Ein Deliveroo-Fahrer erzählt, warum er sich ausgebeutet fühlt

Robert, (Name geändert), 39, seit Anfang 2016 Deliveroo-Kurier

“Ich bin Freelancer und nicht bei Deliveroo angestellt. Pro Stunde bekomme ich 7,50 Euro Lohn und für jede abgelieferte Bestellung noch einmal eine Provision von zwei Euro. Bei 25 Stunden in der Woche komme ich so auf 1000 bis 1200 Euro. Verlässlich kalkulieren kann ich nicht, manchmal habe ich vier Bestellungen in der Stunde, manchmal kommt zwei Stunden keine rein. Ich fahre vor allem in Neukölln, da gibt es viele Altbauten ohne Fahrstuhl, in den sechsten Stock hochzulaufen, kostet Zeit, hier ist meistens auch das Trinkgeld überschaubarer als zum Beispiel in Charlottenburg. Der größere Aufreger ist aber: Nicht jeder Freelancer bekommt zwei Euro Provision, viele bekommen nur einen. Und Freie, die vor Kurzem angefangen haben, bekommen gar keine Provision, dafür aber den Mindestlohn. Woran das liegt und wie man von ein auf zwei Euro aufsteigen kann? Keiner weiß das, Deliveroo legt die Kriterien hierfür nicht offen. Die Festangestellten haben dieses Problem nicht, weil sie neun Euro in der Stunde bekommen. Seit Neuestem gibt es auch noch ein drittes Bezahlsystem: Freelancer, die ausschließlich auf Provisionsbasis arbeiten, 4,75 Euro pro Lieferung, kein extra Stundenlohn. Die sind am ärmsten dran. Da wir Fahrer vor den Schichten auch quatschen und uns gut verstehen, kommt sowas natürlich raus.”

Clemens Melzer, Pressereferent bei der Basisgewerkschaft FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union)

“Bei Deliveroo-Berlin arbeiten etwas über 500 Fahrer, gut 100 von ihnen sind Freelancer. Bei Foodora in Berlin sind alle Fahrer festangestellt, das sind heute 503. Wir schätzen, dass die Hälfte der knapp 1.000 Fahrer in Berlin aus dem Ausland kommt, viele sprechen kaum Deutsch und sind aus den europäischen Krisenländern wie Spanien, Italien oder Portugal. Immer wieder haben wir Fahrer rechtlich beraten, oft ging es um undurchsichtige Stundenabrechnungen. Letztes Jahr im Herbst sind drei Fahrergruppen auf uns zugekommen, um gemeinsam Druck auf ihre Arbeitgeber auszuüben.”

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Deliveroo-Kurier Robert:

“Zwei Kollegen von mir ist mal das Fahrrad in der Schicht geklaut worden, ersetzt hat ihnen das niemand. Ich nehme meins deshalb immer auf der Schulter mit rein. Das Gleiche, wenn Handy oder Fahrrad kaputt gehen: Wir zahlen und Deliveroo ist fein raus. Probleme bekomme ich auch, wenn ich in der Schicht mal einen Platten habe. Entweder ich schaffe es, den in wenigen Minuten selbst zu flicken, oder ich kann Schicht und Aufträge vergessen. Wenn man mit dem Geld plant, ist das schon ein großer Stressfaktor.”


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Clemens Melzer von FAU:

“Ein großes Problem für die Fahrer ist die Verlässlichkeit bei der Schichtplanung, das ist ein Hauptanliegen unseres Forderungskatalogs. Wir wollen einen Euro mehr pro Stunde beziehungsweise pro Lieferung. Außerdem fordern wir einen Einstellungs-Stopp: Deliveroo und Foodora beschäftigen mehr und mehr Leute, um Schichten auch spontan aufstocken zu können. Die Kehrseite: Zu viele Fahrer streiten sich um zu wenige Schichten, schon jetzt. Wir wollen außerdem, dass klar ist, wer warum welche Schicht bekommt. Bei Foodora wird ein Teil der Schichten durch einen Algorithmus vergeben. Dieses System ist nicht transparent. Und für die Zeit, die die Fahrer mit ihrer Arbeitsplanung verwenden, wollen wir eine bezahlte Extra-Stunde pro Woche. Als Letztes wollen wir, dass die Firmen alle Arbeitsmaterialien stellen, also auch Räder und Smartphones. Niemand sollte seinen Platten selber zahlen.”

