Einmal im Jahr krönt der Verlag Langenscheidt das Jugendwort des Jahres und genauso oft fragen sich die meisten: WTF?! Seit 2008 die “Gammelfleischparty” den Anfang machte, werden regelmäßig Jugendworte ausgewählt, die doch unmöglich wirklich jemand benutzen kann.
Oder nur ich denke so, denn mehr als eine Million Menschen sehen das anscheinend anders. So viele haben letztes Jahr an der Online-Abstimmung teilgenommen.
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Vielleicht liege ich also falsch, wenn ich glaube, niemand möchte sich eines Wortschatzes bedienen, der von grauhaarigen Alt-68ern und zwei bis drei der uncoolsten Kids aus deiner Klasse zusammengestellt wurde. Mich hat jedenfalls noch keiner mit einem “Bae, du bist so unleugbar jackpot” rumgekriegt.
Aber vielleicht irre ich mich auch und es ist total fly so zu sprechen wie 13-Jährige in einem Tatort. Um ein für allemal die Attraktivität von der vermeintlichen Sprache unserer Jugend zu testen, habe ich mich über Tinder auf die Suche nach den Babos, Lelleks und Alpha-Kevins gemacht. Und weil ihr bestimmt hobbylos und sowieso gerade am Hartzen seid, könnt ihr euch den shizzl auch reinziehen.
Tag 1: Die Vorbereitung
Um mir einen Überblick zu verschaffen, auf welchem Jugendsprachlevel ich mich befinde, mache ich zuerst einen Sprachtest. Ich falle durch, weil ich nicht weiß, dass “zetten” schlafen heißt und “skyen” verliebt sein oder was “Laseria” ist – eine extrem gute Party.
Dann suche ich nach den Nominierungen der einzelnen Jahre. Und muss feststellen, dass ich in meiner Jugend wohl ein krasser Lappen war und voll nicht laser genug, um mit den coolen Kids zu hängen.
Um mein Wissen aufzuholen und authentisch kommunizieren zu können, schreibe ich mir ein Wörterbuch. Ich fülle es mit gängigen Begriffen wie “Was ist das für 1 life”, “lan”, “leider geil” und “swag”. Aber es gibt auch eine Spalte für Exotisches wie “Komasutra” (zwei Leute versuchen betrunken Sex zu haben) “Fleischdesigner” (Chirurg) und “Uhrensohn” (jemand, der zu einem unpassenden Zeitpunkt etwas Dummes sagt).
Ich ertappe mich allerdings auch ab und zu dabei, in längst verdrängten Zeiten zu schwelgen. Wörter wie “bäm”, “chillig” und “eskalieren” hat mein Zwölfjähriges Ich wirklich in sämtliche ICQ- und MSN-Chats gesät.
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Tag 2: Die Suche nach dem Ehrenmann
Nachdem ich mich einigermaßen gewappnet fühle, erstelle ich einen Account. Ok, ich hatte schon einen Account. Ok, ich hatte wohl schon so 26 Tinder Accounts. Mein Tinder-Leben befindet sich in einem ständigen Wechselbad von “Tinder ist der Inbegriff von allem, was heute falsch läuft”, gefolgt von einem dramatischen Druck auf den Lösch-Button und einem “Ok, aber es ist auch irgendwie witzig” gefolgt von einem “Auf dem Bild sehe ich wirklich hammer aus”.
Als Frontbild für mein Alda-Ego wähle ich ein Karneval-Foto, auf dem ich ein THUG LIFE-Brust-Tattoo in die Kamera halte und schreibe in die Info “I bims das Prachtswipe”.
