Fotos Kreator (Band & Mille): Robert Eikelpoth
Wenn es um die „Big Four” des Thrash Metal geht, ist von Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax die Rede. Dabei hat ein Quartett aus dem tiefsten Ruhrpott den amerikanischen Genre-Ikonen qualitativ lange den Rang abgelaufen. Kreator starteten in den frühen Achtzigern noch als Tormentor unter dem Einfluss von Bands wie Raven, Venom, Possessed, aber auch Iron Maiden und Judas Priest mit infernalischem Krach, produzierten mit Pleasure to Kill bereits 1986 einen Klassiker, der weltweit Bands wie Sepultura, Death, oder Cannibal Corpse beeinflusste. Die Platte wird heute noch von der halben Black- und Death-Metal-Welt als Referenzwerk genannt. Kreator experimentierten, wagten viel und haben seit der Jahrtausendwende durchweg qualitativ hochwertige Alben veröffentlicht—etwas, was die wenigsten Bands von sich sagen können. Im Gegensatz zu anderen Kollegen ihrer Generation profitieren Kreator nämlich nicht nur von ihrem Backkatalog, sondern schaffen es noch immer, sich von Album zu Album zu steigern. Deshalb müssen sie auch nicht bei Konzerten verschämt ein paar neue Stücke unter die Klassiker mogeln, sondern bestreiten ihre Shows selbstbewusst mit überwiegend neuem Material—bei stetig steigenden Zuschauerzahlen.
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Anlässlich der Veröffentlichung des neuen Albums Gods of Violence hat der sehr aufgeschlossene Sänger Miland „Mille” Petrozza für uns die bisherigen 13 Kreator-Alben nach seiner Einschätzung in eine Rangliste sortiert und war dabei äußerst selbstkritisch—auch wenn ihm die Wahl nicht leicht gefallen ist.
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13. Cause For Conflict (1995)
Noisey: Bei diesem Album warst du dir sofort sicher, dass es auf dem letzten Platz landet, während du bei vielen anderen überlegen musstest …
Mille Petrozza: Ja, das Album war nichts. Das war gewollt und nicht gekonnt, zudem ist der Sound viel zu dünn. Ich mochte eigentlich diese Hardcore-Ausrichtung, dass es ein bisschen anders war, aber wir hatten zu der Zeit so viele Probleme, dass die Aufnahmen ein einziger Krampf waren. Die Tour danach war auch so deprimierend, dass ich das Album, wenn ich überhaupt ein Album als schlechtestes empfinden soll, immer zuerst nenne.
Das ist auch das einzige Album, das ihr mit einem anderen Schlagzeuger als Ventor aufgenommen habt.
Genau. Das heißt nicht, dass es an ihm gelegen hätte. Joe Cangelosi ist ein super Schlagzeuger, er hat nur irgendwie nicht zu uns gepasst. Nach dem sehr experimentellen Renewal war das ein bisschen eine Rückkehr zum Thrash Metal, aber leider nicht richtig konsequent.
12. Endless Pain (1985)
Auffällig ist, dass du Endless Pain so weit unten einordnest, Pleasure To Kill aber sehr weit oben, obwohl die Platten in einem sehr kurzen Zeitraum entstanden sind …
Endless Pain hat natürlich eine große Bedeutung für mich, es ist auch nicht so, dass ich die Platte scheiße finden würde. Aber es ist halt die dilettantischste Produktion.
Aber gerade dieser Sound hat ja auch heute noch einen enormen Einfluss auf viele Bands, vor allem im Black Metal. Kannst du das nachvollziehen?
Ja, in gewisser Weise schon, aber wenn ich das Album heute höre, erinnere ich mich zwar gern an den Enthusiasmus, den wir damals hatten, aber habe auch das Gefühl, wir hätten mehr Hilfe bei der Produktion gebraucht. Einige der Songs finde ich wirklich gut, sie kommen nur nicht so zur Geltung, wie sie könnten. Das ist ein bisschen schade. Wir haben damals noch unseren Sound gesucht, wir waren ja auch Teenies … Eigentlich ist Endless Pain besser als die Platzierung, aber jetzt habe ich es nunmal so einsortiert …
11. Outcast (1997)
Outcast ist ein verkrampftes Album. Wir haben uns damals bewusst reduziert, wir wollten keine Soli und keine schnellen Songs auf dem Album haben, eine Limitierung, die im Nachhinein total bescheuert ist.
Bei Outcast war auch erstmals Tommy Vetterli von Coroner an der Gitarre dabei. Wie groß war sein Einfluss?