Deliveroo-Kurier Robert:

“Wenn Deliveroo jeden Monat mehr und mehr Fahrer beschäftigt, kann ich plötzlich nicht mehr mit fünf, sondern nur noch mit zwei Schichten in der Woche planen. Ich bin auf diesen Job nicht angewiesen, da ich nebenher auch noch in der Gastro arbeite, aber für Fulltime-Fahrer ist das übel. Prinzipiell mag ich den Job, wir sind eine gute Community und auch der Kontakt zu den Restaurants und Kunden ist meistens nett. Klar, manche Kunden sind auch einfach scheiße, aber das ist ja in allen Bereichen der Gastro so: Du schleppst eine 8-Pizzen-Bestellung in den siebten Stock und keiner gibt dir Trinkgeld, weil es eine Sammelbestellung zum Lunch war. Zweimal habe ich mich besonders aufgeregt: Ein Typ, der einen Burgerladen besitzt, hat nach Feierabend mal selbst was bestellt. Klar haben wir uns wiedererkannt. Sein Tip: null. Das war genau so ein schlechter Scherz wie die Lieferung ins Deliveroo-Office hier in Berlin: kein Tip von den Typen, für die du arbeitest. Und dann erzählen dir die Manager, unser Stundenlohn sei nicht so hoch, weil wir ja Kohle durch Trinkgeld machen. Mit den Restaurants ist es aber meistens easy, im Winter bekomme ich auch schonmal einen Gratis-Chai-Tee. Nur zwei, drei wollen nicht, dass man drinnen wartet, total daneben.”

Das sagen die Restaurants:

“Wir haben Fahrer von Deliveroo und Foodora”, sagt ein Verkäufer von Burgerlicious in Neukölln. “Letzte Woche hat sich ein Foodora-Kunde bei mir beschwert, weil die Bestellung zwei Stunden zu spät kam. Das ist ärgerlich, ist ja nicht meine Schuld. Wenn der Kunde das nächste mal hier isst, kann ich ihm höchstens einen Rabatt anbieten. Das war aber eine Ausnahme, sonst haben wir mit den Fahrern keine Probleme. Wenn nicht viel los ist, warten sie im Laden, sonst draußen. Kunden im Restaurant haben sich auch noch nie beschwert, weil sie glauben, die Fahrer bekommen schneller ihr Essen als sie. Grundsätzlich lohnt sich die Zusammenarbeit schon für uns, an Sonn- und Feiertagen besonders. Am 1. Mai hatte ich alleine 500 Euro Umsatz durch die Lieferdienste, das müssen so 20 bis 30 Bestellungen gewesen sein.”

Der Geschäftsführer eines schwäbischen Restaurants, möchte anonym bleiben:

“Wir kalkulieren unsere Preise eh knapp, wenn dann noch was an Deliveroo geht, bleibt nicht viel Gewinn. Deshalb geht für mich der Restaurantbetrieb vor Ort auch ganz klar vor. Wenn es wiederholt Probleme mit den Lieferungen oder Fahrern geben würde, kann ich die Zusammenarbeit schnell und ohne große Verluste beenden.”

Die Food-Kuriere haben ihre Forderungen Ende der letzten Woche abgeschickt und warten nun auf Antworten von Deliveroo und Foodora. “Bei uns ist noch kein Forderungskatalog eingegangen, wie diese im Detail aussehen, weiß ich nicht”, sagt ein Sprecher von Foodora: “Für einen Dialog mit der Gewerkschaft sind wir offen.”

Auch für die Forderung, dass Foodora die Ausgaben der Fahrer übernimmt, ihr Datenvolumen und andere Arbeitsmaterialien?

Foodora: “Da unsere Rider alle unterschiedliche Provider nutzen, ist die Übernahme des genutzten Datenvolumens schwierig.” Man gebe sich aber Mühe, die App so zu verändern, dass sie immer weniger Datenvolumen verbraucht.

Deliveroo wollte gar nicht auf die Forderungen eingehen. Stattdessen schickt ein Unternehmenssprecher ein schriftliches Statement: “Deliveroo bietet über 1.000 Fahrradkurieren in Deutschland gut bezahlte Kooperationsmöglichkeiten an, und jede Woche bewerben sich über hundert neue Kuriere […]. Wir sind stets offen für ihr Feedback […]. In einer neuen Umfrage bestätigten uns fast 90 Prozent der Kuriere, dass sie mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden sind und uns weiterempfehlen würden.”

Deliveroo-Kurier Robert:

“Für mich ist dieses Statement ein schlechter Witz. Das Machtverhältnis zwischen Firma und Fahrern ist total asymmetrisch. Ich würde auch nicht von gutbezahlten Jobs sprechen, wenn manche Freelancer ausschließlich auf Provisions-Basis arbeiten und am Wochenende und an Feiertagen keine Zuschläge bekommen. Und zu dem Punkt, dass sich wöchentlich Hunderte bewerben? Das ist ja genau das Problem, wir kämpfen jetzt schon um genügend Aufträge und freie Schichten. Genau deswegen fordern wir das Gegenteil: den Einstellungsstopp.

Die Feedback-Kultur, von der die Rede ist, kenne ich auch nicht. Vor ein paar Monaten haben wir einen Brief mit 50 Unterschriften an das Büro geschickt. Eine Antwort haben wir bis heute nicht bekommen.”

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