolglose) Diäten macht, Dünne hasst oder sehr lustig ist, fehlt im deutschen TV leider immer noch.
Wir brauchen Nicole Müller als Figur, die sich verliebt und geliebt wird, die Sex hat und streitet, die Freundschaften schließt und als Kollegin geschätzt wird. Letzteres hat uns GZSZ schon beim ersten Auftritt der Figur beschert: Nicole wird die neue Geschäftsführerin der “Szene-Bar” der Serie. Hoffentlich legt die Soap beim Rest auch nach: Ich will, dass Herzensbrecher John seine Freundin für Nicole verlässt; und dass sie den besten Sex ihres Lebens hat ohne, dass ihr Körper ein Thema ist.
Das Allerbeste ist allerdings, dass man die Serie immer wieder ohne Probleme wochen- oder monatelang aussetzen kann. Klar, manchmal ist man ein bisschen verwirrt, warum die eine Figur plötzlich ausgewandert ist und die andere in der Zwischenzeit drei Ehen zerstört hat, aber durch die angenehme Unterkomplexität der Erzählweise ist man nach einer Viertelstunde doch wieder drin. Gleichzeitig schafft die Soap durch das lange Strecken der Erzählung, in der parallel verschiedene Stränge beginnen, weitergehen oder enden, eine erzählerische Dichte, die unter anderen deutschen Soaps heraussticht.
Und ja, Soaps werden verschrien und verachtet. Eine Zeit lang habe ich GZSZ über Jahre hinweg nicht geguckt. Doch dann zappte ich einmal abends durch das Programm und die Soap hatte mich wieder in ihren Armen wie eine leidige Ex-Affäre, die einfach zu gut im Bett ist. Von daher: Traut euch! Vergesst, was euch andere Leute über eure Fernsehgewohnheiten weismachen wollen – GZSZ ist divers wie eine Netflix-Serie und relevanter als der Tatort. Nur ohne monatelange Pause zwischen den Staffeln und ohne prätentiöses Getwittere. Und die Serie geht einfach immer weiter. In guten wie in schlechten Zeiten.
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