Nicht groß, er war ja gerade erst dazugekommen, ich hatte die Songs zu dem Zeitpunkt fast komplett fertig. Das Album war aber inkonsequent, es war weder Fisch noch Fleisch, obwohl mir der Sound noch immer gut gefällt. Den hat Ronald Prent, der Mischer von Rammstein gemixt. Damals fand ich es sehr gelungen, nur aus heutiger Sicht ist es ein typisches Neunziger-Album, und von dem Jahrzehnt bin ich nicht so ein Fan. Allerdings ist mit Phobia auch einer unserer größten Live-Hits drauf, den wir noch immer gerne spielen.
10. Renewal (1992)
Das war wohl der größte musikalische Einschnitt in Eurer Karriere …
Ja, das Album finde ich auch gut, es war wirklich originell und inspiriert, nur die Umsetzung war nicht so gelungen. Es war einfach der falsche Produzent zu der Zeit. Wir wollten eine Art Pink-Floyd-Version von Kreator machen, und dabei hat uns der Produzent zu sehr freie Hand gelassen—wir hätten etwas mehr Führung benötigt. Das war Tom Morris vom legendären Death-Metal-Studio Morrissound in Florida. Wir hätten lieber Scott Burns nehmen sollen, der im gleichen Studio Bands wie Sepultura, Obituary oder Cannibal Corpse produziert hat. Trotzdem war das Album zu seiner Zeit gut. Außerdem ist das Cover unter dem künstlerischen Aspekt das beste, was wir je hatten. Nur fehlen darauf ein wenig die Kreator-Trademarks. Interessanterweise kam diese experimentelle Ausrichtung der Musik und des Covers damals gar nicht so gut an, heute fragen mich aber viele Leute, warum wir nicht mal wieder sowas wie Renewal oder Endorama machen würden.
Nach dem Album wart ihr ja mit Biohazard auf Tour, gab es da nicht eine ziemliche musikalische Kluft, nach so einem experimentellen Album?
Renewal war ja irgendwie auch unsere Version von Hardcore. Allerdings hatten Biohazard den Groove, den wir damals versucht haben, natürlich viel besser drauf. Es geht ja auch immer um einen gewissen Drum-Groove, und wir haben damals zum ersten Mal probiert auch langsamer zu spielen. Das war nie so richtig Ventors Ding, und das hat sich auch auf die Alben ausgewirkt. Er fühlt sich mit schnellem Thrash einfach wohler, und ist eher ein verspielter Schlagzeuger, der sich nicht so reduzieren mag.
9. Endorama (1999)
Findest du, Renewal und Endorama haben etwas gemein?
Ja, auf jeden Fall. Ich nenne sie die „Dogma”-Alben, weil wir darauf sehr bewusste Konzepte verfolgt haben. Endorama sollte ein Tribut an 80er-Wave sein, und darauf war auch der Einfluss von Tommy Vetterli sehr groß. Ich finde auf dem Album noch immer viele Songs sehr gut, leider ist der Mix etwas zu poppig.
Allerdings spielt ihr davon nichts mehr live …
Nein, leider nicht, es passt irgendwie stilistisch nicht ins Set. Eigentlich sollten wir mal eine Tour machen, auf der wir nur die „Kunstalben” spielen.
8. Terrible Certainty (1987)
Das war ja im Grunde eure erste „ernsthaftere” Platte.
Aber auch eine schwächere von den ernsthaften Platten, was für mich aber auch wieder sehr am Sound liegt. Allerdings kommen demnächst von vielen Platten Re-Masters raus, die sehr viel besser klingen werden. Du hast natürlich recht, dass Terrible Certainty ein großer Schritt von Pleasure to Kill war, aus heutiger Sicht gefällt mir aber Pleasure besser.
Pleasure to Kill war ja noch eher chaotisches Gebolze, während dieses Album dann schon wesentlich strukturierter war …
Ja, das stimmt, aber Terrible mit der Produktion von Pleasure wäre wesentlich besser geworden. Aber zu dem Zeitpunkt wollten wir gerne einen internationalen Produzenten haben, und haben uns für Roy Rowland entschieden, der aber mit Thrash Metal bis dahin kaum Erfahrung hatte … Den Titelsong und „Toxic Trace” spielen wir auch immer noch live. „Toxic Trace” war ja auch unser erster Videoclip und ist damals viel in den Spartensendungen gelaufen. Ein Mitglied von Voivod meinte damals über das Album, es sei ein Schritt in Richtung Metallica, was ich damals aber gar nicht nachvollziehen konnte.
7. Hordes Of Chaos (2009)
Der Grund, warum Hordes of Chaos im Ranking recht weit unten ist, ist nicht die Produktion, die finde ich nach wie vor gut. Leider finde ich aber im Nachhinein einige der Songs nicht so stark. Die Platte hat nicht so eine gute Linie wie etwa Enemy Of God. Aber für mich sind zumindest der Titelsong, „Warcurse” und „Destroy What Destroys You” noch immer sehr gut. „Destroy … ” hat einen Groove, wie wir ihn damals auf Renewal probiert haben, aber noch nicht richtig umsetzen konnten.