Wenig später bekomme ich die ersten Nachrichten. Es ist Freitagabend und von Lars* kommt die (absolut berechtigte) Frage, warum ich an einem Freitagabend nichts besseres zu tun hätte, als zu tindern. Ich verteidige mich mit einem “Läuft bei mir. Was ist das für 1 naises life. Besser als die ganzen Lauchs die am WE nur am breiern sind. Da such ich ich lieber in diesem tinder nach wahrem boyfriendmaterial.” Das kommt nicht gut an, Lars wünscht mir nur viel Glück auf der Suche nach meinem nächsten “boyfriend”. Ich kommentiere das mit einem “Sheeesh. Du bist nicht gerade 1 Ehrenmann” und höre nie wieder was von ihm.
Aber zum Glück gibt es ja auch noch einfühlsame Männer auf Tinder, ich küss eure Augen. Denn wenig später meldet sich Sven. Anfangs haben wir etwas Kommunikationsschwierigkeiten, wir sprechen ganz offensichtlich nicht die gleiche Sprache. Er fragt: “Bitte übersetze deine Bio. Kann ja kein Mensch verstehen. Kommst aus nem Dorf?”
Fühle mich davon zunächst etwas gecrankt. Antworte darum “Oder du bist ein wacker Lauch!”. Sven nimmt es gelassen, wir lol’n und ich entscheide mich dafür, mein jugendliches Herz bei ihm auszuschütten. “Was ist das für 1 life…da ist man schatzlos und im Tindergarten will keiner mehr Boyfriendmaterial sein”. Sven nimmt meine Sorgen sehr ernst und hat auch gleich ein paar Tipps für mich: “Ich glaube es gibt ganz normale Menschen auf Tinder, aber man soll Tinder auch nicht zu ernst nehmen. Bei deiner Bio kann man ja auch nicht viel sagen. Wäre auch gut, wenn Frauen mal anschreiben würden. Du musst etwas entspannter mit der Sache umgehen. Du kennst die Person hinter dem Profil gar nicht :) Das habe ich zumindest gelernt.”
Für so viel Weisheit bedanke ich mich mit einem “Du süßmo. Ich finde es fly, wenn Jungs anschreiben, das ist einfach classy. Frauen, die den ersten Schritt machen, haben safe auch Achselfasching. Wacke Feministinnen”. Ich kann nichts dagegen tun, Jugendsprache macht aus mir ein sexistisches “Zornröschen” mit “Edelratte” in der Louis-Vuitton-Tasche.
Tag 3: Talk dirty to me
Dennoch befolge ich Svens Rat und entwerfe einen Anschreibtext. Da das mit dem Boyfriendmaterial nicht so gut ankam, versuche ich mich jetzt im dirty talk. “Sheeesh. Ich wünsche mir, dass du über mich rüber fährst, bis ich Asphaltdeko bin. Du siehst aus als wärst du nicht so 1 Lauch vong Männlichkeit her. Gib mir!”
Zwei von drei Männern finden diesen Art von dirty talk anscheinend ansprechend. Anton schreibt “Wassss. Hahahah. Können wir gerne machen. Schon so früh am morgen bist du geil drauf?” Ja Anton, und ich sag dir auch, wieso: “Morgens wird der Swag aufgedreht. Haben sowieso hier alle nur Interneteier. Deswegen bevor ich hier lange rum merkel…yalla!” So ist es Anton “auch lieber”.
Julian lässt sich sogar selbst einen freshen Spruch einfallen – den ich nicht verstehe: “Da hast du auf jeden fall recht bin sicher keine 5 Minutenterine.” (sic) Er will sich dann auch gleich treffen und ich antworte happy: “Bam hatte schon Angst ich bleib forever alone in diesem funkyhole von tindergarten.” Julian nimmt mich übrigens ebenfalls sehr ernst und wird auch bis zum Ende der Woche nicht locker lassen, zu fragen, wann wir uns treffen.
