Nach der Wahl: ​Wofür unsere Generation jetzt kämpfen muss

Die Welt steht unter Schock. Niemand weiß, was dieses Wahlergebnis wirklich für die USA bedeutet. Aber wenn der Präsident Trump auch nur ein paar der Drohungen des Kandidaten Trump wahrmacht, ist fast alles in Gefahr, was die USA in der Vergangenheit an gesellschaftlichem Fortschritt errungen haben. Genauso unsicher ist, was dieses Ergebnis für die Beziehungen zwischen Europa und den USA bedeutet und für die ganze Welt.

Sicher ist nur eins: Was wir gerade erleben, ist politisch gesehen eine existenzielle Krise. Was diese Krise jetzt schon gründlich zerstört hat, ist unser Vertrauen in praktisch alle althergebrachten Autoritäten. Die Analysen, die Prognosen, die Wirtschaftsweisen, die politischen Experten—der Wahlsieg Trumps hat sie alle als vollkommen ahnungs- und nutzlos entlarvt.

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Aber der Vertrauensbruch geht tiefer: Genau wie beim Brexit waren es auch bei Trump die Älteren, die sich mehrheitlich für den Rückschritt entschieden haben. Damit hat der Großteil der “Baby Boomer”-Generation ihre eigenen Werte für wertlos erklärt. Man kann seinen Kindern noch so oft beibringen, dass sie nicht lügen und nicht stehlen sollen und ihren Mitmenschen mit Respekt begegnen—wenn man dann Donald Trump wählt, hat man sich selbst lächerlich gemacht.

Aber das war auch beim Brexit nicht die ganze Geschichte: Schon damals waren es nämlich auch die Älteren, deren Wahlbeteiligung deutlich höher war als jene der Jungen. Und da die 18- bis 29-Jährigen in den USA traditionell immer die niedrigste Wahlbeteiligung hatten, wird das wohl auch bei dieser Wahl passiert sein. Das bedeutet: Die jungen Wähler waren also selbst schuld.

Deshalb ist das Gerede von der großen Krise, die eine große Chance birgt, diesmal kein hohler Pathos: Wir haben nämlich gar keine andere Wahl, wir müssen diese Chance ergreifen. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Erwachsenen das schon irgendwie machen werden, die Erwachsenen haben auf ganzer Linie katastrophal versagt. Das darf uns nicht noch einmal passieren.

Die Gefahr ist real: Schon jetzt bejubeln Rechtspopulisten in ganz Europa den Wahlsieg ihres Geistesverwandten. HC Strache gratuliert Trump zum Wahlsieg und betont die “Abstrafung des Establishments und der politischen Linken durch die Wähler”. Wenn wir nicht wollen, dass der Trump- und Brexit-Virus die ganze Welt erfasst, dass sich in ein paar Jahren HC Strache als Bundeskanzler und eine Präsidentin Le Pen die Hände schütteln, dann müssen wir jetzt anfangen zu kämpfen. Denn das ist, was die Trumps dieser Welt uns wegnehmen wollen.

Und sie werden es schaffen, wenn wir uns nicht dafür einsetzen:

Die EU

Hätte vor ein paar Jahren noch wie billige Provokation geklungen, ist jetzt wegen Männern wie Nigel Farage und Boris Johnson eine sehr reale Möglichkeit: der Zerfall der Europäische Union. Wenn wir daran glauben, dass auch unsere Kinder so aufwachsen dürfen und sollen wie wir selbst, nämlich mit Freizügigkeit, Offenheit und Zusammenarbeit, dann müssen wir uns mobilisieren. Und Parteien wie die AfD, die sich an die Spitze der europäischen Anti-EU-Bewegung gesetzt haben, müssen verstehen, dass sie uns das nicht wegnehmen können.