Insgesamt war es aber eine sehr brutale Platte, nicht so melodiös wie etwa Phantom Antichrist oder Violent Revolution. Wir haben nicht viel experimentiert, und das sehr direkt quasi live eingeknüppelt. Dabei haben wir uns allerdings mehr auf das Zusammenspiel als auf das Songwriting konzentriert. Das erkennt man auch daran, dass wir davon heute nicht mehr viele Songs bei Konzerten spielen.
6. Coma Of Souls (1990)
Coma of Souls ist im Grunde mit Hordes of Chaos auf Augenhöhe, denn sie haben ein ähnliches Problem. Ich fand darauf auch drei Songs richtig gut, nämlich „When The Sun Burns Red”, den Titelsong und „People Of The Lie”, die anderen sind eher Füllmaterial.
Der Abstand zwischen Extreme Aggression und Coma Of Souls war aber auch der kürzeste zwischen zwei Kreator-Alben überhaupt.
Genau das war das Problem. Extreme Aggression war sehr erfolgreich, wir waren glücklich, damit einen neuen Status erreicht zu haben und wollten erstmal zwei Jahre bis zum nächsten Album warten. Die Plattenfirma hatte aber das Studio schon gebucht, und uns nach drei Monaten wieder zum Aufnehmen geschickt, was zu extremer Hektik geführt hat. Zum Teil haben wir die Songs dann erst im Studio geschrieben. Allerdings hat Frank Blackfire, der damals von Sodom zu uns gekommen ist, mich beim Songwriting unterstützt. Leider hatte unser Produzent Randy Burns, der ja auch echte Klassiker von Megadeth oder Death gemacht hat, damals schon das Interesse am Produzieren verloren. Während wir aufgenommen haben, hat er nur noch Computer-Bücher gelesen—er ist danach in die IT-Branche gewechselt. Heute hat er nichts mehr mit Musik zu tun.
5. Extreme Aggression (1989)
Das war wahrscheinlich für unsere Karriere noch wichtiger als Pleasure To Kill. Ich habe Pleasure nur etwas höher angesiedelt, weil es düsterer ist. Musikalisch war es auf jeden Fall ein Quantensprung von Terrible Certainty. Wenn ich es heute höre, wundere ich mich trotzdem darüber, was wir zum Teil für komische vertrackte Rhythmen da eingebaut haben, wo es häufig gar nicht nötig gewesen wäre. Wir fanden es damals irgendwie toll, Takte umzudrehen, wie es ja auch Lars Ulrich gerne gemacht hat. Das war damals irgendwie angesagt, obwohl es oft den Groove zerstört hat. Heute würde ich das nicht mehr so machen. Die Platte ist auch insgesamt vom Gefühl etwas „sonniger”, mit einem gewissen Skatecore-Einfluss. Wir hätten uns zwar nicht wie Anthrax „NOT” auf die Brust geschrieben, aber der Black-Metal-Spirit und der Horror von Pleasure To Kill ist hier nicht mehr zu hören—dafür waren viele Harmonien fast fröhlich.
4. Pleasure To Kill (1986)
Das war eigentlich unsere Version von frühen Metallica, den ersten Maiden-Platten und Possessed.
Man hat beim Hören das Gefühl, ihr wäret alle auf Speed gewesen.
Waren wir aber nicht. Ventor hat einfach wie ein Wahnsinniger drauflos gehämmert. Scott Ian von Anthrax, die wir natürlich verehrt haben, hat damals im Metal Hammer darüber gesagt, es würde klingen, als würden wir alle in unterschiedlichen Räumen spielen. Und er hatte leider Recht. Wir haben das wirklich in unterschiedlichen Räumen aufgenommen, was für eine professionelle Band kein Problem gewesen wäre, für uns schon …
Warum glaubst du, hat gerade dieses Album so einen Kultstatus?
Es ist einfach ein etwas mysteriöses Album, das düstere Geschichten erzählt. Ich habe damals die Faces of Death–Filme gesehen und habe mich daran textlich orientiert—ich wollte mit jedem Song eine andere Art des Sterbens beschreiben, bis auf „Riot Of Violence” hat das auch geklappt!
„The Pestilence” war auch damals schon ein recht komplexer und langer Song.
Ja, das war unsere Version von Iron Maiden und Mercyful Fate, episch und für unsere Verhältnisse anspruchsvoll.
3. Violent Revolution (2001)
Das war ja ein bisschen euer Comeback -Album. Würdest Du sagen, es hat Euch die Karriere gerettet?