Tag 4: Noch immer schatzlos
Ich entwerfe noch einen zweiten Anschreibtext. Da ich glaube, dass die Aussicht auf Knickknack die meisten auf Tinder für alles andere taub macht, lasse ich das mit dem dirty talk wieder. In Gedenken an Sven gehe ich die Sache ganz entspannt an. “Hey was geht fit. Will ganz ehrlich sein ich suche boyfriendmaterial, von den meisten kriegt man hier ja augentinnitus. Und kein Bock mehr auf den ganzen Banalverkehr via Chat. Paar hopfensmoothies auf mein Nacken und wir gucken was läuft.” Tim wird bei meinem funky Anschreiben erstmal skeptisch und fragt, ob ich den Spruch jetzt individualisiert hätte. Ich finde es zunächst einmal beruhigend, dass er trotz meiner Sprache davon ausgeht, dass ich Fremdwörter wie “individualisieren” verstehe. Natürlich schreibe ich nicht jedem den gleichen Spruch, “was wär das für 1 bitchmove”. Das beruhigt ihn und ich darf weitertalken.
Tag 5: Zwischentalk
Bisher hat mich noch keiner meiner Matches gelöscht. Gut, sieben haben mir nicht mehr geantwortet, aber dafür haben mich auch neun wegen “I bims das Prachtswipe” angeschrieben. Ok, gut, einer hat mich angeschrieben, weil er dachte, da steht “Ich bums das Prachtswipe”. Aber ich bekomme auch Zuspruch für meine Sprache. Leon gibt mir ein “Großes Lob, du hast es geschafft, ohne was zu machen, mich zum Lachen zu bringen”. Ohne was zu machen? Boy, da stecken mindestens vier Stunden Recherche drin!
Tag 6: Ich bin in bester Gesellschaft am been
Langsam entwickle ich ein ganz neues Sprachgefühl. Betrunken könnte ich save fließend Jugendsprache talken. Ich bin schon so drin, dass ich Wörter selbstständig modifizieren kann. “Ich han swag. Style is geil. Was gayt bei dir? Han k1 Lust auf worken. Vor allem wenn die sonne so am sch1nen af is” Ich habe übrigens auch Groß- und Kleinschreibung verlernt, das kommt von den ganzen englischen words, die ich benutze.
Manu ist selbst ein flyer Boy und antwortet: “erstmal 2 eyez am open vong sleepen”. Da ich das Gefühl habe wir sind auf einem Sprachlevel, versuche ich mich mal darin, ein politisches Gespräch anzustoßen. “Kapitalismus is halt wack. Aber kriegt es trotzdem hin, dass die aufgepumpten lelleks am believen sind, dass sie free sind mit ihren start ups. Dabei been sie sich nur selbst am ausbeuten. Und ihre bestis gleich dazu. Was lan was.” Ich glaube Jugendsprache eignet sich nicht für einen kritischen Diskurs. Auch Manu antwortet darauf nur noch: “richtig whack habibi”.
Aber es gibt noch mehr Boys, die meinen Slang drauf haben. Einer von ihnen ist Claus. Weil ich glaube, dass cheedo people arbeiten nicht so laser finden, heule ich mich bei ihm weiter aus: “Würd mich lieber einwrapen und ein bisschen hartzen als zu worken. Was ist das für 1 life. Sitze den ganzen Tag vorm PC. Kriege noch Screenitus vom Beobachten wie hier alle egosurfen, lol. Läuft bei mir. Was geht bei dir Bae?” Claus kann mich verstehen, weil er sich selbst “den Ass off workt” und “lieber am beach neben einer vollbusigen die sun genießen” würde. Aber “der Ass muss immer in movements bleiben damit das cash stimmt”.
Tag 7: Was ich gelernt habe
Die ernüchternde Erkenntnis nach 143 Matches und 32 Konversationen: Es ist ziemlich egal, was und wie ihr redet. Packt euren Swag aus und spielt Niveaulimbo mit eurer Sprache. Hauptsache am Ende seid ihr für ein bisschen Knickknack bereit. Ich habe mich also geirrt, was die Sexyness von Money Boys Muttersprache angeht. Aber das macht nichts, schließlich kann man ja schon bei Goethe lesen: Es irrt der Boy, solang’ er am been ist.
*alle Namen geändert