Die Freiheit

Hey, erinnert ihr euch noch an die NSA? Deren Chef heißt jetzt Donald J. Trump. Der größte und effektivste Überwachungsapparat der Geschichte der Menschheit befindet sich jetzt in den Händen eines rachsüchtigen Mannes, der sich offen für Folter und Lynchmorde ausgesprochen hat. “Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten”, klingt plötzlich noch gefährlicher, als es immer schon war. Wir müssen sofort anfangen, mit aller Entschlossenheit gegen den Überwachungswahn der Geheimdienste zu kämpfen.

Die Menschenrechte

Mauern bauen, Flüchtlinge an der Grenze erschießen, Muslime deportieren und Frauen bestrafen, die abtreiben wollen—das sind alles Forderungen, mit denen die Trumps und Petrys dieser Welt ihre Unterstützer in einen Blutrausch treiben, der reale Konsequenzen haben wird. Wir müssen uns entschiedener denn je dagegen stellen. Dazu gehört aber auch, dass wir nicht reflexhaft jeden niederbrüllen, der nicht die ganz richtige Ausdrucksweise benutzt—sondern unsere Kräfte auf die konzentrieren, die wirklich Böses wollen.

Die Umwelt

Während wir uns die Haare raufen, schreitet der Klimawandel immer weiter voran. Erst vor anderthalb Monaten haben wir eine existentielle CO-2-Schwelle ein für alle Mal übertreten. Cool, dass die Amerikaner jetzt einen Präsidenten gewählt haben, der den Klimawandel als eine chinesische Propaganda-Erfindung bezeichnet hat. Witzig, oder? Die rechtspopulistische Partei unserer deutschen Nachbarn vertritt eine ziemlich ähnliche Position. Auch FPÖ-Politiker bezweifeln den Anteil der Menschen an der Klimaerwärmung. Auch hier gilt: Wir haben keine Zeit abzuwarten, bis diese Leute in Rente gehen. Wir müssen jetzt sofort in Aktion treten und sie zwingen, unsere Forderungen durchzusetzen.

Die Vernunft

Das ist vielleicht die wichtigste Bedingung, damit wir überhaupt eine Chance haben: Wir müssen unseren Umgang mit den Medien, mit Informationen grundlegend überdenken. Dabei geht es vor allem um die Frage, nach welchen Mechanismen Informationen verteilt werden.

Der rein marktwirtschaftliche Ansatz hat völlig versagt: Das permanente, frenetische Rennen um Aufmerksamkeit in den sozialen Medien hat dazu geführt, dass die Nachrichten schneller, dümmer, sensationsgeiler und vertrauensunwürdiger geworden sind—was Menschen wie Trump, Petry und Putin in die Hände spielt.

Schuld daran haben alle: sowohl die Produzenten der Medien wie auch die Betreiber der sozialen Netzwerke und die Konsumenten selbst. Und alle drei müssen eine Lösung finden, wie sie die Informationsgesellschaft in Zukunft davor bewahren, in totale und permanente Hysterie zu verfallen. Wenn wir das nicht schaffen, blüht uns endgültig die Diktatur der “postfaktischen” Empörungsgesellschaft, die irgendwann in reale Diktatur umschlägt.

Das heutige Wahlergebnis ist eine Katastrophe, die uns alle wachrütteln sollte. Nichts ist selbstverständlich, wenn wir uns nicht dafür einsetzen. Und das bedeutet zuerst einmal: wählen gehen. Bei jeder Kreis-, Land- und Bundestagswahl müssen wir die Stimme erheben. Aber auch zwischen den Wahlen gibt es genug zu tun: Man kann Petitionen schreiben, auf Demonstrationen gehen, sich für Geflüchtete engagieren und den Menschenfeinden immer und überall entgegentreten.

Und zu guter Letzt müssen wir dafür sorgen, dass wir möglichst bald selbst die Verantwortung übernehmen, indem wir unsere eigenen Leute ins Rennen schicken. Mehr junge Leute müssen in die Politik gehen, und wir müssen sie dabei ermutigen, unterstützen und herausfordern.

Eins ist klar: Wir können uns nicht weiter darauf ausruhen, Politik langweilig zu finden. Denn sonst werden andere dafür sorgen, dass es sehr viel spannender wird, als wir uns das je gewünscht haben.

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