Möglicherweise ist das so. Es hat uns auf jeden Fall ein neues Publikum beschert. Da waren plötzlich auch jüngere Leute. Hätten wir weiter im Stil der Neunziger gemacht, wären wir wahrscheinlich eine Untergrund-Kult-Band wie etwa Neurosis geworden, die zwar fanatische Anhänger hat, aber über einen gewissen Kreis nie hinauskommt.
Davor war ja Endorma, da haben wir uns künstlich limitiert, weil wir uns als Ziel gesetzt hatten, dass es nicht klingen darf wie irgendwas, was wir vorher gemacht hatten. Das klingt erstmal nach einem guten Ziel, führt aber auch zu Verkrampfung. Bei Violent Revolution haben wir dieses Dogma abgelegt, wir haben wieder Thrash gespielt, auch auf die Gefahr hin, dass es sich wie frühere Sachen anhören könnte.
Es war auch das erste Album mit eurem Gitarristen Sami Yli-Siriniö. Hatte das einen Einfluss?
Das hat auf jeden Fall viel Enthusiasmus reingebracht. Sein Einstieg in Verbindung mit dem Produzenten Andy Sneap haben die Platte zu dem gemacht, was sie ist. Es hat einfach alles gepasst. Sami kann alles umsetzen, was ich mir vorstelle, und macht es sogar noch besser. Wenn ich versuche, meine Ideen umzusetzen, brauche ich selbst dafür länger als Sami und am Ende klingt es nicht so gut …
2. Enemy Of God (2005)
Was macht dieses Album noch besser als Violent Revolution?
Durch Violent Revolution haben wir unser Selbstbewusstsein zurückgewonnen und konnten hiermit in Sachen Hits noch einen draufsetzen. Es war als Ganzes noch ausgereifter, mit langen, progressiven Songs wie „The Ancient Plague”, düsteres Zeug, was auch auf Endorama hätte sein können, wie „Voices Of The Dead”, experimentelles wie „Dystopia” und sehr eingängiges Material wie den Titelsong oder „Impossible Brutality”, was aber alles zusammen eine Einheit bildet.
Was sind dann überhaupt die Schwachpunkte des Albums?
Ich finde, wir hätten zwei Songs weniger aufs Album nehmen können. Es sind zwölf Songs, das ist eigentlich zu lang. Heute würde ich zwei weniger machen. Zum Beispiel „One Evil Comes, A Million Follow” ist eher ein guter B-Seiten-Song. Es ist aber trotzdem ein rundes Album.
1. Phantom Antichrist (2012)
Da stimmt alles. Es klingt gut, es sind sehr viele Hits drauf, super Melodien, ich kann mir das Album noch immer am Stück anhören, ohne, dass mich irgendetwas stören würde. Bei manchen unserer Alben muss ich Songs skippen—hier nicht.
Es ist ungewöhnlich, dass viele Fans das ähnlich sehen würden, dass dieses Album das beste ist, obwohl Metal ja oft von einer gewissen Nostalgie lebt.
Ja, es gibt bestimmt Fans, die Pleasure To Kill nach vorne voten würden, andere sogar Extreme Aggression. Ein paar aber auch Endorma—das hätten sie auch ruhig mal damals sagen können … Aber dieses Album kommt tatsächlich extrem gut an, das merkt man auch bei Konzerten an den Reaktionen auf die Songs.
Bei Slayer oder Metallica wäre das nie so, die profitieren nach wie vor von ihren Alben aus den Achtzigern…
Wir haben einfach immer weitergemacht, und hatten nie so ein Mega-Album wie Master of Puppets. Deshalb sind wir immer irgendwie hungrig geblieben, haben viel experimentiert, aber auch nach wie vor den Ehrgeiz uns noch zu steigern. Das hört man auch auf der ganz neuen Platte.
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Gods of Violence, das neue Album von Kreator erscheint am 27. Januar 2017 über Nuclear Blast.
Wenn ihr bei der Release-Show zur Platte heute Abend im Musik & Frieden in Berlin dabeisein wollt, schreibt uns einfach eine Mail an win-de@vice.com (Stichwort „Kreator Berlin”), und wir schreiben euch auf die Gästeliste!
Kreator auf Tour:
03.02.2017 München, Tonhalle
04.02.2017 Hamburg, Mehr! Theater
16.02.2017 AT-Wien, Gasometer
17.02.2017 Wiesbaden, Schlachthof
18.02.2017 Berlin, Columbiahalle
19.02.2017 CH-Pratteln, Konzertfabrik Z7
04.03.2017 Essen, Grugahalle
03.-05.08.2017 Wacken, Wacken Open Air
16.-19.08.2017 Dinkelsbühl, Summer Breeze